Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Spanischer Missbrauchsbericht

Wenig Fakten und eine beträchtliche Menge Spekulation

In dem vom spanischen Parlament in Auftrag gegebenen Bericht zu sexuellem Missbrauch haben spanische Plattformen gravierende Fehler entdeckt.
Der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenz, Kardinal Juan José Omella
Foto: Matthias Oesterle via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenz, Kardinal Juan José Omella, äußerte er Kritik an den „Hochrechnungen“, die einige Medien auf Basis der im Missbrauchsbericht genannten Zahlen vorgenommen haben.

Der Bericht über sexuellen Missbrauch im kirchlichen Bereich in Spanien, den der Ombudsmann im Auftrag des spanischen Parlaments erstellt und vergangene Woche vorgestellt hat, hat zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenzen, Kardinal Juan José Omella, bat die Opfer um Verzeihung und versprach, „sich für ihre Heilung einzusetzen.“ Gleichzeitig äußerte er Kritik an den „Hochrechnungen“, die einige Medien auf Basis der im Bericht genannten Zahlen vorgenommen haben. Auf seinem X-Account schrieb Kardinal Omella: „Die von einigen Medien hochgerechneten Zahlen sind unwahr und sollen irreführen.“ 

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Ähnliche Standpunkte äußerten auch andere Bischöfe, darunter Erzbischof Celso Morga von Mérida-Badajoz, der in einem Beitrag für die Online-Plattform „Omnes“ betonte, dass die Kirche die Wahrheit anstrebt. Er wies darauf hin, dass die Wahrheit auf Fakten beruht und nicht auf „demoskopischen Schätzungen“, die in einer so sensiblen Angelegenheit Verwirrung stiften können. Morga betonte gleichzeitig die Bereitschaft der Kirche, den Opfern zuzuhören, ihre Heilung zu unterstützen und mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten. Er wies darauf hin, dass die Kirche sich der Notwendigkeit bewusst sei, die Opfer zu unterstützen und die Wahrheit ans Licht zu bringen.

99 Prozent der Täter bleiben außer Betracht

Mehrere Plattformen setzen sich kritisch mit der Methodik des Berichts auseinander. „Forumlibertas.com“ listet 20 Thesen beziehungsweise Kritikpunkte auf, und bezeichnet die Erstellung des Berichts als „diskriminierend“. Sie bemängelt, dass der Bericht das Ausmaß eines weitverbreiteten Verbrechens auf eine kleine Minderheit von Tätern konzentriert, während 99 Prozent der Täter außer Betracht bleiben. Die Plattform argumentiert, dass das Parlament außerdem nicht über die rechtliche Kompetenz verfüge, eine solche Untersuchung durchzuführen, da die Aufgabe des Ombudsmanns auf die Untersuchung des Verhaltens der öffentlichen Verwaltungen beschränkt sei. Der Bericht lasse beispielsweise die pädophilen Verbrechen beiseite, die in öffentlichen Einrichtungen begangen würden, die sehr wohl in dessen Zuständigkeit fielen. 

„Forum Libertas“ kritisiert darüber hinaus die Vermischung von aktenkundigen Fällen mit den Ergebnissen einer Umfrage, was in anderen Medien ebenfalls aufgegriffen wurde. Die Plattform weist darauf hin, dass die Umfrage „dazu dient, das Ausmaß der angeblichen Verbrechen zu übertreiben, das sich in der Realität nicht widerspiegelt“. Denn eine direkte Befragung der angeblichen Opfer sei nur in einer geringen Zahl erfolgt. 

