Eine Woche nach der Veröffentlichung des Gutachtens zum Forschungsprojekt über sexualisierte Gewalt im Bistum Osnabrück hat die Bistumsleitung am Mittwoch in einer Pressekonferenz erste Ergebnisse präsentiert. Generalvikar Ulrich Beckwerment äußerte sich im Namen des erkrankten Bischofs Dominikus Meier. Ziel von Bistum, Betroffenenrat und unabhängiger Monitoring-Gruppe sei es, die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige zu beschleunigen. Diese Aufarbeitung soll ermöglichen, dass Kinder und Jugendliche die Kirche als sicheren Raum erleben können.
Nach der Gutachtenveröffentlichung reflektierte die Bistumsleitung gemeinsam mit Fachleuten die Ergebnisse. Ein Austausch mit dem Betroffenenrat Nord fand ebenfalls statt. Die erhobenen Zahlen zeigen das Ausmaß des Missbrauchsskandals im Bistum: 349 identifizierbare Betroffene und mindestens 60 gesicherte Hinweise auf weitere Fälle seit 1945. Generalvikar Beckwerment betonte, dass die Dunkelziffer möglicherweise bis zu zehnmal höher sein könnte.
Prävention und Bildungsarbeit
Diese Zahlen würden eine Wirklichkeit über die Vergangenheit des Bistums zum Ausdruck bringen, aus der für die heute Verantwortlichen drei wesentliche Schlüsse zu ziehen seien: „Wir dürfen nicht darin nachlassen, die Aufarbeitung des Erlebten weiter zu betreiben, müssen Betroffene bestmöglich unterstützen und alles Erdenkliche dafür tun, dass sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche keine Zukunft mehr hat.“
In der ersten Auswertung wurden sechs Arbeitsfelder festgelegt, in denen die Ergebnisse des Abschlussberichts umgesetzt werden sollen. Insbesondere sollen die gewonnenen Erkenntnisse in die Prävention und Bildungsarbeit des Bistums einfließen, um die Wahrnehmung zu schärfen und der Schweigespirale entgegenzuwirken.
Das Bistum beteiligt sich am Verfahren zur Anerkennung des Leids, das für Betroffene als niederschwelliger gilt als ein staatliches Gerichtsverfahren. Zudem ist es dem Bistum wichtig, die Betroffenen in den Diskurs einzubinden und den Austausch mit dem Betroffenenrat Nord zu intensivieren. Auch der Dialog mit den Fachleuten der Universität Osnabrück, die den Abschlussbericht erstellt haben, wird fortgeführt.
Neue Verwaltungsstandards geplant
Soweit Defizite im Umgang mit sexualisiertem Missbrauch festgestellt wurden, arbeitet man mit der Bischofskonferenz an neuen Verwaltungsstandards, die auch die Dokumentation betreffen. Der Abschlussbericht stützt die Überzeugung, dass der diözesane Schutzprozess den richtigen Rahmen zur Aufarbeitung bietet. Papst Franziskus' Forderung, das Böse ans Licht zu bringen, wird als Leitlinie betrachtet.
Ilona Düing vom Betroffenenrat Nord dankte den Autoren der Studie für die klare Benennung von Verbrechen und Pflichtverletzungen der Bistumsleitung. Sie betonte, dass die Perspektive der Betroffenen in der Studie wichtig sei und dass diese nur die Spitze des Eisbergs zeige. Der Bericht solle die Grundlage für weitere Aufarbeitungen bilden. Sie äußerte den Wunsch, dass das Bistum die Aufarbeitung ernsthaft und zügig angehe.
Düing kritisierte, dass durch Wegsehen und Vertuschen in der Vergangenheit viel Leid entstanden sei, das hätte verhindert werden können. Auch heute erlebe man eine zu zaghafte Auseinandersetzung mit den Taten.
Unsensibler Umgang mit traumatisierten Menschen
Es sei immer wieder schockierend für Betroffene, wenn sie erleben müssten, wie unsensibel mit traumatisierten Menschen umgegangen wurde und zum Teil immer noch werde. Das Wohlergehen der Täter und ihres Umfelds würde auch heute noch manchmal als wichtiger erscheinen als das Wohlergehen der Betroffenen und ihrer Familien. „Wir Betroffene kommen so nicht zur Ruhe – wir dürfen anscheinend immer noch nicht zur Ruhe kommen“, beklagte Düing. Sie machte aber auch deutlich: „Wir lassen Ihnen auch keine Ruhe, bis alles Böse ans Licht gebracht wurde und die Täter gerichtet wurden.“
Düing hofft, dass der neue Bischof von Osnabrück sich stärker auf die Seite der Betroffenen stelle als sein Amtsvorgänger und die Aufarbeitung vorantreibe.
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