Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

Schläue als Waffe gegen rohe Gewalt

Ein Thriller über moralische Grauzonen und raffinierte Taktiken, aber auch mit Hollywood-Klischees: „The Negotiator“.
The Negotiator
Foto: Black Bear Pictures | Ash (Riz Ahmed) hat ein ausgeklügeltes System entwickelt, um in seinem Job als Vermittler zwischen Hinweisgebern und Unternehmen immer unerkannt zu agieren.

Ash (Riz Ahmed) verdient sein Geld, indem er zwischen Whistleblowern – die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Missstände, illegale Handlungen oder unethisches Verhalten in einer Organisation oder einem Unternehmen aufdecken – und deren (ehemaligen) Unternehmen vermittelt. Er sorgt dafür, dass Skandale im Verborgenen bleiben, während Aussteiger mit Abfindungen zum Schweigen gebracht werden.

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David Mackenzies Thriller trägt im Original den Titel „Relay“, benannt nach einer Telefondienstleistung für Menschen mit Hörschädigung. Ash nutzt diesen Service, um vollkommen unerkannt, ja anonym zu bleiben: Niemand hört seine Stimme, niemand weiß, wer er ist. Diese originelle Idee verleiht dem Film einen Hauch Eigenständigkeit und passt perfekt zu einem Protagonisten, der ständig neue Strategien entwickelt, um Verfolgern zu entkommen. Der deutsche Verleihtitel „The Negotiator“ führt dagegen eher in die Irre, da man an ein klassisches Geiseldrama denken könnte, wie etwa an den gleichnamigen Action-Thriller von F. Gary Gray aus dem Jahr 1998 (deutsch: „Verhandlungssache“).

Katz-und-Maus-Spiel

Gleichzeitig ist der Ausgangspunkt moralisch ambivalent, denn Ash schützt die „Hinweisgeber“, trägt indes letztendlich dazu bei, dass Machenschaften vertuscht werden und die Öffentlichkeit im Dunkeln bleibt. Ein Held ist er damit nicht. Gerade dieser moralische Zwiespalt macht den Reiz der ersten Stunde aus. Mackenzie schildert detailreich, wie Ash jede Eventualität einkalkuliert, sich der Bürokratie des US-Postsystems bedient oder Überwachungstechniken aushebelt. In einer großartigen Szene am Flughafen entwickelt sich daraus ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel, das ohne technische Spielereien auskommt und dennoch fesselnder wirkt als manch spektakuläre Actionsequenz von Actionfilmen.

Ashs neueste Klientin ist die Wissenschaftlerin Sarah (Lily James). Sie hatte ihrem Biotech-Arbeitgeber brisante Unterlagen über gefährliche Nebenwirkungen genmanipulierten Saatguts entwendet, wollte die Wahrheit ans Licht bringen, knickte jedoch unter Druck ein. Nun sucht sie mithilfe von Ash einen Ausweg. Doch die Konzernschergen um Dawson (Sam Worthington) setzen alles daran, sie zum Schweigen zu bringen. Zwischen Sarah und Ash entwickelt sich dabei eine fragile Nähe, vermittelt über den Relay-Dienst, der intime Gespräche stets durch die neutrale Stimme eines Telefonvermittlers filtert. Distanz und Vertrautheit liegen hier nah beieinander.

Am Ende konventionelle Hollywood-Action

Dramaturgisch fädelt das Drehbuch von Justin Piasecki das Zusammenkommen der zwei Figuren so ein, dass Ash gerade einen Fall wortwörtlich zu den Akten gelegt hat – gleichzeitig eine Möglichkeit, die Vorgehensweise des jungen Mannes darzustellen. Ob allerdings der „alte“ Fall noch eine Rolle spielt, wird sich womöglich noch zeigen.

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Solange sich Mackenzie auf das Katz-und-Maus-Spiel mit dessen raffinierten Abläufen konzentriert, bleibt „The Negotiator“ spannend, originell und unterhaltsam. Riz Ahmed überzeugt als brillanter Kopf, der immer einen Schachzug vorauszudenken scheint, während Lily James als gehetzte Whistleblowerin eine verletzliche Seite zeigt. Doch je mehr Ash Gefühle für Sarah entwickelt, desto mehr verliert er seine Präzision – und der Film leider seinen besonderen Ton. In der letzten halben Stunde kippt das Geschehen in konventionelle Hollywood-Action.

Schläue besiegt rohe Gewalt

Auch moralisch glättet Mackenzie das Geschehen. Anfangs ein fragwürdiger Vermittler, der Konzernen bei der Vertuschung hilft, wird Ash am Ende zum Retter, der sich gegen die „wirklich Bösen“ stellt. Die Ambivalenz weicht der gängigen Logik des Thrillers: Der Held muss moralisch rehabilitiert werden. Damit verliert der Film jene Tiefe, die ihn hätte aus der Masse herausheben können.

Trotzdem ist „The Negotiator“ sehenswert. Mackenzie versteht es, Spannung aus Details zu gewinnen, statt aus spektakulären Explosionen. Immer wieder triumphiert Schläue über rohe Gewalt – und allein das sorgt für Vergnügen. Zwar verschenkt der Film auf der Zielgeraden einiges, doch in seinen besten Momenten ist er ein intelligenter, origineller Thriller, der zeigt, wie nahe Überwachung, Anonymität und moralische Grauzonen beieinanderliegen.

Der Rezensent ist promovierter Historiker und schreibt über kulturelle und mediale Themen.

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