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Mit der Macht der Sprache

Medien: Joseph Görres ist der Begründer der katholischen Publizistik in Deutschland. Von Monika Fink-Lang
Joseph Görres auf einem Kölner Domfenster
Foto: Kölner Dombauverein | Joseph Görres ist auf einem Kölner Domfenster zu sehen. Eine besondere Ehre, die seine Bedeutung unterstreicht.

Joseph Görres passt in keine Schublade. Das Spektrum seiner Arbeiten reicht von der politischen Satire bis zur kirchenpolitischen Streitschrift, von der Naturphilosophie und Physiologie bis zur altdeutschen Epik, von der asiatischen Mythengeschichte bis hin zur christlichen Mystik. Er begann als Propagandist der französischen Revolution und wurde am Ende zum Vorkämpfer des deutschen Katholizismus. Er war unermüdlicher Forscher, wortgewaltiger Stilist – und nicht zuletzt in allen Phasen seines Lebens leidenschaftlicher politischer Publizist.

„Für die reine unverfälschte Wahrheit“ einzutreten, „ohne Menschenfurcht und ohne Fanatism“ – das ist das erklärte Ziel des Publizisten Joseph Görres. Von Anfang an ist er überzeugt von der Macht und Verantwortung der Presse. Sie ist für ihn „die wichtigste Waffe im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit“. Als Sprachrohr der öffentlichen Meinung, so sagt er, ist der Journalist zur Kontrolle der Politik berufen, er soll Missstände aufdecken und anprangern, als moralisches Gewissen fungieren, Einfluss nehmen und dabei mutig und unerschrocken Position beziehen.

Anhänger der Revolution

Görres wird 1776 in Koblenz geboren. Als Schüler erlebt er die französische Revolution, mit 18, gerade dem Gymnasium entwachsen, den Einmarsch der Franzosen in seine Heimatstadt. Mit glühender Begeisterung verschreibt er sich den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, erfüllt von Abscheu gegen die alte Ordnung und gegen verknöcherte Hierarchien, von einem tief empfundenen Freiheitsdrang, vor allem aber vom idealistischen Glauben an die Möglichkeit eines moralischen Fortschritts der Menschheit.

Mit 22 gründet er seine erste Zeitung, das Rothe Blatt. Er ist nicht nur verantwortlicher Herausgeber, sondern auch Hauptautor des Blatts, zeigt in seinen Beiträgen schon sein schriftstellerisches Genie, seine unverwechselbare bilderreiche Sprache und sein satirisches Talent. Sein wichtigstes Anliegen: das Schreckgespenst einer Wiederkehr des alten Despotismus zu bannen und dem Republikanismus zum Sieg zu verhelfen. Seine Vision für die Zukunft: eine europäische Vielvölkerrepublik ohne Monopole, ohne Zensur und ohne den „Despotismus der Pfaffheit“, unter der Führung und nach dem Vorbild des revolutionären Frankreich. Sein Hauptanspruch: Unparteilichkeit und Kampf gegen jede Ungerechtigkeit, „ewiger Krieg allen Spitzbuben“. Seine Zeitung wird dabei unversehens zum Organ eines engagierten Enthüllungsjournalismus. Vom ersten Heft an nämlich prangert Joseph Görres Amtsmissbrauch und Korruption an, nennt die schwarzen Schafe beim Namen – ohne Rücksicht und ohne Angst vor den Folgen.

Der revolutionären Begeisterung folgt sehr schnell die Desillusionierung. Bereits im Winter 1800 hat sich Görres auf einer Reise nach Paris innerlich von seinem bisherigen Ziel der politischen Union mit Frankreich verabschiedet. Damals wird er sich nicht nur der Unterschiede von deutschem und französischem Nationalcharakter bewusst, er sieht auch im Staatsstreich Napoleons den Verrat der Grande Nation an den Idealen der Revolution.

So zieht er sich nun völlig aus der Politik zurück. Er verheiratet sich, arbeitet als Lehrer für Physik und Chemie am Koblenzer Gymnasium, vertieft sich in naturwissenschaftliche und medizinische Studien, schreibt seine ersten naturphilosophischen Werke. Zwei Jahre verbringt er als Dozent in Heidelberg, wird mit Achim von Arnim und Clemens Brentano zum Vorkämpfer der Heidelberger Romantik.

Über Politik schreibt er in dieser Zeit nicht, die strenge Zensur des napoleonischen Systems macht es unmöglich. Inmitten der Wirren der Napoleonischen Kriege beschäftigt er sich im französisch besetzten Koblenz mit philosophischen und germanistischen Themen, mit den Urmythen der Völker, mit mittelalterlichen Volksbüchern und altdeutschen Epen. Doch auch diese scheinbar unpolitischen Themen haben einen politischen Kern. Ihr Ziel ist die Wiedererweckung des Bewusstseins einer nationalen Identität aller Deutschen aus der eigenen Geschichte und den eigenen Quellen – aus seiner Sicht Voraussetzung einer politischen Erneuerung.

