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Lina E. und die Spirale der Gewalt

Mit Solidarität für Lina E. sind wir meilenweit entfernt vom christlichen Grundsatz „Hasse die Sünde, nicht den Sünder“.
Proteste nach Urteil gegen Lina E. - Leipzig
Foto: Sebastian Willnow (dpa) | Lina-Prozess: "Wir bekämpfen Rechtsextremismus nicht, indem wir Linksextremismus tolerieren oder sogar beschönigen.", sagt Anna Diouf.

„Ob Links- oder Rechtsextremismus – da sehe ich keinen Unterschied.“ „Doch, doch“, ruft das Känguru laut dazwischen. „Es gibt einen Unterschied. Die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos anzünden ist schlimmer. Denn es hätte mein Auto sein können. Ausländer besitze ich keine.“ So lautet ein Dialog zwischen einer Politikerin und dem Känguru in Marc-Uwe Klings „Die Känguru-Chroniken“; ein Buch über ein kommunistisches Känguru, das eines Tages einfach beim Autor einzieht, Schnapspralinen liebt und gegen Nazis kämpft. Die Känguru-Chroniken sprühen vor Absurdität und frechen Sentenzen, die sich gern stereotyp an „Rechten“ abarbeiten; wobei zuweilen unklar bleibt, ob mit „rechts“ lediglich „möchte seinen Traktor nicht an die Kolchose abgeben“ oder „Ausländer raus“ gemeint ist.

Gewalt lässt sich nicht mit zynischen Aussagen rechtfertigen

Marc-Uwe Kling schafft, was derzeit vielen dezidiert linken politischen Comedians nicht mehr gelingt: An erster Stelle steht der Lacher, nicht die Botschaft, weshalb er nicht belehrend wirkt. Auch der eingangs zitierte Auszug ist bitter, aber witzig. Und es steckt insofern ein Funken Wahrheit darin, als dass viele Menschen dazu neigen, auf Gewalt, die ihnen nicht gefährlich wird, mit geringer Betroffenheit zu reagieren.

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Dies gilt allerdings ebenso für jene, die nun versuchen, die Gewalt gegen Rechtsextreme, wie sie von der Linksextremen Lina E. und ihren Komplizen ausgeübt wurde, mit zynischen Aussagen zu rechtfertigen, etwa, dass „einfach kein Nazi sein“ doch ausreichend vor linker Gewalt schütze.

Dünner zivilisatorischer Firnis 

Die Diskussion um die Verurteilung Lina E.‘s ist spannend, weil sie zeigt, wie dünn der zivilisatorische Firnis ist, den wir für gegeben und stabil halten: Klings Witz steht hier stellvertretend für eine Haltung, die gefährlich ist, nicht nur, weil sie verharmlost, sondern weil sie, während sie Entmenschlichung anklagt, selbst entmenschlicht: Der mörderische Terror der Rote Armee Fraktion liegt gerade einmal 50 Jahre zurück. Waren die Opfer dieser Gewalt keine Menschen?

Gewalttätige Ausschreitungen, im Zuge derer nicht „nur“ Autos angezündet, sondern Polizisten angegriffen werden, sind keineswegs eine Seltenheit; auch im Zuge der Solidaritätsdemonstrationen für besagte Lina E. kam es in Leipzig-Connewitz zu solchen Angriffen – es ist also schlicht und ergreifend zynisch, den Mythos von der „guten aber schlecht umgesetzten Idee“ des Kommunismus aufrechtzuerhalten, und dementsprechend Gewaltanwendung im Namen dieser Idee offen oder insgeheim zu exkulpieren.

Plädoyer für unverlierbare Menschenwürde und - Feindesliebe

Polizisten sind keine Gegenstände. Und auch Rechtsextreme haben Bürgerrechte und eine unverlierbare Menschenwürde. Wenn sie Verbrechen begehen, gehören sie verurteilt. Sie gehören mit  zivilgesellschaftlichen Mitteln bekämpft und wenn möglich – auch wenn dies selten vorkommen mag – überzeugt. Denn Hass schadet schließlich nicht nur dem Opfer des Hasses, sondern auch dem, der hasst.
Mit Solidarität für Lina E. sind wir nicht nur meilenweit entfernt von Feindesliebe oder vom christlichen Grundsatz „Hasse die Sünde, nicht den Sünder“.

Wir unterschreiten eklatant selbst die Grundlage „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und bejahen nicht nur eine Gewaltspirale, sondern auch die Aufweichung des Gewaltmonopols des Staates. Wir bekämpfen Rechtsextremismus nicht, indem wir Linksextremismus tolerieren oder sogar beschönigen. Es gilt, den Rechtsstaat auch innerlich zu achten – der effektivste Schutz vor Ideologien, wie auch immer sie geartet sein mögen; der Garant dafür, dass Bürgerrechte für alle gelten. Für den Kommunisten, für den Salafisten, für den Neonazi. Und für mich.

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Anna Diouf

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