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Rimbaud, der rastlose Reisende

Charleville ist die Heimatstadt des großen französischen Dichters Arthur Rimbaud – und ein guter Startpunkt für eine Spurensuche.
Arthur Rimbaud
Foto: IMAGO/UIG | Ein Blick, der Welt enthoben: "Hommage à Arthur Rimbaud, Reginald Grey, 2011.

Von Reims aus ist man mit dem Direktzug in nur einer Stunde in Charleville-Mézières. Die an der Maas und nahe der belgischen Grenze gelegene Stadt hat – nach Zusammenschluss von Charleville mit Mézières und der Eingemeindung weiterer Orte – etwa 50 000 Einwohner. Bereits in der Bahnhofshalle zeigt ein großes Wandbild den berühmten Sohn der Stadt: Arthur Rimbaud (1854-1891), wie er – für ihn typisch – unterwegs ist. Mit zerzaustem Haar und melancholisch wirkendem Gesichtsausdruck, strapazierter Kleidung und einer aus einer Jacke herausschauenden, überraschend kräftigen Hand.

Tritt man ins Freie, kommt eine kleine Parkanlage mit einem Musikpavillon in den Blick. Hier stand er einst und sammelte Eindrücke, die er zu einem satirischen Gedicht („À la musique“) verarbeitete. Früh zeigte sich darin nicht nur Talent, sondern auch sein mehr als ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimatstadt und ihren Bewohnern. Eine Büste im Park – zehn Jahre nach seinem Tod errichtet – erinnert an ihn, einen literarischen Mythos, der durchaus vermarktet wird: Rimbaud auf Teetassen oder Honiggläsern, T-Shirts und Magneten, sogar ein Friseur bemächtigte sich seines Namens: Rimbaud würden die Haare zu Berge stehen. Er wird jedoch auch gebührend geehrt, zum Beispiel durch künstlerisch gestaltete Gedichte von ihm an Hauswänden, von Graffiti-Malereien großartig und -flächig illustriert.

Arthur Rimbaud war ein frühreif-brillanter Musterschüler, der unter anderem für lateinische Verse mit Preisen ausgezeichnet wurde und der mühelos aus den Werken großer römischer Dichter zitieren konnte. Mit der Zeit wurde er in neun Fremdsprachen versiert, darunter Arabisch und zwei afrikanische Sprachen. In wenigen Jahren eroberte er literarisches Neuland, schrieb sprach- und bildgewaltige Gedichte und Prosa eigener Art, ein literarisches Feuerwerk. Überdies schrieb er Briefe, deren Stil und Rhythmus faszinieren können; ein Dichter von größtem Einfluss, eminent sprachbegabt. Um Arthur Rimbaud zu verstehen, ist sein Gedicht „Siebenjährige Dichter“ aufschlussreich: Von seiner Mutter (die ihm zu streng und fromm, auf seine schulischen Erfolge aber stolz war) fühlte er sich nicht verstanden. Er las Romane, träumte von der weiten Welt und verschlang Bücher aus der Bibliothek seiner Heimatstadt. In seiner Phantasie hisste er die Segel, als ahne er, dass er, der mit 20 Jahren abrupt mit der Literatur brach, einst ein Abenteurerleben führen würde.

Vor 150 Jahren: Der Bruch

Das unbändige Verlangen, ein „Seher“, ein erleuchteter Mystiker zu sein, brannte in Rimbaud. Er nannte sich Engel (auch Magier), um sich nach einiger Zeit wieder davon zu distanzieren. In berühmt gewordenen und faszinierend formulierten „Seher-Briefen“ kündigte er die geplante „Entregelung der Sinne“ an, um „im Unbekannten“ anzukommen. Rhetorisch klang dieses Programm brillant. Doch führte es natürlich nicht dazu, dass er wie ein Prometheus das Feuer vom Himmel holen konnte.

Früh schon flüchtete Rimbaud wiederholt von zuhause, erst allein, später gemeinsam mit dem berühmten Dichter Paul Verlaine (1844–1896). So lebte er unter anderem in London und auf Zypern, kam nach Stuttgart, Wien und Rom ebenso wie nach Belgien, Holland und Skandinavien. Auch in Ägypten, auf Java und im Jemen schlug er sich durch. Er unternahm Expeditionen nach Äthiopien und Somalia, schrieb einen Bericht für eine geographische Fachzeitschrift, arbeitete als Angestellter einer Handelsfirma, als Kaffeehändler und Organisator großer Kamelkarawanen. Ständig ruhelos, legte er ungeheure Strecken zurück, viele davon zu Fuß oder zu Pferd.