Als Journalist gegen Napoleon

Als Anfang 1814 mit dem Einmarsch der Truppen der Allianz gegen Napoleon die 20-jährige Franzosenherrschaft links des Rheins endet, stellt sich Görres sofort mit dem ihm eigenen Sendungsbewusstsein dem Gebot der Stunde. Noch im Januar erscheint die erste Ausgabe seines Rheinischen Merkur. Diese Zeitung, deren Einfluss und Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, macht Görres schlagartig berühmt. Sie wird von Menschen aller Schichten in ganz Deutschland gelesen, von den Regierenden nervös beobachtet. Zunächst verschreibt sich der Merkur dem Kampf gegen Napoleon, den „blut- und ländergierigen Tyrannen“.

Mit dem Beginn des Wiener Kongresses tritt dann die Frage der künftigen Gestalt eines geeinten Deutschland in den Vordergrund. Der Merkur zieht nun gegen all jene zu Felde, die einer deutschen Einheit und der Forderung nach einer Verfassung im Wege stehen. Das schafft ihm Feinde bei den Regierungen in ganz Deutschland, und auch in Preußen erheben sich zunehmend Stimmen, die auf ein Verbot des Merkur drängen. Doch Görres lässt sich nicht einschüchtern, will sich keinen Maulkorb aufzwingen lassen, fordert vollständige Zensurfreiheit. Er sei, so schreibt er, „nicht ohne höhern Beruf am Orte“, habe „ein heiliges Amt zu verwalten“.

„Ich muss es nach meinem Gewissen führen“

„Ich muss es nach meinem Gewissen führen, oder völlig niederlegen. Mir ist es nicht gegeben, mich unter Zwang und Rücksichten geistig zu bewegen, kann ich nicht länger meiner Überzeugung folgen und muss ich einen andern Richter als mein Gefühl und meinen Takt befragen, dann weicht der Geist von mir, und ich bringe kaum das Gewöhnliche zu Stande“, schreibt er. Ein halbes Jahr später wird der Rheinische Merkur dann tatsächlich mit königlicher Kabinetsordre verboten.

Mit dem Ende des Merkur ist Görres zwar sein publizistisches Organ genommen, aber geschlagen gibt er sich noch nicht. 1819 meldet er sich mit einem Paukenschlag zu Wort. Die Schrift „Teutschland und die Revolution“ bringt den endgültigen Bruch mit Preußen. Görres' Anliegen ist es, angesichts der gärenden politischen Situation, der durch die Karlsbader Beschlüsse, die allgegenwärtige Gesinnungsschnüffelei und Zensur aufgeheizten Stimmung, die Regierenden vor einer drohenden Revolution zu warnen. Das Volk müsse seine alten Rechte einfordern, so schreibt er, „das Verdienst muss jeden Rangunterschied ausgleichen, die Rede und der Gedanke müssen frei sein“. Die Fürsten müssen „sich beugen vor der Macht der Ideen, die sich in dieser Zeit kund gegeben“, andernfalls werde sie die Geschichte bestrafen: „wehe denen! die nicht tun, was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht versagen, nach dem die Kläger rufen.“ Görres' Warnung wird als Plädoyer für die Revolution missverstanden. Am 30. September 1819 ergeht von Berlin aus der Haftbefehl, dem sich Görres nur durch die schnelle Flucht nach Straßburg entziehen kann.

Das Exil führt Görres für acht lange Jahre nach Straßburg und nach Aarau in der Schweiz. In der katholischen Atmosphäre des Elsaß vollendet sich seine endgültige Rückkehr zur katholischen Kirche. ESeine Beiträge stehen jetzt bereits ganz im Zeichen der katholischen Apologie.

1838 holt den mittlerweile 62-Jährigen die Politik noch einmal ein. Aktueller Anlass ist die Gefangennahme des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering durch die preußische Regierung im Verlauf des Streits um die Behandlung konfessioneller Mischehen. In seiner berühmten Streitschrift Athanasius wird Görres zum Sprachrohr des katholischen Deutschland gegen die Willkür des preußischen Staats und zum Anwalt der Freiheit der Kirche. Er fordert volle Religions- und Gewissensfreiheit für das katholische Volk, Gleichberechtigung der Konfessionen und eine eigene Rechts-Sphäre für die Kirche.

Am 29. Januar 1848 stirbt Joseph Görres, inmitten der Wirren eines großen politischen Umschwungs, während sich die europäische Revolution von 1848 vorbereitet. Er hat bis zuletzt die Entwicklungen mit Sorge beobachtet. Sein letzter unvollendeter Artikel für die Historisch-politischen Blätter zum neuen Jahr 1848 ist voll düsterer Vorahnungen. Es drohe der Sieg der zerstörenden Kräfte über die bewahrenden, Am Ende dieses Aufsatzes aber steht die trotzige Hoffnung: „Das Recht aber bleibt ungekränkt, gestern wie heute, immer dasselbe und unwandelbar.“

Die Autorin ist Verfasserin von „Joseph Görres – Die Biografie“.

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