Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Satiriker zieht über Lebensschützer her

Jan Böhmermann und das Verstummen eines moralischen Grundtons

Der „Satiriker“ zieht in einer Sendung über Lebensschützer her. Stefan Groß-Lobkowicz sieht darin einen moralischen Bankrott. Wer die Schutzbedürftigsten verspotte, verspotte den Kern des Menschlichen.
Kritik an Jan Böhmermann
Foto: IMAGO/Christoph Hardt (www.imago-images.de) | In Jan Böhmermann jüngster Sendung wurden Menschen, die sich für das Ungeborene einsetzen, als „Föten-Fanatiker“ und „Gebärmutter-Stalker“ abqualifiziert, als wären sie eine skurrile Randgruppe und nicht jene, die ...

Es gibt selten jene Augenblicke, in denen sich der Zustand einer Gesellschaft nicht in langatmigen Analysen zeigt, sondern in einem einzigen Bild, das sich in das Bewusstsein einschreibt. Die jüngste Sendung Jan Böhmermanns über Abtreibung war ein solcher Moment. Man hätte sie als weitere Provokation in einer bereits überreizten Medienlandschaft abtun können, wäre da nicht diese eigentümliche Selbstverständlichkeit gewesen, mit der das Fragilste verspottet wurde: Menschen, die sich für das Ungeborene einsetzen, wurden als „Föten-Fanatiker“ und „Gebärmutter-Stalker“ abqualifiziert, als wären sie eine skurrile Randgruppe und nicht jene, die eine jahrhundertealte moralische Intuition verteidigen.

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Nicht die Schärfe der Worte irritierte, sondern die absolute Mühelosigkeit, mit der sie ausgesprochen wurden. Was dort im Gewand der Satire erschien, war letztlich Ausdruck einer schwindenden Sensibilität gegenüber dem Anfang des Menschlichen.

Die Verschiebung der Zielrichtung – und was sie über die Epoche verrät

Der Angriff, den man als „satirisch“ deklarierte, zielte nicht auf Institutionen, nicht auf Mächtige, nicht auf jene, die sich hinter Funktion und Einfluss verbergen. Die Attacke richtete sich nach unten, auf Menschen, die oft im Stillen handeln, ohne Lobby, ohne Medienmacht. Genau das macht diese Szene so bezeichnend.

Eine Gesellschaft verrät sich nicht in ihren großen Reden, sondern in dem, wen sie ohne Zögern zur Zielscheibe macht. Wer über das Anfanghafte lacht, lacht nicht über eine Meinung, sondern über eine Grundbedingung der eigenen Zivilisation. Und wer sich dabei moralisch überlegen fühlt, hat nicht nur den Maßstab verloren, sondern auch das Bewusstsein dafür, dass der Schutz des Schwächsten keine Frage der Ideologie ist, sondern die älteste Instanz menschlicher Kultur.

Der Anfang des Lebens als Grenze des Zynismus

Wer über das ungeborene Leben spricht, betritt einen Bereich, der sich den Gewohnheiten des modernen Entertainments entzieht. Die Biologie ist hier nüchtern und unbestechlich, die Moral hingegen heikel und tief. Leben beginnt nicht erst dann, wenn es sichtbar ist, sondern in dem Augenblick, in dem es existiert. Aus dieser schlichten Tatsache erwächst der Kern einer Verantwortung, die keine Epoche völlig ignorieren konnte, ohne sich selbst zu beschädigen.

Augustinus hat diesen Anfang metaphysisch gefasst, Thomas von Aquin begrifflich, Kant in seine Ethik der Unverfügbarkeit eingeschrieben. Hannah Arendt sah darin ein politisches Ereignis, Bonhoeffer ein unbedingtes moralisches Gebot, Guardini und Spaemann verankerten es in der Moderne, MacIntyre führte es in die Sprache einer verletzlichen Anthropologie.