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Ein Besuch des „Museums Rimbaud“ – das in einer alten Mühle untergebracht ist – ist für eine nähere Begegnung mit ihm unverzichtbar. Von der großen Place Ducal aus ist es bereits von Weitem zu sehen. Auch wenn das Konzept der Ausstellung nicht immer überzeugt (so z. B. der Einstieg im oberen Stockwerk, in dem ein Stimmengewirr aus Lautsprechern Bruchstücke seiner Dichtungen näherbringen soll), so lassen sich doch viele bewegende historische Dokumente und Bilder aus seinem Leben entdecken, die stärker berühren als Rimbaud-Zeichnungen von Picasso bis Cocteau, die hier auch zu sehen sind. So zeigen Fotografien den jungen Arthur mit einem reserviert-trotzig wirkenden Blick, ein Heranwachsender, der sich seines intellektuellen Potenzials gewiss ist. So wundert es nicht, dass ein Schuldirektor diesen Kommentar über ihn abgab: „In seinem Kopf geht nichts Gewöhnliches vor“, und dies durch einen Hinweis auf „Genie“ ergänzte. In einem der Räume rücken Besucher näher an Glasvitrinen heran, sind hier doch Gegenstände zu sehen, die Rimbaud einst in den Händen hielt. Darunter ein ramponierter Reisekoffer, eine Landkarte, Decke und Uhr und einfaches Essgeschirr. Fotografien führen Schauplätze seiner Aktivitäten vor Augen, zeigen ihn in lokal üblicher Kleidung. Bilder, in denen seine Haltung den Eindruck vermittelt, der Porträtierte habe sich als Kaffeehändler, Aufseher etc. nicht wohlgefühlt. Aus seiner Zeit in Afrika ist jedoch auch bekannt, dass er Armen gegenüber hilfsbereit war.

Gescheiterter Waffenhändler

Arthur Rimbaud unterhielt einen regen Briefverkehr mit seiner Familie, bat immer wieder um Zusendung von Büchern (zu technisch-wissenschaftlichen und handwerklichen Themen), die im Museum zu sehen sind und deren Größe und Menge erstaunt. Einige von ihm selbst aufgenommene Bilder zeugen von seinem starken Interesse an Fotografie.

Bilder von Ménélik II., des Königs von Choa und späteren Kaisers von Äthiopien, in pompöser Aufmachung erinnern an ein düsteres Kapitel in Rimbauds Leben, suchte er diesen doch als Waffenhändler auf – ein Plan, der in einem finanziellen Desaster endete. Erschütternd sind Dokumente über seine schwere Erkrankung, einen Knietumor, der zur Amputation seines Beins und schließlich zu seinem Tod führte. Briefe aus dieser Zeit klingen ergreifend: „Wie unglücklich ich geworden bin, wie unglücklich...“ Ganz in der Nähe des Museums steht ein Haus, „Maison des Ailleurs“ genannt. Hier lebte Arthur mit der (vom Vater früh verlassenen) Familie sechs Jahre und schrieb viele seiner Gedichte. Das ursprüngliche Mobiliar ist nicht mehr erhalten, daher wirken die Räume zunächst etwas karg. Doch umso besser kann man sich auf Ausstellungsstücke, Schautafeln und Fotografien konzentrieren, die eine Vorstellung seines rastlos-bewegten Lebens, von Charleville bis Harare, vermitteln.

Am nächsten Morgen führt der Weg zum Friedhof in der Avenue Charles Boutet. Kein Mensch weit und breit. Während auf Gräber und Gehwege ein Nieselregen fällt, kommt die Hinweistafel „TOMBE Arthur Rimbaud“ in Sicht. Mehrere Mitglieder seiner Familie wurden hier begraben. Sein Grabstein nennt als Todestag den 10. November 1891. Darunter nur drei Worte: Priez pour lui – Betet für ihn.

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