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Islamisches Marketing: Zwischen Fundamentalismus und Kapitalismus

Das Phänomen „islamisches Marketing“ breitet sich aus: Der freie Handelsmarkt soll dazu beitragen, unsere Gesellschaften an die Normen des fundamentalistischen Islam zu gewöhnen, meint die französische Zeitung "Le Figaro".
Islamische Mode
Foto: epa Ahmad Yusni (EPA) | Dem „Figaro“ zufolge spielt islamische Mode bereits eine „immer wichtiger werdende Rolle bei der Verbreitung und Legitimierung islamischer Maßstäbe“. Im Bild: Islamische Modenschau in Malaysia.

„Islamisches Marketing“ ist heute eine akademische Disziplin, die in einigen der größten Handelsschulen der Welt unterrichtet wird. Der französischen Zeitung „Le Figaro“ zufolge spielt sie bereits eine „immer wichtiger werdende Rolle bei der Verbreitung und Legitimierung islamischer Maßstäbe“. So sei die sogenannte „mode pudique“ (modest fashion, auf Deutsch „sittsame Mode“), die auf den Laufstegen dieser Welt bereits angekommen ist, ein Beispiel für einen „Nischenmarkt“, der unter einem „modernen und emanzipatorischen“ Gewand tatsächlich eine „rückwärtsgewandte Norm“ transportiere – eine „Norm von religiösen Fundamentalisten, für die das ‚Recht der Frauen‘ keinerlei Bedeutung in einem theokratischen System hat, dem das, was die Demokratien ‚Menschenrechte‘ nennen, egal ist“.

Arrangierte Ehe zwischen zwei Weltanschauungen

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Ist das nicht etwas weit hergeholt? Wer die Modeschauen der Fashion Weeks der „sittsamen Mode“ in den großen Hauptstädten der Welt gesehen hat, könnte fragen: „Symbolisieren diese Mannequins, die in Luxus-Outfits elegant über den Laufsteg flanieren, nicht eher den Westen als den Islam? Sind diese Frauen mit den bunten Schleiern nicht eher die feministische Avantgarde der muslimischen Welt?“

Das islamische Marketing ging, so der Figaro, „aus der arrangierten Ehe zwischen zwei Weltanschauungen hervor: die eine ist die neoliberale Sicht, die die Marke ‚Islam‘ als Konsumkultur aufbaut, die andere die fundamentalistische, ethnozide Sicht, für die der islamische Weltmarkt der Überbringer eines weltweiten wirtschaftlichen Kalifatsprojekts ist. Die Erstgenannte weiß nicht, dass Letztere existiert - diese wiederum weiß jedoch, dass Erstgenannte existiert, und versucht, diese für ihre eigenen Zwecke zu benutzen“.

Die neoliberalen Teilhaber am islamischen Marketing betrachten die islamische Mode als „Untermenge der Mode, die mit der Zeit zwangsläufig wechselt und je nach Kultur verschieden ist“. Sie streben die Maximierung der Gewinne an. Für sie „sind ‚ethische‘ Werte Variablen“, auf die ihre Verkaufsstrategien abzustimmen seien. Sie behaupten, „keinerlei Normen zu produzieren und auch keine Werte zu transportieren, sondern sich lediglich dem Vorhandenen anzupassen. Informiert durch die, von den Fundamentalisten verfassten, Kurzfassungen der islamischen Literatur, sprechen sie diesen nach, dass der Islam ein ‚Lifestyle‘ sei“. Mit einem „seltsamen Pawlowschen Reflex rühmen sie zugleich ‚die große Vielfalt‘“ des Islam. Einige unter ihnen glauben, „dass sie zur Befriedung der Welt beitragen, indem sie die muslimische Welt auf den großen Weltmarkt bringen“.

Instrument zum "ökonomischen Kalifat"

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Die muslimischen Experten des islamischen Marketings hingegen seien meistens „religiös fundamentalistisch sozialisiert“ worden. Das islamische Marketing ist für sie ein Instrument, um „eine Art ökonomisches Kalifat“ zu erreichen: „Für sie ist die wirtschaftliche Aktivität einer der menschlichen Tätigkeitsbereiche, die in den Diensten ihres Heils im Jenseits stehen. Sie brauchen die besten westlichen Fachleute aus Wirtschaft, Kultur und Kommunikation, um sich in den neuesten Marketingtechniken zu schulen, aber auch um sie für sich arbeiten zu lassen. Die Fundamentalisten wissen, dass die Abendländler ihr Kalifatsprojekt nur für eine religiöse Utopie halten, aber das stört sie nicht – ganz im Gegenteil“.

Die sittsame Mode ist übrigens nur eine von sieben Sparten des islamischen Marketings. Zu diesen gehören „nach absteigender Bedeutung das islamische Finanzwesen, die Halal- Lebensmittelindustrie, der Tourismus-, Mode- und Freizeitsektor, die pharmazeutische Industrie sowie die Halal-Kosmetik“.
Viele Frauen auf der Welt „versuchen, sich dort zu entschleiern, wo der Schleier wie im Iran gesetzlich aufgezwungen wird. In den europäischen Ländern wird dieser Druck nicht vom Gesetz erzeugt, sondern durch den Markt, der sich an einen fundamentalistischen Islam gewöhnt, den die neoliberalen Firmen zu bändigen meinen, doch dessen simple Erfüllungsgehilfen sie in Wirklichkeit sind“.

DT/ks

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