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Fußball und Geld: Deutsche Binden-Angst

Fußball - ein einfacher Sport, das war einmal. Inzwischen ist daraus ein Oligarchen-Club entstanden, der die Volksdroge Fußball geschickt zur Bildung von weit verzweigten, schier unüberwindbaren Machtstrukturen nutzt.
WM 2022 - Serbien - Schweiz
Foto: Martin Meissner (AP) | Der simple Volkssport Fußball, bei der einst 22 Leute einer Schweineblase hinterherjagten und versuchten, sie zwischen zwei Torpfosten zu befördern, hat seine Unschuld verloren.

Fußball verbindet. Diese Binsenweisheit war schon immer ein Kennzeichen dieses großartigen Sports. Gerade die WM 2006 in Deutschland hat sich in seiner völkerverbindenden Kraft auch bei uns ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Aktuell findet wieder eine WM statt. Austragungsort ist das Emirat Katar auf der arabischen Halbinsel, nicht nur fußballerische, sondern auch demokratische Diaspora. Nicht nur, dass diese WM im Winter stattfindet und unter skandalösen Bedingungen überhaupt nach Katar vergeben wurde, nein, nun wird ausgerechnet auch das verbindende Element des Fußballs dort auf den Prüfstand gestellt – und das ausgerechnet durch eine Binde.

Volksdroge Fußball

Der Weltfußballverband FIFA ist eine Organisation, in der die Führungsriege aus einem skrupellosen Geldadel besteht. Nicht nur die Verflechtungen nach Russland, sondern auch der stärker werdende Einfluss der Ölstaaten haben aus dem Verband, der einst die „schönste Nebensache der Welt“ hütete, einen Oligarchen-Club gemacht, der die Volksdroge Fußball geschickt zur Bildung von weit verzweigten, schier unüberwindbaren Machtstrukturen nutzt.

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Jeder weiß es, und doch kann niemand etwas dagegen tun. Nicht einmal der US-Bundesbehörde FBI gelang es bislang, trotz umfangreicher Untersuchungen, Razzien und Anklagen die kriminellen Verflechtungen der FIFA zu zerschlagen. Entsetzt und ohnmächtig konnten Fußball-Fans aus aller Welt in den letzten Jahrzehnten beobachten, wie sich die FIFA-Präsidenten – zunächst Sepp Blatter, nun der nicht minder skrupellose Gianni Infantino – immer weiter an ihrer scheinbaren Unantastbarkeit berauschten.

Geisel von Raubtierkapitalisten und Geostrategen

Der Fußball, dieser simple Volkssport, bei der einst 22 Leute einer Schweineblase hinterherjagten und versuchten, sie zwischen zwei Torpfosten zu befördern, hat seine Unschuld verloren. Er wurde zur Geisel von Raubtierkapitalisten und Geostrategen. Dass nun das Hochglanzprodukt der FIFA, die alle vier Jahre stattfindende Weltmeisterschaft, ausgerechnet in einen Staat wie Katar verlegt wird, ist nur die Kirsche auf der Torte, der höhnende Mittelfinger der Fußball-Gangster, die wissen, dass sie auch damit wieder davonkommen werden.

Die Leichen der Gastarbeiter, die unter menschenunwürdigen Umständen in einer lebensfeindlichen Umgebung an der Fassade einer angeblichen Fußballnation arbeiten mussten, werden eines Tages jedoch auch die Stimmen von moralisch-flexiblen Fußballfunktionären wie Franz Beckenbauer übertönen, der einst behauptete, er habe in Katar „keinen einzigen Sklaven“ gesehen.

Kann man Fußball von Politik trennen? 

Und die deutsche Nationalmannschaft? Sie versucht noch immer ihre Binden-Angst auszukurieren. Eine eigens entworfene Kapitänsbinde sollte auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Homosexuellen aufmerksam machen. Auf Druck der FIFA knickte der sonst so haltungsbewusste Deutsche Fußball Bund wieder ein. Trittbrettfahrer aus Politik und Medien springen ein und zeigen das, was unter dem geflügelten Wort „Gratismut“ firmiert.

Das Turnier spielen die deutschen Fußballer trotzdem, schließlich wolle man in Katar ein „Statement“ setzen. Ein „Statement“, das angesichts der sportlichen Leistungen vielleicht schon nach der Vorrunde verstummt.
Und die normalen Fans? Kann man Fußball von Politik trennen? Schön wäre es.

Doch in Katar ist bereits Hopfen und Malz verloren – nicht nur wegen des Bierverbots. Der Philosoph Adorno hat gesagt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“. Hierzulande wird bereits Schülern ein wichtiges Prinzip der Zivil-Courage beigebracht. Es lautet: Wer wegschaut, macht mit. Was die Fußball-Übertragungen aus Katar betrifft, gilt diesmal ausnahmsweise das Gegenteil: Bitte nicht hinsehen!

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