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Wie Boris Palmer sich selbst im Weg steht

Der Fall des Tübinger Oberbürgermeisters ist ein Beispiel dafür, wie man politische Energie auf Nebenkriegsschauplätzen verschwendet.
Der Fall des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer
Foto: IMAGO/Ulmer (www.imago-images.de) | Alle Welt diskutiert jetzt über den Tübinger Oberbürgermeister und seine Verwendung des sogenannten N-Wortes. Aber niemand spricht mehr von der Frankfurter Konferenz über Migration, bei der es zu dem Eklat gekommen ist.

Unsere Debattenkultur leidet nicht daran, dass niemand mehr leidenschaftlich über politische Fragen streiten will. Das eigentliche Problem: Es stehen nur viel zu oft die falschen Fragen im Zentrum. Was das heißt, zeigt das Beispiel Boris Palmer. Jetzt diskutiert alle Welt über den Tübinger Oberbürgermeister und seine Verwendung des sogenannten N-Wortes. Aber niemand spricht mehr von der Frankfurter Konferenz über Migration, bei der es zu dem Eklat gekommen ist. Und das ist ärgerlich: Denn die Konferenz hätte es wegen ihrer inhaltlichen Qualität verdient, nicht in den Palmer-Strudel hineingezogen zu werden. 

Die Verdächtigungen zielten ins Leer

Was ist passiert?  Auf Einladung des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam waren am Freitag hochkarätige Referenten zusammengekommen, um unter der Überschrift „Migration steuern, Pluralität gestalten“ über Einwanderungspolitik nachzudenken. Im Vorfeld hatte es zwar massive Kritik von den üblichen Verdächtigen gegeben – dem Asta, einem hessischen SPD-Provinzpolitiker -, hier solle rechtspopulistisches Gedankengut verbreitet werden. Doch das Besondere war: Diese Verdächtigungen zielten ins Leere. Die Universitätsleitung distanzierte sich nicht, auch der hessische Ministerpräsident zog seine Schirmherrschaft nicht zurück. Stattdessen stellte sich der Eindruck ein: Die Wissenschaftsfreiheit hat sich durchgesetzt. Ein positives Zeichen, das auch nicht dadurch getrübt werden konnte, dass ein Häuflein linker Demonstranten vor dem Tagungsgebäude Position bezog. 

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Bis Boris Palmer kam. Er ist der linken Szene ein Dorn im Auge, weil er das sogenannte N-Wort verwendet hatte. Am Freitag wurde er von den Demonstranten mit „Nazis raus“-Rufen empfangen. Gewiss, Palmer sollte provoziert werden. Aber – das war der Fehler – er ließ sich auch provozieren. Es kam zu der Aussage: „Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach."  Die Folge: Massive Kritik an Palmers Äußerungen, zuerst direkt vor Ort und dann noch das ganze Wochenende über auf allen nur denkbaren medialen Kanälen. Gestern zog Palmer die Konsequenz, kündigte eine Auszeit an, trat endgültig bei den Grünen aus – vor allem aber: Er entschuldigte sich. 

Zu Lasten der eigentlichen politischen Aufgabe

Der Fall Palmer ist symptomatisch dafür, wie sich ein Politiker in Kulturkampfdebatten verstrickt, bei denen von Beginn an klar ist, dass sie nicht zu gewinnen sind. Gibt es wirklich nichts Wichtigeres für einen Oberbürgermeister, als sich mit voller Kraft in einen Streit um die Verwendung des sogenannten N-Wortes zu stürzen?

Nun kann man ja sympathisch finden, dass Palmer ein Mensch ist, der sich den Mund nicht verbieten lassen will und deswegen vor solchen Streitpunkten nicht zurückschreckt. Aber das geht eben immer zu Lasten der eigentlichen politischen Aufgabe. Der Tübinger Oberbürgermeister hätte vieles dazu zu sagen, welche Aufgaben mit Blick auf das Thema Migration die Kommunen zu stemmen haben. Doch es hört ihm nun keiner mehr zu. So weit hätte es nicht kommen müssen.

Lesen Sie weitere Berichte über die Frankfurter Tagung zu Migration in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

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Sebastian Sasse Boris Palmer Einwanderungspolitik

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