Die Plattform „e-cristians.cat“ weist ebenfalls auf die geringe Zahl der im Bericht genannten Fälle hin: „In dem Bericht werden nur 14 Fälle beschrieben, von denen sich einer anscheinend auf den Senegal bezieht, und von den 405 Interviews mit angeblichen Opfern handelt es sich nur um 360 wirkliche Opfer. Die restlichen 45 betreffen angebliche Opfer, die von Dritten benannt wurden.“

Das Ergebnis hat eigentlich keine Aussagekraft

Die Plattform kritisiert die Methode der Umfrage und weist darauf hin, dass bei gut 8.000 Interviews in einer Bevölkerung von 38,9 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 90 Jahren eine Fehlermarge von einem Prozent bestehe. Dies bedeute, dass jedes Umfrageergebnis um ein Prozent abweichen kann. Wenn die Umfrage selbst zeige, dass 0,6 Prozent der Opfer Geistliche und weitere 0,53 Prozent der Opfer Laien, die mit katholischen Einrichtungen in Verbindung stehen, als Täter angegeben haben, habe das Ergebnis eigentlich keine Aussagekraft, da die Fehlermarge größer ist als das Ergebnis.

Angesichts dieser Zahlen sei jede Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung schlicht demagogisch. Die von der Zeitung „El País“ errechnete Zahl von 440.000 Opfern sei ein „statistischer und soziometrischer Fehler“. Die Tatsache, dass einige Medien diese Zahl unter Berufung auf den Bericht des Bürgerbeauftragten veröffentlicht haben, sei ethisch bedenklich und eine Irreführung der Leser und Zuhörer.

Die Plattform argumentiert, dass nach der „El País-Methode“ aus denselben Umfragedaten, nach denen 11,6 Prozent der über 18-Jährigen missbraucht worden sein sollen, sich ergeben würde, dass in Spanien 4,5 Millionen Erwachsene leben, die als Minderjährige missbraucht worden wären. Von diesen seien 4,1 Millionen außerhalb des kirchlichen Kontexts missbraucht worden, ohne dass die Regierung dagegen Maßnahmen ergriffen habe und ohne dass die Medien sich damit auseinandergesetzt hätten, weder damals noch heute.

Weitere Mängel in Bezug auf die Umfrage

Zusätzlich zu den bereits erwähnten Kritikpunkten weist die Plattform „e-cristians“ auf weitere Mängel in Bezug auf die Umfrage hin. Sie betont, dass es keine Kontrollfragen bezüglich der Weltanschauung der Befragten gab, was die Frage nach der Repräsentativität der Umfrage aufwirft. Es fehle jegliche Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt der gegebenen Antworten zu überprüfen. Es gebe ein „enormes Missverhältnis“ zwischen den von den Befragern getätigten 113.126 Anrufen, der unbekannten Anzahl derjenigen, die zur Aussage bereit waren, und den tatsächlich durchgeführten 4.802 Interviews. Dies lasse vermuten, dass ein unbekannter Anteil der Befragten an der Umfrage ein bestimmtes Interesse gehabt haben könnte. Ein weiteres schwerwiegendes Versäumnis bestehe darin, dass der Bericht weder den Fragebogen der Umfrage wiedergebe noch definiere, was bei der Befragung als sexueller Missbrauch galt.

Die Plattform kritisiert, dass die Umfrage auf der aktuellen Projektion des Gedächtnisses beruht und sich auf Verbrechen bezieht, die vor Jahrzehnten begangen wurden, hauptsächlich in den 1960er bis 1980er Jahren. Dies steht im Widerspruch zur Tatsache, dass Berichte über sexuellen Kindesmissbrauch in anderen Bereichen der Gesellschaft seit Anfang des Jahrhunderts zugenommen haben.

Die Plattform „e-cristians“ fordert Ombudsmann Ángel Gabilondo dazu auf, zu erklären, „warum er sich für eine Umfrage entschieden hat, anstatt auf verfügbare empirische Daten wie den Bericht der Kinderhilfsorganisation ANAR, die Berichte von e-cristians und offizielle Datenquellen wie die Jahresberichte über Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und die von der Generalstaatsanwaltschaft zusammengestellten Fälle, zurückzugreifen. Sie verlangt eine öffentliche Begründung dafür, warum die Ergebnisse der Umfrage nicht den Fakten, wie Statistiken über Beschwerden und Strafverfolgungen, gegenübergestellt wurden.

Abschließend fordert die Plattform, dass die Umfrage von unabhängigen Experten, die nicht vom Ombudsmann ernannt werden, einer Peer Review unterzogen werde, um ihre Validität und Zuverlässigkeit zu überprüfen.

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