Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Interview mit Gudrun Kugler

Konservative Weltkonferenz: „Die Welt zum Guten hin heben“

Die österreichische Parlamentsabgeordnete Gudrun Kugler zieht im Exklusivinterview mit der „Tagespost“ ein Fazit zur ersten Weltkonferenz der „Alliance for Responsible Citizenship“ (ARC), zu deren Organisatoren sie gehört.
Die österreichische ÖVP-Parlamentsabgeordnete Gudrun Kugler
Foto: Parlamentsdirektion – PHOTO-SIMONIS | "Unsere Gesellschaften haben das gemeinsame Menschenbild verloren, weshalb die gemeinsame Orientierung fehlt", meint Gudrun Kugler im Interview.

In London ist am Mittwoch die erste weltweite Konferenz der „Alliance for Responsible Citizenship“ (ARC) zu Ende gegangen, die bürgerlich-konservative und liberale Kräfte aus 73 Nationen und fünf Kontinenten versammelt hat. Drei Tage lang referierten und diskutierten internationale Experten und Kulturschaffende sowie führende Politiker aus aller Welt über verschiedene Aspekte des durch ARC identifizierten kulturellen und zivilisatorischen Niedergangs. Hauptinitiator ist der kanadische Psychologe und Intellektuelle Jordan Peterson. Alle Reden sind auf Youtube unter @arc_forum zu finden.

Frau Kugler, die internationale Organisation ARC möchte eine „Vision für eine bessere Welt“ entwickeln. Wie soll dieses „bessere Narrativ“ aussehen?

Bei uns im Westen glauben viele Menschen mit Blick auf unsere Gegenwart, dass alles immer schlechter wird. Unser öffentlicher Diskurs ist von Dauerkrisen bestimmt, alle und alles scheinen verloren. Kürzlich traf ich in einem Wartezimmer einer Ärztin eine Mittzwanzigerin, die mir sagte, sie hätte zwar gerne Kinder, wolle sie aber nicht in eine so schreckliche Welt wie die unsrige setzen. Dabei leben wir in einer Zeit, in der es den Menschen materiell so gut geht wie noch nie. Als Initiatoren von ARC glauben wir, dass es möglich ist, die Welt zum Guten hin zu heben, wenn genug Leute Verantwortung in ihrem persönlichen Leben, für ihre Familien, für ihre Regionen übernehmen. ARC bietet ein Narrativ der berechtigten Hoffnung auf Eigenverantwortung, Kreativität und Tatkraft an. 

Ist die Entwicklung dieses „besseren Narrativs“ gelungen? 

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Absolut! Weltspitze-Denker kamen in London zusammen, in Greenwich, wo der Nullmeridian wie eine Startlinie durchläuft. Zu den Bereichen Gesellschaft und Familie, Wirtschaft und Unternehmertum, Umwelt und Energieversorgung haben Experten aus den unterschiedlichen Lebensbereichen ihre Forschung vorgestellt und Lösungswege aufgezeigt. Im Feedbackbogen gaben 90 Prozent der Teilnehmer an, dass die Konferenz ihr Leben verändert hat.

Auf welchen philosophischen Grundlagen baut ARC auf?

Unsere Gesellschaften haben das gemeinsame Menschenbild verloren, weshalb die gemeinsame Orientierung fehlt und es keine gemeinsame Bewegung nach vorne gibt. Papst Benedikt sprach 2011 im deutschen Bundestag von der Ökologie des Menschen: Der Mensch kann sich nicht aus seinem eigenen Willen heraus selbst erschaffen, sondern er hat eine Natur, ein Wesen. Wenn wir das nicht ernst nehmen, werden wir unglücklich. Der Materialismus hat sich selbst widerlegt: In einer Zeit wo wir am meisten haben, sind wir am unglücklichsten. Gerade jetzt haben wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt verloren. ARC hat deshalb auch eine sehr persönliche Dimension: Jordan Peterson sieht in der Übernahme von Verantwortung – für einen selbst, seine Familie, die Nachbarschaft, die Stadt – einen Schlüssel zu Glück und Sinn. Im Sinne von: „zumindest konnte ich meiner Frau und meinem Nachbarn helfen.“ Der schöne Gruß „Servus“ bedeutet ja – „Ich bin dein Diener“ und bezeugt die Historizität dieser Grundhaltung. Aber heute bringen wir das Lebensprinzip des Sich-umeinander-Kümmerns unseren Kindern nicht mehr bei. 

