Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung 17. Juni 1953

„Parallelen zum russischen Krieg gegen die Ukraine“

Vor 70 Jahren wurde der Volksaufstand brutal von den Sowjets niedergeschlagen. Diese Verbrechen wurden totgeschwiegen. Über die Folgen spricht Hubertus Knabe im Interview.
Erinnerung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953
Foto: Stefan Sauer (dpa) | Ein Schild mit dem Schriftzug "Platz des 17. Juni" weist in der Hansestadt Stralsund an den DDR-Volksaufstandes am 17. Juni 1953 hin.

Wenige Forscher haben so intensiv die Geschichte des SED-Unrechtsregimes untersucht wie Hubertus Knabe. Der Historiker hat auch ein Standardwerk zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 verfasst, das nun zum 70. Jahrestag in überarbeiteter Form neu erschienen ist (17. Juni 1953: Ein deutscher Aufstand, Langen Müller).

Bedeutendes Ereignis in der deutschen Freiheitsgeschichte

Für Knabe ist der Tag ein bedeutendes Ereignis in der deutschen Freiheitsgeschichte, an den aber in Deutschland kaum erinnert werde. „Wenn Sie einen Geschichtslehrer in Deutschland fragen, ob er Ihnen einen einzigen Aufständischen mit Namen nennen kann, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine negative Antwort bekommen. Das ist erstaunlich, denn für keine andere Revolution in Deutschland war so viel Mut erforderlich wie für den Aufstand im Juni 1953“, sagt Knabe im aktuellen Interview mit der „Tagespost“.

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Es bestehe überhaupt eine große Ignoranz gegenüber dem Widerstand gegen die kommunistische Diktatur: „Der Linksruck in Folge der Studentenbewegung bewirkte eine große Ignoranz gegenüber den Verbrechen des Kommunismus. Auch heute interessieren sich die meinungsbildenden Eliten mehr für andere Themen wie zum Beispiel Kolonialismus oder Geschlechtergleichstellung. Es gibt über hundert Lehrstühle für Genderstudien, aber keinen einzigen zur DDR-Geschichte.“ 

Dieses Totschweigen der Verbrechen habe auch Folgen für den deutschen Blick auf Russland gehabt: „Diese imperialistische Politik ist in Russland nie richtig aufgearbeitet worden, insbesondere das Verhalten der Armee. Nicht nur 1945 und 1953, sondern auch 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei und nach 1979 in Afghanistan begingen die sowjetischen Truppen schwere Kriegsverbrechen. Statt die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, etablierten die jeweils Herrschenden einen pathetischen Heroismus, der eine kritische Reflextion unmöglich machte. Und Deutschland hat diese Politik des Schweigens indirekt mit unterstützt, indem es die Sowjetunion seit Richard von Weizsäckers berühmter Rede 1985 zu Befreiern erklärte, obwohl sie nur die eine Diktatur durch eine andere ersetzt hatte. Dass die Machthaber in Russland bis heute kein Bewusstsein dafür haben, dass es Unrecht ist, in andere Länder einzufallen, ist in meinen Augen eine wesentliche Ursache für den Ukraine-Krieg.“  DT/sesa

Welche Erfahrung macht Hubertus Knabe bei seinen Lesungen Ostdeutschland? Welche Rolle spielt die Geschichtspolitik für den russischen Angriffskrieg? Lesen Sie das komplette Interview in der nächsten Ausgabe der „Tagespost“.

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