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„Lex Tusk“ und ein Konstruktionsfehler

Großdemo bei Sonnenschein: In Polen gehen Tausende aus Protest gegen die PiS-Regierung auf die Straßen.
Proteste der Oppositionsparteien in Polen
Foto: Czarek Sokolowski (AP) | Donald Tusk (r), Vorsitzender der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), und Lech Walesa, ehemaliger Präsident von Polen, bei einem Protest gegen die Politik der PiS-Regierung.

Beim Streit zwischen der nationalkonservativen PiS-Partei und der liberal-bürgerlichen PO geht es immer ums Ganze: Das war schon so, als Donald Tusk (PO) von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens war, und es ist nicht anders seit dem Jahr 2015. Solange regiert PiS mittlerweile – die längste Zeit mit Premier Mateusz Morawiecki an der Spitze. Beide Parteien und ihre Anhänger werfen der jeweils anderen Seite unlautere politische Mittel und Ziele vor, den Abbau der Demokratie zum Beispiel oder die Steuerung der staatlich-öffentlichen Medien.

Neues Gesetz nimmt Oppositionsführer Tusk ins Visier

So überrascht es nicht, dass Oppositionsführer Donald Tusk am vergangenen Sonntag zahlreiche Anhänger und PiS-Gegner zu einer Großdemo in Warschau und anderen polnischen Städten motivieren konnte. Zwischen 150.000 und 500.000 Demonstranten, hier schwanken die Angaben zwischen Veranstalter und Polens Nachrichtenagentur ziemlich, kamen bei herrlichem Sommerwetter allein in der polnischen Hauptstadt zusammen, um für den Erhalt der Demokratie zu demonstrieren. EU- und Polen-Fahnen schwenkend. Engagiert und freiheitsliebend – so wie die Wähler-Generationen vor 34 Jahren, als die ersten teilweise freien Wahlen am gleichen Tag, dem 4. Juni, in Polen stattfanden. 

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Dass an diesem Sonntag so viele kamen, hat neben dem Sonnenschein und der perfekten Symbolik aber einen ernsten, aktuellen Grund: Just vor einer Woche hat Präsident Andrzej Duda, welcher der PiS nahesteht, ein Gesetz unterzeichnet, das die Einsetzung einer Untersuchungskommission vorsieht, die prüfen soll, wer zukünftig in Polen von wichtigen öffentlichen Ämtern fernzuhalten sei, weil er in der Vergangenheit Russland zu viel Einfluss in Polen erlaubte. Beobachter sind sich einig, dass dieses Gesetz vor allem auf Oppositionsführer Donald Tusk zielt, der nach einem Zwischenspiel als Präsident des Europäischen Rates bei den polnischen Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres an seine Zeit als Ministerpräsident anknüpfen möchte. Mit immerhin 66 Jahren. Geht es nach PiS soll Tusk bei den Wahlen aber gar nicht antreten dürfen, weil er als Ministerpräsident um (zu) gute Kontakte zu Putins Russland bemüht war. Die Medien sprechen, wenn von dem Gesetz die Rede ist, deshalb auch gern von der „Lex Tusk“.

Schlägt die Stunde von Warschaus Oberbürgermeister?

Immerhin: Mit seinem Auftritt am Sonntag Seite an Seite mit der Solidarnosc-Legende Lech Walesa hat Donald Tusk ein starkes Zeichen gesetzt, das auch international zur Kenntnis genommen wird. Selbst unter Anhängern des sympathischen Kaschuben findet man aber auch solche, die sehen, dass jenseits der „Lex Tusk“ das Agieren der Opposition auf einem Konstruktionsfehler fußt: Eigentlich wäre nämlich der populäre, jüngere und politisch unbelastete Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski (51) der ideale Ministerpräsidentschafts-Kandidat, um für PO die Erfolgskastanien aus dem Pis-Feuer zu holen, während Donald Tusk als Elder Statesman einen hervorragenden Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen abgeben würde.

Doch irgendwie scheint sich Trzaskowski vor den Mühen des Parlaments-Wahlkampfes drücken zu wollen. Sollte es PiS aber wirklich so weit treiben, Tusk juristisch auszubremsen, käme wohl Trzaskowskis Stunde – ob er will oder nicht.  Die Straßen wären dann vermutlich noch deutlicher voller als am Sonntag, egal wie das Wetter ist.

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