Herr Kardinal, Sie haben sechs Tage die Ukraine besucht und mit den Gläubigen gesprochen. Seit Montag sind Sie wieder in Deutschland. Welche Station Ihrer Reise hat Sie am meisten beeindruckt?
Die Trauerfeier für drei gefallene Soldaten in Lemberg werde ich nicht mehr vergessen. Die Bilder haben sich tief in meine Seele eingeprägt. Die Menschen haben sich festgehalten und versucht, sich gegenseitig Halt zu geben. Dieses unvorstellbare Leid macht existenziell betroffen. Die Priester leisten in dieser schweren Zeit eine großartige Arbeit und sind nicht nur bei solchen Trauerfeiern ganz nahe bei den Menschen. Das konnte ich beim Besuch auf einem Militärfriedhof erleben, wo wir gemeinsam mit den Verwandten an den Gräbern der Gefallenen gedacht und gebetet haben. Dort sind innerhalb kürzester Zeit 1.000 Soldaten bestattet worden.
Konnten Sie auch mit Vertretern anderer Kirchen oder christlicher Gemeinschaften sprechen?
Auf der Reise haben sich zahlreiche Gespräche mit Bischöfen, Priestern und Ordensleuten unterschiedlichster Gemeinschaften ergeben. Ein Statement hörte ich dabei praktisch unisono: Man möchte nicht von Russland in irgendeiner Weise beherrscht werden. Die griechisch-katholischen Bischöfe befürchten beispielsweise, dass ihre Priester und deren Familien erneut in Gulags müssen und ihre Kirche nach langen Jahren im Untergrund wieder in großer Gefahr ist.
Welchen Eindruck haben Sie vom Zusammenhalt der katholischen Gläubigen? Bleiben die – teilweise verheirateten – Priester der Ostkirche bei ihren Gemeinden?
Es ist kaum möglich, in so einem riesigen Land während weniger Tage einen umfassenden Eindruck zu gewinnen. Meine persönlichen Erlebnisse stimmen mich jedenfalls optimistisch. Der Zusammenhalt hat sich durch die traumatischen Erlebnisse, die man gemeinsam erlebt hat und weiter erlebt, deutlich verstärkt. Die Not führt Menschen zusammen und schafft eine Atmosphäre von Solidarität und echtem Miteinander. Die Kirche, so wie ich sie erlebt habe, erweist sich in dieser schweren Zeit als zuverlässiger Anker.
Während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar haben mehrere osteuropäische Staatschefs vor Putins gefürchtetem Expansionsdrang gewarnt. Wie begründet erscheint Ihnen diese Warnung?
Ich bin weder Politiker noch Militär. Deshalb kann ich mich im Letzten nicht wirklich qualifiziert dazu äußern. Ich möchte die Aufmerksamkeit lieber auf die große Not der Kriegsopfer und Flüchtlinge richten, die angesichts der vielen Militärfragen leider oft vergessen werden. Allein schon wenn sich der Krieg in der Ukraine weiter ausweiten sollte, müssen wir mit über 10 Millionen zusätzlichen Flüchtlingen in Europa rechnen.
Der ukrainische Vorstoß in Kursk deutet auf eine weitere Eskalation des Krieges hin. Wie stehen ukrainische Kirchenvertreter zu dieser Strategie?
Wir haben das Thema vor allem nachrichtlich diskutiert. Welche tatsächlichen und nachhaltigen Auswirkungen sich aus dem Vorstoß ergeben, wollte kaum einer schon jetzt bewerten.
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