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Kinoserie „Phantastische Tierwesen“: Rowlings Filme sind kein fantastisches Potter-Franchise

J. K. Rowling zaubert mit der Spin-Off-Kinoserie „Phantastische Tierwesen“ auch nach dem Ende von „Harry Potter“ auf der großen Leinwand. Ein neues Massenphänomen ist die Reihe jedoch nicht .
"Phantastische Tierwesen 3: Dumbledores Geheimnisse"
Foto: dpa | Gellert Grindelwald (Mads Mikkelsen) entnimmt jemandem Erinnerungen mit seinem Zauberstab. Im dritten Teil der Serie „Phantastische Tierwesen – Dumbledores Geheimnisse“ übernimmt der dänische ...

Wie viele Beine hat eigentlich ein Basilisk? Wen diese und ähnliche Fragen mit Blick auf die teilweise äußerst ungewöhnlichen Tiergestalten im „Harry Potter“-Universum umtreibt, findet bereits seit 2001 in dem fiktiven Hogwarts-Schulbuch „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ Antworten – im Gegensatz zur gleichnamigen Spin-Off-Filmserie, deren dritter Teil vor kurzem in den deutschen Kinos gestartet ist und diesbezüglich sich in Schweigen hüllt.

„Es weist auf die Gefahr hin, die droht, wenn hochintelligente und -begabte Menschen ihr Mitgefühl und Verständnis für das scheinbar Kleine, Unbedeutende und Unvollkommene verlieren“

Nachdem die Reise von Harry, Hermine und Ron am Bahnhof von King‘s Cross sowohl in J.K. Rowlings Büchern als auch auf den großen Leinwänden zu Ende ging, hatte ihre Zaubererwelt, davon waren Millionen Fans überzeugt, noch immer einiges zu bieten. 2016 startete Warner Bros. deswegen die bislang auf fünf Teile angelegte Blockbuster-Serie „Phantastische Tierwesen“, die auf dem fiktiven Autor des obengenannten Schulbuches, des magischen Zoologen Newt Scamander, basiert.

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Wie viele Beine ein Basilisk hat, erfährt man wie gesagt im Gegensatz zum Schulbuch im Film nicht: Dessen Feder- und Schuppenkleid bildete nur die Fassade für die Erzählung des „ersten großen Zaubererkriegs“ und der Beziehung zwischen einem jungen Albus Dumbledore (Jude Law) und Gellert Grindelwald (Johnny Depp/Madds Mikkelsen). Im ersten Teil kreuzte Scamander (Eddie Redmayne) scheinbar zufällig die Wege mit Grindelwald, mit dem Rowling eine Art „Zauberer-Nazi“ kreiert hat. Dessen Ziel: Den Zauberern unter seiner Führung ihren „rechtmäßigen Platz“ über den Nicht-Magiern zurückzugeben – Völkermord inklusive. Während der erste Film noch durchschnittliche Kritiken einfuhr und ein respektables Einspielergebnis erzielen konnte, wurde der zweite Teil schlechter rezipiert.

Blockaden aus der Vergangenheit

 

Dieser präsentiert düstere Details aus Dumbledores Vergangenheit: In seiner Jugend hatte er mit Grindelwald, in den er verliebt gewesen war, einen Blutschwur geschlossen. Er kann nun nicht mehr selbst gegen ihn kämpfen, ohne selbst zu sterben. Außerdem hatte sein Bruder einen unehelichen Sohn, der sich jetzt an den Dumbledores dafür rächen will, dass er als Kind verstoßen wurde: Schmutzige Wäsche also, die die Potter-Lieblinge auf der Leinwand reinwaschen sollten. Doch an der Umsetzung haperte es.

Der dritte Teil, „Dumbledores Geheimnisse“, entstand nicht nur unter den Belastungen der Corona-Pandemie. Denn offensichtlich war, dass Grindelwald nicht mehr von Johnny Depp gespielt wurde – aggressiv mit platin-blondem Soldatenschnitt – sondern von einem dunkelhaarigen, melancholisch-kalten Mads Mikkelsen. Depp war die Rolle entzogen worden, nachdem er den Misshandlungsprozess gegen seine Frau verloren hatte. Der unerklärte Wandel innerhalb der Handlung und die unterschiedlichen Interpretationen von Depp und Mikkelsen schaden der Kontinuität der Filmreihe. Mikkelsens Darstellung findet bei Kritikern zwar viel Lob: Depps exzentrischem, dynamischeren Grindelwald vor allem in Teil 2 konnte man es aber eher zutrauen, dass er den jungen Dumbledore einmal fasziniert hatte.

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Tiere, die in Herzen sehen können

Außerdem ist J.K. Rowling im Falle von „Dumbledores Geheimnisse“ neben Steve Kloves nur noch Co-Screenwriterin und Kritiker machen erstaunlicherweise zu recht darauf aufmerksam, dass der dritte Teil wohl deswegen inhaltlich etwas positiver aus der Reihe heraussticht.

Zum ersten Mal spielt in der Reihe ein titelgebendes fantastisches Tierwesen eine Schlüsselrolle: Ein „Quilin“, eine Art Reh im Schuppenkleid, das über die Fähigkeit verfügt, die Seele eines Menschen zu sehen. Grindelwald, der für den Vorsitz der vereinten Zauberernationen kandidiert, tötet eines von zwei neugeborenen Quilin und manipuliert den Kadaver durch schwarze Magie, sodass er ihm vor den versammelten Augen der Zaubererwelt ein reines Herz bezeugt. Im letzten Moment schaffen es Newt Scamander und seine Freunde, das lebende Quilin zur Versammlung zu bringen. Statt Grindelwald ehrt es zu niemandes Überraschung Dumbledore (Jude Law), und spricht ihn so implizit von seinen Selbstvorwürfen los.

