Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Mehr als 1.000 Fälle

Schweiz: Studie zu Missbrauch in der Kirche vorgestellt

Die Pilotstudie der Universität Zürich identifiziert im Umkreis der katholischen Kirche 1.002 Fälle sexuellen Missbrauchs in den letzten 73 Jahren.
Schweizer Missbrauchsstudie veröffentlicht
Foto: Marijan Murat (dpa) | Das Historische Seminar der Universität Zürich identifizierte in seiner Studie 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Nun sollen weitere Untersuchungen folgen.

Für die katholische Kirche in der Schweiz sind an diesem Dienstag die Ergebnisse einer einjährigen Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts vorgestellt worden.

Das von der Schweizer Bischofskonferenzen (SBK), der Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS) und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) beauftragte Historische Seminar der Universität Zürich identifizierte dabei 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Nun sollen weitere Untersuchungen folgen.

In 74 Prozent der Fälle Minderjährige betroffen

Laut der Pressemitteilung der Universität Zürich soll die Mehrheit der Betroffenen des Missbrauchs männlich (56 Prozent) gewesen sein, in 39 Prozent der Fälle waren die Betroffenen weiblich. In den übrigen fünf Prozent der Fälle könne das Geschlecht der Opfer nicht mehr festgestellt werden. Die Beschuldigten waren fast ausschließlich Männer, so der Bericht. Bei 149 der beschuldigten Personen habe man zwei oder mehr Betroffene identifizieren können, während den übrigen 361 Beschuldigten sexueller Missbrauch an einer Person nachgewiesen werden könne.

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In fast Dreiviertel der Fälle (74 Prozent) sollen die Opfer des sexuellen Missbrauchs minderjährig gewesen sein. Bei zwölf Prozent bleibt das Alter nicht eindeutig nachweisbar. Damit betrafen etwa 14 Prozent der Fälle eine erwachsene Person.

In zusätzlich 30 identifizierten Fällen von sexuellem Missbrauch hatten die beschuldigten Personen einen Bezug zu einer Schweizer Institution der katholischen Kirche, die Tat selbst aber sei im Ausland verübt worden.

Als Quellenmaterial für die Studie wurden besonders Geheimarchivbestände sowie die Archive der Fachgremien „Sexuelle Übergriffe“ der Schweizerischen Bischofskonferenzen und der Diözesen untersucht. Staatliche und private Archive (etwas Staatsarchive, Archivbestände zu Schulen und Heimen) konnten dabei nur ergänzend oder gar nicht einbezogen werden.

Erst ein kleiner Teil der Fälle erfasst

Wie das Forschungsteam ausdrücklich anmerkte, konnte durch dieses Projekt erst ein kleiner Teil der Fälle erfasst werden. Das Spektrum der Fälle erstrecke sich zwischen problematischen Grenzüberschreitungen und schwersten, systematischen Missbräuchen. Ebenfalls hebt die Studie hervor, dass „in der Regel überführte Täter durch die Kirche äußerst milde oder gar nicht bestraft“ worden seien. Erst im 21. Jahrhundert habe sich dies verändert, „als der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen immer häufiger für Skandale sorgte“.

Zwischen den verschiedenen Schweizer Diözesen und ihren Fachgremien identifizierte man starke Unterschiede der „Professionalisierungsgrade“. Teilweise fehle es an klaren Regelungen über die Abläufe, manchmal mangele es auch an einer getreuen Umsetzung. Die Kommunikation zwischen den diözesanen Fachgremien sei „sehr beschränkt“.

Die 136-seitige Studie ist laut eigenen Angaben ein erster systematischer Versuch, um in der Schweiz sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche genau zu erfassen. Zukünftig sollen weitere Archivbestände analysiert werden. DT/jmo

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