Es passt schon ganz gut, dass Robert Habeck sich gerade jetzt zurückzieht. In diesen Tagen begeht Deutschland nämlich ein spezielles „Jubiläum“: Genau zehn Jahre ist es her, dass Angela Merkel mit Blick auf die Flüchtlingskrise ihr berühmtes „Wir schaffen das“ gesprochen hat. Ganz unabhängig davon, wie man inhaltlich diesen Satz der damaligen Kanzlerin bewerten mag, eines steht fest: Selten hat ein deutscher Regierungschef das Volk dermaßen emotional in Wallung versetzt.
Auf der einen Seite diejenigen, denen die Kanzlerin aus dem Herzen zu sprechen schien. Auf der anderen die Bürger, die von vorneherein ein Grummeln im Bauch spürten angesichts eines ihnen naiv erscheinenden Optimismus. Auf beiden Seiten gab und gibt es natürlich unterschiedliche Grade, sowohl was die Argumente als auch was die emotionale Gewichtung angeht. Jedenfalls ist diese Zweiteilung bis in die Gegenwart für die deutsche Politik prägend.
Der Wunsch-Ersatzkanzler der „Wir schaffen das“-Fraktion
Angela Merkel kämpft zwar, wie man gestern Abend in einer ARD-Dokumentation beobachten konnte, dafür, die Deutungsmacht über die Ereignisse von damals zu behalten. Trotzdem: Sie ist jetzt in Rente. Die „Wir schaffen das“-Fraktion benötigt also einen neuen politischen Führer. Bei der letzten Bundestagswahl hatte Robert Habeck diesen Job übernommen. Allerdings zeigten die Ergebnisse für den grünen Kanzlerkandidaten auch, wie es denn tatsächlich um die Mehrheitsverhältnisse für dieses Lager steht.
Aber Robert Habeck blieb auch nach seinem Scheitern für dieses Klientel der Wunsch-Ersatzkanzler. Und wahrscheinlich, das wirft einen Blick auf das Politikverständnis der Bionade-Bourgeoisie, ist er es mit seinem Rückzug immer noch oder sogar gerade deswegen. „Der Robert“ war eben zu sensibel für das harte politische Geschäft.
Und wenn es tatsächlich nicht falsch ist, in Robert Habeck so etwas wie Merkels kleinen Bruder zu sehen, so zeigen sich doch gerade auf dieser handwerklichen Ebene die Unterschiede. Angela Merkel zählte nie zur „Warmduscher“-Fraktion. Ihre einmalige Machtposition hat sie sich mit Cleverness, Disziplin und Härte errungen. Auch ist gar nicht so klar, ob sie bei der Flüchtlingspolitik wirklich von tiefen inneren Überzeugungen getrieben worden ist. Die Flüchtlingsfrage wurde nur irgendwann zu ihrer eigenen Machtfrage. Das, weniger ideologische Verbohrtheit, minderte ihre Kompromissfähigkeit.
Habeck ist ein Produkt der Wohlstandsära der Bundesrepublik
Ganz anders Habeck: Er ist ein Produkt der Wohlstandsära der Bundesrepublik. Der Apothekersohn wuchs behütet auf. Bis zum Schluss hat der Doktor der Philosophie nicht verstanden, dass die vielen Stunden der Muße, die er und seine Mitstreiter der Reflexion über die Probleme unserer Industriegesellschaft widmeten, nur durch den Wohlstand ermöglicht wurden, den diese Gesellschaft erwirtschaftet hat. Auch wenn er zum Schluss, er war schließlich Bundeswirtschaftsminister, im üblichen Sonntagsreden-Duktus über die Segnungen der Sozialen Marktwirtschaft räsonieren konnte, hat er doch die Grundvoraussetzungen dieser Gesellschafts- und Wirtschaftsform nicht erkannt.
Stattdessen hing er, bewusst oder zunehmend wahrscheinlich auch unbewusst, der alten Utopie der „Neuen Linken“ an, die sich in seiner Jugend anschickte, in der Bundesrepublik die intellektuelle Deutungshoheit zu übernehmen: Es ging darum, den Demokratie-Begriff zu besetzen. Was Demokratie ist, das bestimmen wir. Und wer unserer Zukunftsvision von „echter Demokratie“ nicht folgt, der ist ein „Demokratiefeind“.
Diese Sicherheit schafft Arroganz und einen ewigen Hang zum Pädagogisieren. Habecks Vorteil war, dass er diesem Habitus, der seine Partei vermutlich bis ans Ende ihrer Tage prägen wird, ein freundliches Gesicht geben konnte: Drei-Tage-Bart statt drohendem Zeigefinger, Vertrauenslehrer statt Praeceptor Germaniae. Habecks Erfolg ist aber auch der Beweis dafür, dass bestimmte Teile des deutschen Bürgertums sich nur an einem Ort am wohlsten fühlen: in der ewigen Schule. Merkel war die flotte Direktorin und Habeck der Lehrer, der die spannendsten Stunden hält. Er spricht zwar die schwierigen Themen an, am Ende werden aber alle versetzt; Hauptsache, sie zeigen gute Gesinnung.
Belehrender Ton auch in Habecks Abschiedsinterview
Der belehrende Ton zieht sich bis in Habecks Abschiedsinterview mit der taz, wo er Julia Klöckner und Markus Söder noch einen mitgibt. Wahrscheinlich ist er an seiner neuen Uni ganz gut aufgehoben, da kann er seine pädagogischen Ambitionen ausleben. Es bleibt nur ein Unbehagen: Wieso nimmt ausgerechnet der Mann, der das Gesicht der Generation „Ich will nicht erwachsen werden“ in der Politik ist, so selbstverständlich diese belehrende Attitüde für sich in Anspruch? Habecks Mitarbeiter könnten zum Abschied Herbert Grönemeyers Hit „Kinder an die Macht“ spielen. Das würde passen. Vielleicht kommt dann auch Mutti vorbei.
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