Rowling bleibt an der Oberfläche

Ermüdend für deutsche Zuschauer dürfte sein, dass das deutsche Zaubereiministerium eines der ersten ist, das sich Grindelwald und seinen Zauberer-Nazis in diesem dritten Teil offiziell anschließt. Eine verpasste Chance, Zuschauer zu überraschen. Schal und ein wenig bitter erinnert der Film an das, was Rowlings Ur-Reihe besonders gemacht hat: Ihre intelligente Verwebung der Gegensätze Tod und Liebe sowie Gut und Böse. Das zombifizierte Quilin stellt vor Augen, dass das Böse unschuldiges Leben und auch den Tod nicht achtet.

Doch es bleibt nur ein schwaches Echo der ausgeklügelten Horkrux-Mechanik Voldemorts: Der ursprüngliche Bösewicht der „Harry Potter“-Reihe hatte in den Büchern und Filmen seine Seele nämlich in Stücke geschlagen, indem er Morde beging und diese Stücke in Gegenständen versteckt, um so unsterblich zu bleiben. Harry Potter besiegte ihn, indem er sein Leben für seine Freunde hingab. Diese in den Büchern verwurzelten Motive von Selbsthingabe aus Liebe und Verantwortung, die den Tod besiegt und die auch Christen sich genau anschauen sollten, fehlen dem Franchise bis jetzt.

Die zwei Seiten einer Person

Zudem gibt die Blockbuster-Struktur sowohl Rowling als auch ihrem Co-Autor Kloves trotz aller Verbesserungen gegenüber dem vielfach kritisierten Teil 2 keine Zeit, ihre erzählerischen Stärken aus den Büchern zu zeigen. Als Buchautorin verstand sie es, Charakteren Leben einzuhauchen – gute und schreckliche Erfahrungen blieben beim Leser hängen, weil sie diese „aus nächster Nähe“ miterlebten. Und gerade Harry Potter selbst war nicht einfach nur gut oder böse: Leser konnten beide Seiten des Protagonisten genau sehen und verstehen, wie sie in einer Person zusammenpassten.

Rowling hatte die literarische Welt, und nicht nur die, in Aufregung versetzt, als sie 2007 bei einer Fragerunde angab, dass Dumbledore, Direktor der magischen Schule Hogwarts und Mentor des Protagonisten Harry Potter, schwul war. Seine erste Liebe nahm die Form einer zweifelhaften Beziehung mit dem jungen radikalen Zauberer Grindelwald. Vielleicht wollte Rowling, indem sie diese Beziehung zum Konzentrationspunkt dieser Filmreihe machte, ihr schlechtes Image unter LGBTQ-Aktivisten aufbessern: Die Autorin wurde Anfang des Jahres sogar von der hochkarätigen Potter-Cast-Reunion ausgeschlossen, weil sie auf Twitter Positionen des Transgender-Aktivismus kritisiert hatte. Im jetzt erschienenen dritten Teil treffen Dumbledore und Grindelwald nun zum ersten Mal auf der Leinwand aufeinander. Doch dies geschieht unspektakulär und schon gar nicht in der Art und Weise, wie es sich manche LGBTQ-Anhänger wohl erhofft haben.

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Dumbledores Coming-Out ist kein Skandal

Letztendlich eignet sich eine Figur wie Dumbledore – zumindest im dritten Teil der „Phantastischen Tierwesen“ – weder als Galionsfigur für LGBTQ-Aktivisten noch als Sündenbock für Gender-Kritiker.

Während Dumbledore mehrmals seine romantische Anziehung zum jetzigen Franchise-Bösewichten erklärt, deuten er und sein Bruder die Beziehung im Nachhinein eher so, dass es vor allem Grindelwalds Ideen und Begabung gewesen seien, die einem jüngeren und selbst hochbegabten Dumbledore imponierten. Inspiriert durch den jungen Grindelwald konnte der spätere Hogwarts-Professor ohne Rücksicht auf andere erstmals seine magische Genialität ausleben. Das fand sein tragisches Ende im Tod von Ariana, Dumbledores kranker Schwester, die bei einer Auseinandersetzung zwischen Grindelwald und den Dumbledore-Brüdern ums Leben kam.

Wenn das Ideal das Mitgefühl verdrängt

Das eigentlich Skandalöse ist keineswegs ein Outing oder eine Liebeserklärung, sondern dass Dumbledore das Wohlergehen seiner Geschwister riskierte, um eigene radikale Ideen zu verfolgen. So könnte Dumbledores Lebensgeschichte durchaus Stoff für eine faszinierende Geschichte geben – gerade heute, wo erneut ideologische Differenzen Familien spalten. Denn es weist auf die Gefahr hin, die droht, wenn hochintelligente und -begabte Menschen ihr Mitgefühl und Verständnis für das scheinbar Kleine, Unbedeutende und Unvollkommene verlieren.

Dumbledore und Grindelwald hätten zwei Seiten derselben Medaille abbilden können: Grindelwald verfolgt seinen Weg konsequent ins heillose Böse, während Dumbledore umkehrt und sich stattdessen dem Schutz und der Bildung von Zaubererkindern widmet. Aufzuzeigen, dass Weisheit und Demut über Genialität und Stolz siegen – das wäre eine würdige Nachfolge zum Ur-Franchise „Harry Potter“ gewesen.

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