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Verschiedenheit macht glücklich

Raphael Bonelli widerlegt die Gender-Ideologen und zeigt Wege aus Beziehungskrisen. Von Stephan Baier
Münchner Kocherlball im Englischen Garten
Foto: dpa | Männlichkeit und Weiblichkeit nicht aufgeben, sondern kultivieren, meint Buchautor Raphael M. Bonelli.

Der Wiener Psychiater Raphael Bonelli ist überzeugt, dass die Beziehung von Mann und Frau nur gelingt, „wenn sich die Geschlechter in ihrer Verschiedenheit gleichberechtigt auf Augenhöhe begegnen“. Beides – die Verschiedenheit wie die Notwendigkeit des gleichberechtigten Umgangs – expliziert er in seinem aktuellen Buch, das geeignet wäre, zur Versachlichung in der überhitzten Gender-Debatte beizutragen. Viele Gender-Ideologen, die – wie Ideologen zumeist – an einer Versachlichung gar nicht interessiert sind, sondern den Kulturkampf wollen, und ihn auch gewinnen wollen, dürften an Bonellis Buch keine Freude haben: Der an der Sigmund Freud-Universität Wien tätige Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeut belegt seine Thesen mit zahlreichen aktuellen wissenschaftlichen Studien und praxiserprobten Argumenten.

Der verheiratete Vater von drei Söhnen ist kein Macho, der auf das vermeintlich schwache Geschlecht herabschaut, sondern ein Wissenschaftler, der die Fakten präsentiert und nachvollziehbar argumentiert, sowie ein Therapeut, der von den Verwundungen der in den Geschlechterkampf verstrickten Paare zu berichten weiß. Die unterschiedlichen Talente, Begabungen und Stärken von Mann und Frau nachzuweisen und ans Licht zu heben, ist für Bonelli nicht Selbstzweck. Vielmehr zielt er auf ein gelingendes Leben und geglückte Beziehungen. Nicht zufällig überschreibt er den dritten Teil des vorliegenden Werks mit „Die Rettung des Eros“. Das Fazit lautet: „Erst an der Frau entdeckt der Mann den umfassenden Sinn seiner Männlichkeit – und umgekehrt. Es liegt dann an beiden, diese Potenziale wechselseitig zu nutzen, um gemeinsam ein glückliches Leben zu führen.“ Solches gelingt aber nur auf Augenhöhe: „Liebe funktioniert niemals asymmetrisch.“

Wer nun meint, ein gestörtes Liebesleben sei vor allem das Problem der älteren, vermeintlich verklemmten Generation, während die sexuell befreiten Generationen glücklicher seien, wird das vorliegende Werk mit Erkenntnisgewinn lesen. Die Unter-40-Jährigen begeben sich nicht nur häufiger in Psychotherapie als ihre Eltern, sie haben auch ein Problem mit dauerhaften Beziehungen. „Es scheint, als hätten Liebe, Eros und Erotik um die Jahrtausendwende einen Schwächeanfall erlitten“, bilanziert Bonelli. „Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten haben alle Hände voll zu tun, die Beziehungskisten der Millennials wieder notdürftig zusammenzuflicken.“ Viele solche Fälle aus seiner therapeutischen Praxis schildert der Autor lebensnah und erkenntnisfördernd. Die Fallbeispiele zeigen, wie Menschen sich aus ideologischen, psychologischen oder schlicht lebensgeschichtlichen Gründen in Beziehungs-Sackgassen verrennen – und wie sie wieder herausfinden konnten oder könnten. Zu den ideologischen Ursachen gehört auch dies: „Millennials erlebten von klein auf die Auflösung der stereotypen Rollen und das Verschwimmen der männlichen und weiblichen Geschlechtsidentität.“ Bonelli, der zuletzt mit Büchern über „Perfektionismus“ (2014) und „Männlicher Narzissmus“ (2016) Furore machte, plädiert angesichts der offenkundigen Irrationalitäten der Gender-Ideologen allerdings nicht für eine Wiederbelebung alter Geschlechter-Klischees, sondern für eine neue – wissenschaftlich fundierte, nicht ideologisch konstruierte – Synthese.

