Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Gleichstellungsrat veröffentlicht Bericht

Sexismus in Frankreich: „Familien fördern Stereotype“

„Traditionelle Rollenklischees“ erleben bei jungen Menschen eine Renaissance und seien ursächlich für den Anstieg an Gewalt gegen Frauen, behauptet der neue Sexismus-Bericht des Gleichstellungsrats in Frankreich.
Femen-Aktivistinnen protestieren in Paris
Foto: IMAGO/Villette Pierrick/ABACA (www.imago-images.de) | Femen-Aktivistinnen protestieren in Paris: Unabhängig vom jeweiligen Geschlecht seien Geschlechterklischees in der Gesellschaft massiv verbreitet und 2023 noch angestiegen, gerade auch in der jungen Generation, zeigt ...

„Die Franzosen tun sich schwer, sich von geschlechtsspezifischen Stereotypen zu lösen.“ Das stellt der in dieser Woche veröffentlichte jährliche Sexismus-Bericht des Hohen Rats für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Frankreich fest. Der 25. Januar ist seit diesem Jahr nach Wunsch von Staatspräsident Emmanuel Macron der Nationale Tag zur Bekämpfung von Sexismus. Unabhängig vom jeweiligen Geschlecht seien Geschlechterklischees in der Gesellschaft massiv verbreitet und 2023 noch angestiegen, gerade auch in der jungen Generation, zeigt sich der Gleichstellungsrat alarmiert. 

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Dafür sei unter anderem die Familie verantwortlich: Weiblichkeit und Männlichkeit seien Rollen, die schon sehr früh in der Familie zugewiesen würden und dabei oft als „natürliche“ Unterschiede wahrgenommen würden, hält der Bericht fest. So „glauben 36 Prozent der Franzosen immer noch, dass Ungleichheiten auf natürliche Unterschiede zurückzuführen sind“. Mit Geschlechterrollen verbundene Normen würden in der Familie bereits ab dem Säuglingsalter verinnerlicht und hätten Auswirkungen auf das ganze Leben.

Bericht fordert "tiefgreifende Dekonstruktion" von Geschlechterrollen in Familien

Daher müsse in allen Familien eine „tiefgreifende Dekonstruktion stattfinden, um diese Verzerrungen zu beseitigen und neue egalitäre Modelle sowohl für Jungen als auch für Mädchen anzubieten“, fordert der Bericht. Neben Familien seien auch Schulen und digitale Medien die Orte, an denen Gender-Stereotype reproduziert würden, so der Bericht. Bei Instagram würden Frauen häufig in einer Mutterrolle dargestellt – jung, schwanger, mit kleinen Kindern.

Laut dem 40-seitigen Bericht glauben 70 Prozent der männlichen und 63 Prozent der weiblichen Franzosen „immer noch“, dass ein Mann finanziell für seine Familie sorgen muss, um in der Gesellschaft respektiert zu werden. auch bei Frauen seien Rollenstereotype eher gestiegen als gesunken: Sieben Prozent mehr Frauen als im Vorjahr finden, dass es normal ist, dass Frauen aufhören zu arbeiten, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung finde es „immer noch normal oder positiv“, dass eine Frau jeden Tag für die ganze Familie kocht.

Gleichzeitig bewerten 88 Prozent der Franzosen es negativ, wenn ein Mann seine Partnerin ohrfeigt (+ vier Prozentpunkte). 62 Prozent halten es für inakzeptabel, wenn ein Mann gegen den Willen seiner Partnerin darauf besteht, mit ihr Sex zu haben (+ vier Prozentpunkte).

Fehlende Fortschritt nach „Jahren des feministischen Kampfes“

Sexismus definiert der Bericht als eine „Vorstellung von der Welt, die auf der Ungleichheit von Frauen und Männern beruht und als natürlich angesehen wird. Er ist die Quelle aller Geschlechterstereotypen. Sexismus erzeugt nicht nur Ungleichheiten, sondern auch sexistische und sexuelle Gewalt.“ Er werde Kindern von klein auf durch Familie, Schule und die digitalen Medien eingeimpft. „Trotz einer immer größeren Sensibilität für Ungleichheiten in der jungen Generation halten sich sexistische Klischees und Stereotypen hartnäckig. Dieser fehlende Fortschritt nach Jahren des feministischen Kampfes kann kollektiv nur als Rückschritt erlebt werden!“, bedauert der Bericht. 

„Maskulinistische Reflexe halten sich hartnäckig, insbesondere, auch in diesem Jahr, bei Männern im Alter von 25-34 Jahren. Umgekehrt gewinnen die Aufforderungen an Frauen, weiblich und mütterlich zu sein, an Boden, auch unter den Frauen selbst.“

Unter Maskulinismus versteht der Bericht eine „konservative oder reaktionäre soziale Bewegung, die behauptet, dass Männer unter einer Identitätskrise leiden, weil Frauen im Allgemeinen und Feministinnen im Besonderen die Gesellschaft und ihre Institutionen dominieren“. Immer mehr junge Männer seien der Meinung, dass es in der heutigen Gesellschaft schwierig ist, ein Mann zu sein oder haben das Gefühl, aufgrund ihres Geschlechts weniger gut behandelt worden zu sein.

Ungleichheiten gehen zu Lasten der Frau

Aber laut der Befragten fanden es auch junge Frauen im Alter von 25 bis 34 im Jahr 2023 noch schwieriger, eine Frau in der Gesellschaft zu sein, als im Vorjahr. Der Gleichstellungsrat hält fest: „Es ist offensichtlich, dass diese Ungleichheiten zu Lasten der Frauen gehen, da es in der heutigen Gesellschaft schwieriger ist, eine Frau zu sein als ein Mann.“

Die Zahlen zur sexuellen Gewalt gegenüber Frauen sind im Vergleich zum Vorjahr gesunken oder gleichgeblieben. Wie schon 2022 gaben 37 Prozent der Frauen – fast jede zweite in der Altersgruppe der 25- bis 49-Jährigen an, im Bereich der Sexualität gegen ihren Willen zu etwas gebracht worden zu sein, etwa zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr auf Drängen des Partners oder zu Geschlechtsverkehr unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ohne ihre explizite Zustimmung.

Zahl der Frauenmorde gesunken

Die Zahl der Frauenmorde ist von 118 Opfern im Jahr 2022 auf schätzungsweise 94 Opfer 2023 gesunken. Von 2017 bis 2022 habe sich jedoch die Zahl der registrierten sexuellen Gewalttaten verdoppelt, erinnert der Gleichstellungsrat. Auch anonyme Opferbefragungen weisen darauf hin, dass die meisten Straftaten im Bereich der sexuellen Gewalt nicht gemeldet werden.

Eine Seite des 40-seitigen Berichts ist der Pornografie gewidmet. 90 Prozent der pornografischen Inhalte zeigt authentische Akte körperlicher, sexueller oder verbaler Gewalt gegen Frauen, hält der Bericht fest. Nur die Hälfte der Männer im Alter von 25-34 Jahren sehe jedoch in dem durch Pornografie vermittelten Frauenbild ein Problem; 64 Prozent – 20 Prozentpunkte mehr als in der Gesamtbevölkerung – gab an, dass Pornografie dazu anrege, die gezeigten sexuellen Handlungen nachzumachen. Der Bericht des Gleichstellungsrats weist außerdem auf eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Ifop hin, die ergeben hat, dass, je jünger Männer mit harter Pornografie konfrontiert werden, desto eher sie den gezeigten Gewaltdarstellungen zustimmen.  DT/fha

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