"Der Materialismus hat sich selbst widerlegt:
In einer Zeit wo wir am meisten haben,
sind wir am unglücklichsten"

Das klingt jetzt fast, als sei ARC religiös.

Im Gegensatz zu anderen Denkrichtungen hält ARC Religion für vernünftig, vermittelbar und sieht in ihr etwas Positives mit einer wichtigen Aufgabe für die Menschen und unsere Gemeinschaft. Werte und Ideale aus den Weltreligionen sind auch für nicht-religiöse Menschen fruchtbar. Wobei wir schwerwiegende Probleme mit Formen des Islam haben und ansprechen müssen, wie wir sie zum Beispiel derzeit auf unseren Straßen sehen. Ein ARC-Beitrag beschäftigte sich zum Beispiel mit Vergebung und Versöhnung - Prinzipien, durch die das Christentum die Welt revolutioniert hat und immer noch revolutioniert.

Unter welchem politischen Begriff lassen sich die Akteure, die hier bei ARC zusammenkommen, am besten zusammenfassen? 

ARC ist nicht in erster Linie eine politische Konferenz – denn die Politik ist der Kultur nachgelagert. Wir stellen uns vielmehr den großen Fragen nach dem Sinn und dem Gelingen des Lebens und dem Funktionieren von Gemeinschaft. ARC fängt die Sorgen und Forderungen einer schweigenden Mehrheit auf, die sich zum Teil von konstruktiver Politik bereits abgewandt hat. Mit den Ideen von ARC könnten farblos gewordene Parteien – insbesondere aus der Familie der Volksparteien – wieder attraktiv werden und mit gestärktem Rückgrat zu ihrer ursprünglichen Identität zurückkehren. 

Ich habe den einen passenden Begriff dafür noch nicht gefunden, denn jedes zur Verfügung stehendes Wort hat Schwächen. Politische Begriffe werden ja in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Sprachen sehr unterschiedlich verstanden. Aus diesem Grund ist das Bild von den drei Hügeln so relevant, die unserer Kultur ihre Prägung verliehen haben: der Areopag, das Kapitol und Golgotha. Das scheint mir am besten zu beschreiben, worauf es uns ankommt. 

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson
Foto: James Whatling / Parsons Media (Parsons Media) | Hauptinitiator der ersten weltweiten Konferenz der „Alliance for Responsible Citizenship“ (ARC) ist der kanadische Psychologe und Intellektuelle Jordan Peterson.

Manche Teilnehmer hatten allerdings zwischendurch den Eindruck, dass es mehr amerikanischen Liberalismus als christlich-soziale Positionen gab.

Der Kapitalismus hat uns den Wohlstand gebracht und Milliarden von Menschen aus der extremen Armut geholt. Aber seine modernen Auswüchse dürfen nicht unwidersprochen bleiben, etwa die Entwicklung von Monopolen wie zum Beispiel im Internetbereich oder die Verstrickungen zwischen Großkonzernen und Politik, die wir das im Pharmabereich oder rund um das Weltwirtschaftsforum sehen. Außerdem müssen wir uns fragen, ob ein „woker“ Kapitalismus tatsächlich der Good Governance und regionaler Entwicklung dient. Dass sich junge Familien kaum Immobilien leisten können, wurde immer wieder beklagt. Wirtschaftspolitik ist nur dann human, wenn sie niemanden einfach zurücklässt. In Mitteleuropa nennen wir das öko-soziale Marktwirtschaft oder auch christlich-sozial. 

"Wir müssen uns fragen, ob ein ,woker' Kapitalismus
tatsächlich der Good Governance
und regionaler Entwicklung dient"

ARC legte ein großes Augenmerk auf Familie und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Was meint man damit? 

Ein Kind zu haben ist ein Zeichen der Hoffnung – viel haben wir anscheinend nicht davon. Stattdessen wird unsere Gesellschaft immer depressiver und ist von Einsamkeit geprägt. In England nimmt einer von sieben Erwachsenen Antidepressiva, die Haupttodesursache bei jungen Männern ist der Suizid. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist wegen der explodierenden Fallzahlen total überlastet. Wir lernen daraus, dass psychische Gesundheit nicht etwas Subjektives ist und dass wir einen Neustart brauchen, wie wir miteinander umgehen und unsere Kinder erziehen, die eine massive Krise durchmachen: 90 Prozent der britischen Elementarlehrer berichten von Kindern in ihren Klassenzimmern, die noch Windeln brauchten. Wir müssen aufhören, den Unterricht zu politisieren und uns stattdessen auf Wesentliches konzentrieren. 