Detailreich zeigt der Autor die unterschiedlichen Talente von Mann und Frau auf. Wer immer schon wissen wollte, warum sich unter den 50 erfolgreichsten Dart-Spielern der Welt keine Frau findet, warum die Weltrekorde im Speer- und Hammerwurf von Männern gehalten werden, warum die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in allen Kulturen der Welt um Jahre höher liegt als jene der Männer, warum sich Frauen besser in andere Menschen hineinversetzen können und höhere Empathie besitzen, der wird bei Bonelli die Gründe finden. Die Gender-Medizin hat da Konsequenzen gezogen und blendet die Unterschiede nicht aus: „Dank der Gender-Medizin konnte in den letzten Jahren der Einfluss des biologischen Geschlechtes auf praktisch alle Hirnfunktionen herausgearbeitet werden.“

Die biologischen Unterschiede haben aber ihre psychologischen Konsequenzen: „Bei männlichen Testleitern schaffen Frauen mehr Sit-ups und laufen schneller als bei weiblichen Testleitern. Auch der Kommunikationsstil zwischen einem Ehepaar unterscheidet sich, abhängig vom Geschlecht des Therapeuten, der ihnen gegenübersitzt.“ Frauen leiden häufiger an Essstörungen, Angsterkrankungen und Depressionen. Männer häufiger an Autismus, Sexualstörungen und Alkoholismus.

Männer, die stolz darauf verweisen, dass unter den Nobelpreisträgern, Schachweltmeistern und musikalischen Wunderkindern das männliche Geschlecht klar dominiert, müssen sich von Bonelli sagen lassen, dass das auch bei den Schulversagern und Straftätern, insbesondere bei den Mördern, der Fall ist. Die salomonische Antwort auf die Frage nach dem intelligenteren Geschlecht lautet: „Aufgrund der unterschiedlichen Begabungen von Mann und Frau kann man jederzeit das eine oder das andere Geschlecht ,intelligenter‘ erscheinen lassen – je nach Zusammensetzung der Testaufgaben.“ Insgesamt seien Männer und Frauen „kognitiv sicherlich auf gleicher Augenhöhe“. Und doch hätten sie „zwei Arten, die Welt zu erfassen und zu verarbeiten“.

In der Analyse der als Komplementarität gedeuteten Unterschiedlichkeit verlässt sich der Psychiater nicht auf Stereotypen, sondern nimmt zeitgenössische wissenschaftliche Studien unter die Lupe. Die Ergebnisse sind teilweise überraschend: Frauen haben weniger Sprachstörungen als Männer, machen beim Reden weniger Pausen, haben mehr Blickkontakt mit ihren Kindern, artikulieren mehr Verständnis und präferieren altruistische Beziehungen. Der Autor bringt das Wesen der Weiblichkeit in Verbindung mit emotionaler Intelligenz und sozialer Kompetenz, das der Männlichkeit mit emotionaler Stabilität und Sachlichkeit. Männer denken linearer, agieren grober, sind wettbewerbsorientierter und machtbewusster. Bonelli stellt klar, dass diese Forschungsergebnisse für alle Kulturen gelten.

Die gute Nachricht ist: „Mann und Frau tun einander gut! Sie können sich gegenseitig beraten, ergänzen, fördern, optimieren und coachen.“ Allerdings nur dann, wenn der Mann seine Männlichkeit nicht aufgibt und die Frau ihre Weiblichkeit kultiviert – und wenn beide einander gleichberechtigt begegnen. Verdrängte und beratungsresistente Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit sind in Bonellis Sicht deshalb „Liebestöter“. Fazit: Männer und Frauen sind jeweils ergänzungsbedürftig, aber im geglückten Fall ergänzen sie einander auch. Und das kann Bonelli eben nicht nur postulieren, sondern – darin besteht ein Mehrwert des vorliegenden Buches – auch belegen.

Raphael M. Bonelli:
Frauen brauchen Männer (und umgekehrt). Couchgeschichten eines Wiener Psychiaters.
Kösel Verlag, München 2018, 350 Seiten, ISBN 978-3-466-34687-5, EUR 22,–

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