Ihr gemeinsamer Gedanke ist nicht strittig, sondern schlicht: Leben ist nicht verfügbar. Diese Einsicht macht keine Weltanschauung aus, sondern eine Schwelle. Wer sie überschreitet, verliert nicht eine Position, sondern die Fähigkeit, Würde überhaupt noch zu denken.

Der Fehler der Gegenwart: Lautstärke anstelle von Unterscheidungsvermögen

Die Böhmermann-Sendung war deshalb nicht bloß geschmacklos. Sie war ein Symptom. Sie zeigte, wie leicht Satire ihren Gegenstand verfehlen kann, wenn sie nicht den Unterschied kennt zwischen Kritik und Herabsetzung. Der Spott traf nicht Strukturen, sondern Verwundbarkeit. Er traf nicht die Lärmerzeuger, sondern die Stillen. Und so offenbarte er weniger über die Angegriffenen als über die Gegenwart selbst.

Eine Epoche, die diesen Richtungswechsel nicht mehr bemerkt, hält Lautstärke für Mut, Ironie für Intelligenz und Reflexe für Urteile. Das Problem ist nicht ein einzelner Moderator, sondern eine Öffentlichkeit, die das Leise nicht mehr erkennt und das Unverfügbare nicht mehr achtet.

Die besondere Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Sprechens

Ein öffentlich-rechtliches Format trägt eine Verantwortung, die weit über den Witz des Abends hinausgeht. Es spricht nicht nur zu einem Publikum, sondern im Namen eines Gemeinwesens, das noch nicht völlig vergessen hat, was eine Grenze ist. Es darf provozieren, aber nicht abwerten. Es darf zuspitzen, aber nicht entwürdigen.

Wenn ein solches Format das Ungeborene zum Material einer satirischen Verrenkung macht, stellt sich die Frage nach seiner Tragbarkeit nicht aus moralischer Empörung, sondern aus intellektueller Hygiene. Eine Gesellschaft, die sich selbst ernst nimmt, weiß, dass es Orte gibt, an denen man nicht mit dem Holzhammer hantiert, weil dort das Fundament liegt.

Der Prüfstein einer Kultur

Das ungeborene Leben hat keine Lobby und braucht gerade deshalb jene, die ihm Stimme geben. Eine Kultur zeigt sich im Umgang mit dem, was nicht zurückschlagen kann. Sie zeigt sich nicht in ihren Parolen, nicht in ihren Modethemen, nicht in ihrer medialen Eitelkeit, sondern darin, ob sie den Mut hat, dort Respekt zu zeigen, wo es keinen Applaus gibt.

Dass dieser Respekt im medialen Lärm untergeht, ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern ein zivilisatorisches. Eine Gesellschaft, die das Anfanghafte verspottet, lacht nicht über einen Gegner, sondern über sich selbst. Sie entleert ihre eigenen Grundlagen und verliert das Bewusstsein dafür, dass der Schutz des Schwächsten nicht sentimentaler Kitsch, sondern die Bedingung jeder humanen Ordnung ist.

Was auf dem Spiel steht

Am Ende dieser Debatte steht nicht die Frage, ob eine Sendung geschmacklos war. Das ist zu flach gedacht. Die eigentliche Frage lautet: Wie viel kulturelle Selbstachtung besitzt eine Gesellschaft noch, die zulässt, dass das Ernsteste, was sie kennt, zum Material eines Gag-Formats wird?

Wer die Würde am Anfang des Lebens nicht mehr erkennt, verliert das Kriterium, an dem er sich selbst misst. Wer die Schutzbedürftigkeit verspottet, verspottet den Kern des Menschlichen. Und wer das ernst nimmt, weiß, dass in diesem Konflikt nicht eine Position zur Debatte steht, sondern die Form, in der ein Gemeinwesen überhaupt noch bestehen kann.


Der Autor ist Pressesprecher des Bistums Regensburg.

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Stefan Groß-Lobkowicz Ethik und Moral Lebensschutz

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