Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Die Wärterin"

Hinter Gittern, hinter der Schuld

Psychologische Studie in einem klaustrophobischen Ambiente: Die zweite Regiearbeit des dänischen Regisseurs Gustav Möller „Die Wärterin“ lotet moralische Grauzonen aus.
Film „Die Wärterin"
Foto: 24 Bilder | Die Gefängniswärterin Eva (Sidse Babett Knudsen) verrichtet ihren Job mit kühler Distanz. Sie glaubt an das Gute im Menschen – selbst Schwerverbrechern gibt sie Yoga-Kurse.

Sidse Babett Knudsen wurde einem größeren Kinopublikum durch ihre Rolle in Susanne Biers Oscar-nominiertem Beziehungsdrama „Nach der Hochzeit“ (Susanne Bier, 2006) bekannt. Noch größere internationale Bekanntheit erlangte die dänische Schauspielerin durch ihre Hauptrolle in der von Kritik und Publikum hochgelobten dänischen Fernsehserie „Borgen – Gefährliche Seilschaften“, in der sie von 2010 bis 2013 sowie 2022 in vier Staffeln die fiktive erste dänische Ministerpräsidentin verkörperte. Derzeit spielt sie eine Archäologin, die die Entdeckung ihres Lebens macht, in der Apple-Serie „Prime Finder“. 

Lesen Sie auch:

In Gustav Möllers zweiter Regiearbeit „Die Wärterin“ (Original: „Vogter“), der am Berlinale-Wettbewerb 2024 teilnahm, und nun im regulären Kinoprogramm startet, betritt Knudsen Neuland als Gefängniswärterin Eva Hansen – eine Figur, die auf das Wesentliche reduziert wird, während sie ihren Alltag in einem heruntergekommenen Gefängnisblock verbringt. 

Eine Figur voller Widersprüche

Eva verrichtet ihren Job mit Professionalität und kühler Distanz. Sie verteilt Zigaretten, unterrichtet Mathematik und versucht, den Insassen ein Stück Normalität zu geben. Stets hat sie ein offenes Ohr für die Anliegen ihrer Häftlinge und bietet Schwerverbrechern sogar Yoga-Kurse an, um der Enge ihrer Zellen zu entkommen. Doch als der neue Häftling Mikkel (Sebastian Bull) in den Hochsicherheitsbereich verlegt wird, verändert sich etwas in ihr. Ohne Erklärung beantragt sie eine Versetzung dorthin. Mikkel, ein junger Mann mit einem ausdruckslosen Blick und einem von Wut geprägten Körper, wird bald Ziel ihrer subtilen Schikanen. Sie verwehrt ihm den Toilettengang, manipuliert seine Post und spuckt in sein Essen. Warum diese plötzliche Obsession? 

Es dauert, bis Möller und sein Mit-Drehbuchautor Emil Nygaard Albertsen die Karten auf den Tisch legen. Plötzlich ergibt alles Sinn – und doch wird nichts einfacher. Eva bleibt eine Figur voller Widersprüche. Der Film wird darüber hinaus zu einer Reflexion über das Gefängnissystem selbst: Ist Mikkel wirklich der Einzige, der hier inhaftiert ist? Oder ist Eva ebenso gefangen – in ihrer Schuld, ihrem Schmerz, ihrer Sehnsucht nach einer unmöglichen Gerechtigkeit?

Möller inszeniert seinen Film mit einer Bildsprache, die den Zuschauer unbarmherzig in Evas Perspektive zwingt. Kameramann Jasper Spanning, mit dem der Regisseur bereits in seinem Spielfilmdebüt „The Guilty“ zusammenarbeitete, nutzt enge Einstellungen und kühle Farbtöne, um die Klaustrophobie dieser Welt zu unterstreichen. Besonders eindringlich sind Szenen, in denen Mikkel seiner Mutter Helle (Marina Bouras) gegenübersteht – Momente von verstörender Intimität, in denen die Kamera so nah an den Figuren bleibt, dass man ihre Emotionen beinahe physisch spürt.

Wie das System selbst versagt

„Die Wärterin“ zeigt auf, wie das System selbst versagt. Mikkel ist nicht einfach nur ein Täter – er ist auch ein Produkt dieser Institutionen, die vorgeben, zu resozialisieren, ihn aber stattdessen immer tiefer in die Gewalt treiben. Eva, die glaubt, die Kontrolle zu haben, verliert sich in ihrer Obsession. Ihr Verhalten wird unberechenbarer, bis sie schließlich zur Täterin wird.

Sidse Babett Knudsen liefert eine beeindruckende Schauspielleistung ab, die weit entfernt ist von der integren Politikerin aus „Borgen“. Ihre Eva ist eine Frau, die sich selbst nicht mehr kennt, eine, die an der Vergangenheit erstickt. Sebastian Bull steht ihr in nichts nach: Sein Mikkel ist eine explosive Mischung aus unterdrückter Wut und tiefer Verlorenheit. Und dann ist da noch Dar Salim als Evas skeptischer Vorgesetzter Rami – eine Stimme der Vernunft in einem System, das längst den Bezug zur Realität verloren hat.

„Die Wärterin“ ist kein leichter Film. Er fordert Geduld, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, moralische Grauzonen zu betreten. Doch er belohnt mit einer vielschichtigen Geschichte, die weit über das klassische Gefängnisdrama hinausgeht. Möller zeigt erneut, dass er ein Meister der psychologischen Spannung ist – und dass wahre Gefangenschaft oft weit mehr als nur eine Frage von Mauern und Stahltüren ist.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
José García Ethik und Moral

Weitere Artikel

Ein Thriller über moralische Grauzonen und raffinierte Taktiken, aber auch mit Hollywood-Klischees: „The Negotiator“.
29.09.2025, 15 Uhr
José García

Kirche

Herausgefordert von Biotechnik und Künstlicher Intelligenz: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde war Thema eines Symposiums der beiden Ratzinger-Schülerkreise in Rom.
02.10.2025, 11 Uhr
Maximilian Welticke
Näher zur eucharistischen Anbetung: Adoratio machte es möglich, mit Vorträgen, Gebetszeiten und Begegnung. Auch Bischof Oster und Sophia Kuby kamen.
02.10.2025, 05 Uhr
Elisabeth Hüffer