Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Jahresversammlung der OSZE

„Wir brauchen mehr Kinder“

„Eine Gesellschaft ohne Kinder wird dekadent und toxisch“, warnt Gudrun Kugler in ihrer Resolution zum demografischen Wandel. Diese unterzeichnete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Am Spielplatz.
Foto: IMAGO/Rolf Poss (www.imago-images.de) | Werden Kinder zur Ausnahme? In Europa sinkt die Geburtenrate immer tiefer. Die Letten bangen darum sogar um den Erhalt ihrer Landessprache.

Die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE-PV) erkennt in diesem Jahr erstmals und ausdrücklich den demographischen Wandel als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die wirtschaftliche Tragfähigkeit und die langfristige Sicherheit an. Der Beweis: Die OSZE-PV nahm einstimmig ein Dokument in die Abschlusserklärung ihrer Jahrestagung Anfang Juli im portugiesischen Porto auf, welches sinkende Geburtenraten, wachsende Kinderlosigkeit und eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung als Krise darstellt. Es ruft dazu auf, familienunterstützende Politiken zu entwickeln, und fordert Wohnraumförderung und eine positive Haltung gegenüber der Elternschaft. Bei dem Dokument handelt es sich um die Resolution „Responding to the Demographic Winter“ von der österreichischen Nationalratsabgeordneten Gudrun Kugler.

Lesen Sie auch:

„Als Sonderbeauftragte für demografischen Wandel und Sicherheit der OSZE-PV sehe ich es als meine Aufgabe, diese Entwicklungen sichtbar zu machen – und gleichzeitig konkrete Lösungsansätze anzubieten“, so Kugler. Weiter erklärte sie: „Ich freue mich sehr, dass dieses Thema ohne Gegenstimme in den Fokus der OSZE-Parlamentarierversammlung gerückt wurde“. In dem 25-seitigen Dokument präsentiert Kugler den demografischen Wandel in Zahlen und stellt seine Auswirkungen dar: Er fordere das soziale Gefüge heraus, die Infrastruktur, das Pensionssystem und den Gesundheitssektor. Auch entstehe durch ihn mehr Einsamkeit in der Bevölkerung. Das dritte Kapitel widmet Kugler konkreten Lösungsansätzen. Dazu gehörten unter anderem die Forschung zur demographischen Krise, eine stärkere Familienförderung in Kultur und Gesellschaft, aktives Altern und die Sicherung der Pensions- und Sozialsysteme. Besorgniserregend sei, so Kugler in Anlehnung an die Vereinten Nationen, „dass sich bisher noch kein wohlhabendes Land historisch gesehen von dauerhaft niedrigen Geburtenraten erholen konnte“. Jedoch: Der menschliche Geist sei innovativ und habe wiederholt große Herausforderungen gemeistert.

Mehr Franzosen von 1946 als von 2024

Die aktuellen europäischen Geburtenraten sind niedrig. Schlusslicht ist Malta mit nur 1,08 Geburten pro Frau. Ausgenommen von dem Trend sind zentralasiatische Länder wie Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan, Turkmenistan und Kirgisistan, wo jede Frau im Schnitt drei und mehr Kinder bekommt. Mit Sorge blickt Kugler auf die Fruchtbarkeitsrate im nördlichen und südlichen Europa: In Frankreich leben aktuell mehr Menschen, die im Jahr 1946 geboren sind, als Menschen, die 2024 zur Welt kamen. In Litauen starben im vergangenen Jahr fast doppelt so viele Menschen wie geboren wurden. Die Letten befürchten, dass ihre Landessprache in absehbarer Zeit aussterben könnte. Weiter verweist Kugler auf eine Studie von „The Lancet“, laut der die Fruchtbarkeitsrate bis 2050 in drei Vierteln aller Länder unter das Reproduktionsniveau (2,1 Kinder pro Frau) fallen wird. Bis zum Jahr 2100 dürfte das sogar auf 97 Prozent der Länder zutreffen. Einen weltweiten Durchschnitt der Kinder pro Frau ermittelte der Bericht „World Population Prospects“: 2,25 waren es im Jahr 2023, im Jahr 1950 dagegen noch fünf pro Frau.

„Wir können Autobahnen, Gebäude und Fabriken errichten, doch ohne Menschen haben sie keinen Wert. Eine demografische Rezession ist schlimmer als eine wirtschaftliche Rezession. Deshalb muss es unsere absolute Priorität sein, den demografischen Wandel ernst zu nehmen. Die Lage ist zu ernst, um sie nur im begrenzten Zeithorizont einer Legislaturperiode zu betrachten. Langfristig notwendige Maßnahmen müssen Vorrang vor kurzfristigen Erfolgen und Wahltaktik haben“, warnt die Nationalratsabgeordnete eindringlich. Seit den 70er Jahren ist die Kinderlosigkeit in den Industrieländern gestiegen: In Japan sind heute 40 Prozent der Bevölkerung kinderlos; 1974 war es nur eine von 20 Personen. In Südkorea sind 55 Prozent der Einwohner ohne Nachkommen, in den USA über 35 Prozent. Die durchschnittliche Kinderzahl unter jenen, die Eltern werden, sei hingegen konstant geblieben. Darum laute die Frage: „Warum haben so wenige Menschen Kinder?“ und nicht „Warum haben die Menschen so wenige Kinder?“

