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Nach dem Sturm die Stille

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Gott zu begegnen. Der Prophet Elija macht auf dem Berg Horeb eine prägende Erfahrung.

 Erschöpft und niedergeschlagen erreicht der Prophet Elija den Gottesberg Horeb. Kräftezehrende Auseinandersetzungen mit den Anhängern des Götzengottes Baal gehen dieser Episode voraus. Weil Elija damit auch die Interessen der Königin Isebel berührt, die den Baals-Kult in Israel erst salonfähig gemacht hatte, ergreift er vor ihrem Zorn die Flucht. Sein Weg führt ihn in die Wüste und „da wünschte er sich, sterben zu können“ (1 Kön 19,  4). Auf den emotionalen Tiefpunkt, den der Text mit diesem Wunsch markiert, folgt das Handeln Gottes. Ein Gottesbote versorgt Elija mit dem Lebensnotwendigen: Brot und Wasser werden ihm in der Wüste gereicht und unterstreichen die andauernde Fürsorge Gottes, die auch in extremen Lebenssituationen in ganz alltäglichen Dingen erfahrbar werden kann. 

Diese Erfahrung lässt Elija weitergehen, bis er – die Zeitspanne stellt eine Verbindung zur Wüstenwanderung des Volkes Israel her – nach vierzig Tagen und vierzig Nächten den Berg Gottes, den Horeb erreicht. Die markante Zeitspanne, das Wüsten-Setting, als auch die rettende Gabe von Brot und Wasser machen deutlich, dass mit dem Berg Horeb kein anderer Berg gemeint sein kann, als der Berg Sinai, an dem das Volk Israel nach seiner Herausführung aus Ägypten lagert und wo sich Gott dem Volk offenbart. 

Wie offenbart Gott sich dem Menschen?

Im Alten Testament deutet sich durch solche Gemeinsamkeiten ein dialogisches Verhältnis an, in das Texte zueinander treten. In der Tat lässt sich das, was Elija nun am Gottesberg erlebt, im Gegenüber zu einer ganz ähnlichen Szene deuten, die für das Volk Israel an derselben Stelle erzählt wird.
Beide Male wird unter Bezugnahme auf spektakuläre Naturphänomene die Frage aufgegriffen, wie sich Gott dem Menschen offenbart. Während es in Exodus 19 heißt, Gott erscheine dem Volk Israel in den Naturgewalten (Feuer, Donner, Blitz und Beben), so werden diese in 1 Könige 19 lediglich als Vorboten verstanden, von denen betont wird, dass Gott nicht in all dem ist. Erst im kaum mehr wahrzunehmenden Säuseln wird Elija die Anwesenheit Gottes bewusst.

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Exodus 19 und 1 Könige 19 entwickeln so auf beeindruckende Weise anhand derselben Motive zwei vollkommen unterschiedliche Konzepte, wie Gott im menschlichen Leben erfahrbar werden kann. In dem, was laut und gewaltig ist, lässt sich Gott finden, aber auch in den unscheinbaren und leisen Momenten gibt Gott Kunde von sich. So erzählt ein Ort, an dem sich zwei Geschichten abspielen, von den ganz gegensätzlichen Möglichkeiten, Gott zu begegnen.

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