Auf der Konferenz wurden immer wieder auch kontroverse Positionen deutlich. Ist eine echte Zusammenarbeit trotzdem möglich?

Absolute Deckungsgleichheit gibt es noch nicht einmal in einer Ehe (lacht). Unterschiedliche Positionen sind bis zu einem gewissen Rahmen gut, solange eben das gemeinsame Anliegen nicht verwässert wird: das, was wir mit dem Fokus auf Eigenverantwortung und der Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten beschrieben haben. 

Welche Strategie verfolgt ARC langfristig? 

Wir werden in regelmäßigen Abständen solche Konferenzen organisieren, um Führungskräfte aus den unterschiedlichen Sparten zusammenzubringen, Austausch zu ermöglichen und gemeinsam gute Wege zu erarbeiten. ARC soll außerdem eine Plattform für regionale Zusammenarbeit werden. Das soll nicht mit bestehenden Initiativen in Konkurrenz stehen, sondern diesen eine globale Dimension verleihen. Das ist gerade für die Menschen im globalen Süden relevant, die aus dem sogenannten Westen oft eine sehr einseitige Botschaft empfangen, die sie als moderne Kolonisierung bezeichnen. Wenn wir es schaffen, durch ARC eine andere Botschaft zu senden, – zum Beispiel, dass wir traditionelle Werte wie Eigenverantwortung, Teilhabe oder die Familie unterstützen und dass wir ausreichende, günstige und saubere Energieversorgung für die ganze Welt wollen, – dann werden viele im Süden das als eine Art Befreiung erleben. 

Also wieder eine Art ideologische Kolonisierung, nur dieses Mal mit besseren Prinzipien und Zielen?

Nein. Was bisher geschieht, ist, dass die angebotene Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung als Bedingung an Werte geknüpft werden, die diese Länder nicht teilen. Eine solche Politik der Konditionalität, die Unterstützung an eine Übernahme von Ideologien oder woken Ideen knüpft, liegt uns fern. 

Welche konkreten Anregungen könnte man nun in den deutschsprachigen Raum mitnehmen?

Wenn ich sehe, auf welcher Ebene man hier über die echten Probleme – der Menschen, der Gesellschaften, unseres Planeten – diskutiert, dann kommt mir die öffentliche Debatte in unseren deutschsprachigen Ländern sehr engstirnig und provinziell vor. Wir diskutieren Randthemen, während uns auf die großen Fragen auch nur die Ansätze von Antworten fehlen. Da ist diese Konferenz einen großen Schritt weiter. Sie konzentriert sich auf die wirklich lebenswichtigen Fragen: Wie können wir die Umwelt schützen ohne die Wirtschaft zu ruinieren? Wie gehen wir mit der rasant steigenden Zahl an depressiven Kindern und Jugendlichen um? Wie können wir unsere Kinder zu hoffnungs- und verantwortungsvollen Menschen erziehen? Welches geistige Erbe, welche Werte hinterlassen wir ihnen? Unsere Generation ist die Brücke zwischen dem, was uns gegeben wurde und dem, was wir weitergeben werden.

"Unsere Generation ist die Brücke zwischen dem,
was uns gegeben wurde und dem,
was wir weitergeben werden"

Und wie geht es weiter?

Mit der beschriebenen Grundhaltung können wir die schweigende Mehrheit erreichen. Wir brauchen uns mit unserer Botschaft nicht zu verstecken – sondern dürfen sie mit Mut und Selbstvertrauen in die öffentliche Debatte einbringen. Jordan Peterson formuliert es so: „Sagt die Wahrheit, übernehmt Verantwortung in eurem Umfeld - und es wird das Abenteuer eures Lebens sein.“ Wenn alle Leute mit diesem Prinzip zurück in ihre Berufe und Engagements gehen, dann wird es auf allen Ebenen positive Veränderungen geben. Das ist ARC.

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“ eine ausführliche Reportage zur ersten Weltkonferenz der „Alliance for Responsible Citizenship“.

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