Kummer über Kinderlosigkeit

Grund für Kinderlosigkeit sei bei einem Drittel der Betroffenen, keinen Partner zu finden. Knapp ein weiteres Drittel gab an, nie Kinder gewollt zu haben, wie Untersuchungen von kinderlosen Erwachsenen im Alter von 50 Jahren und mehr des „Pew Research Centers“ ergaben. Die wachsende Zahl von Online-Selbsthilfegruppen für ungewollte Kinderlosigkeit verdeutlicht den Kummer darüber, der mit dem Alter zunehme – insbesondere, wenn die Lebensprioritäten sich verändern. Kugler fordert darum, eine verantwortungsvolle Bevölkerungspolitik solle Männer und Frauen unterstützen, damit sie so viele Kinder bekommen könnten, wie sie sich wünschen.

„Eine Gesellschaft ohne Kinder wird dekadent und toxisch“, zitiert Kugler den französischen Demografen Arsene Dumont mit Blick auf die Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich bringt. Eine „selbstschädigende, individualistische Zivilisation“ entstehe dann. Zudem steige der Druck zwischen der älteren und der jüngeren Bevölkerung, sowie zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Ältere Menschen hätten höhere Chancen auf wirtschaftliche Stabilität als jüngere. Dadurch könnten populistische, nationalistische und einwanderungsfeindliche politische Bewegungen schnell wachsen.

Bald weniger zugewanderte Arbeitskräfte

Da die erwerbsfähige Bevölkerung schrumpfe und in Städte abwandere, seien ländliche Gebiete stark von sinkenden Steuereinnahmen und einer rückläufigen Wirtschaft betroffen, wie etwa sinkenden Immobilienwerten. Sogenannte „Geisterstädte“ würden wiederum soziale und sicherheitsrelevante Risiken bergen. Weniger junge Menschen im Erwerbsleben zu haben, lasse die Innovationsrate sinken – sprich Fortschritte in Technologie, Kreativwirtschaft und in der Start-up-Szene. Das bremse die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas. Einwanderung bringe wiederum neue Schwierigkeiten mit sich, etwa durch kulturell verschiedene Wertevorstellungen. Abgesehen davon werde der Pool potenzieller Migranten kleiner, da auch in „Abwanderungsländern“ wie Bangladesch, Indien und Nepal weniger Kinder zur Welt kommen.

Lesen Sie auch:

„Von allen Dingen auf der Welt sind die Menschen das Wertvollste, und wir brauchen mehr von ihnen – mehr Kinder“, so Kuglers Fazit. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die gesamte Gesellschaft mit den politischen Entscheidungsträgern zusammenwirken. Ganz oben auf der Prioritätenliste stünden die Verringerung ungewollter Kinderlosigkeit und die Schaffung von Anreizen für höhere Geburtenraten. Pensionssysteme, Sozialleistungen und Infrastrukturen müssten zukunftssicher gemacht werden. Die öffentliche Wahrnehmung und Sozialpolitik solle verhindern, dass Hausfrauen und Hausmänner stigmatisiert werden und das soziale Prestige von kinderreichen Familien, dem Familienleben und elterlichem Engagement stärken. Kugler schlägt konkrete Maßnahmen vor, wie zum Beispiel: leistbaren Wohnraum, familienfreundliche Besteuerung sowie familienfreundliche Fernsehinhalte, Ermäßigungen auf Kinder- und Babyartikel. Da es sich gezeigt habe, dass Familien mit Wohneigentum mehr Kinder bekämen, sollten junge Paare bei dessen Erwerb unterstützt werden. Es brauche eine kinderfreundliche Alltagskultur, denn dort, wo Kinder sichtbar sind, falle es leichter, welche zu bekommen: Das Phänomen nenne sich „ansteckende Fruchtbarkeit“.

Auch fordert Kugler, selber Mutter von vier Kindern und praktizierende Katholikin, dass Regierungen „die positiven Auswirkungen religiöser Gemeinschaften auf die Familienstabilität anerkennen und die Religionsfreiheit schützen“. Denn: Studien zeigten, dass gläubige Menschen häufig höhere Geburtenraten aufweisen. Sinnvoll sei die Aufwertung von Pflegeberufen, sowie mehr Digitalisierung und KI im Pflegesektor, um dem ansteigenden Bedarf an Altenpflege gerecht zu werden.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Elisabeth Hüffer Gudrun Kugler UNO Überalterung der Gesellschaft

Weitere Artikel

Kirche

Näher zur eucharistischen Anbetung: Adoratio machte es möglich, mit Vorträgen, Gebetszeiten und Begegnung. Auch Bischof Oster und Sophia Kuby kamen.
02.10.2025, 05 Uhr
Elisabeth Hüffer