Eine Fußball-Weltmeisterschaft hatte früher mehr Lametta. Das Runde musste in das Eckige, ein Spiel dauerte 90 Minuten, der Schiri durfte ohne Videobeweis pfeifen, auf den Rängen gab es Massen betrunkener Engländer und am Ende siegten die Deutschen. Das muss etwa in jenen Zeiten gewesen sein, als Franz Beckenbauer noch jung war und auf Weihnachtsfeiern nebenher Kinder zeugte.
Seit aber auf dem Platz mit Lebensentwürfen, Weltanschauungen, Religionen und Bestechungsgeldern gespielt wird, statt mit einem Ball, ist es schwer geworden, die Freude am Sport nicht bereits vor dem Anpfiff zu verlieren. Und dann gibt es nicht einmal mehr Bier im Stadion, dafür aber gekaufte Jubelperser aus aller Welt – nie schien der Begriff passender.
Ich zum Beispiel ignoriere die Fußball-WM in Katar nicht etwa deswegen, weil es moralisch nicht vertretbar sein soll, eine Weltmeisterschaft in einem Lan auszurichten, das Arbeiter ausbeutet und Frauen- sowie Homosexuellenrechte mit Füßen tritt, das wusste man schließlich bereits bei Vergabe der Spiele an das strengislamische Land, sondern weil es mich schlicht nicht mehr interessiert. Schon lange will kein Fußball-Sommermärchen-Gefühl wie früher aufkommen, jetzt, da es nicht mehr um den Spielstand, sondern um die Frage geht, welche politische Forderung mit welchem Trikot-Aufdruck, welcher Armbinde oder welchem Kniefall gewürdigt werden sollte.
Fußball gegen Rassismus, gegen Homophobie, gegen Sexismus und morgens gibt's Nutella. Amen. Moralisch waren wir sowieso schon immer Weltmeister der Selbstgefälligkeit.
Aber den Ungarn und diesem „Homohasser“ Orban haben wir es mit dem regenbogenfarbenen Bayern-München-Stadion beim Länderspiel ordentlich gezeigt. Hat ja auch nichts gekostet und gab Fleißkärtchen aus den Massenmedien.
Gelbe Karten? Das war zuviel für die Multimillionäre!
Jetzt ist aber dem erbärmlichen Haufen an Fußballmillionären, den man früher unter dem Namen „Deutsche Nationalmannschaft“ kannte, gerade der eigene Gratismut auf die Füße gefallen. Nachdem man sich bereits vor Monaten von der obligatorischen Regenbogen-Armbinde aus Rücksicht auf die Herren Mohammeds zu einer niedlichen „One-Love“-Herzoptik hatte herunterhandeln lassen, nahmen nun nicht nur die Deutschen, sondern auch England, Wales, Belgien, Dänemark, die Niederlande, Frankreich und die Schweiz ihre Ankündigung zurück, eine Armbinde aus Solidarität, Toleranz und sonstigen Worthülsen zugunsten von LGBT-Rechten zu tragen, weil ihnen die FIFA mit gelben Karten gedroht hat, sollten sie es dennoch tun. Immerhin ist die Währung der Manuel Neuers und Co. jetzt klar, in der angeblich nicht verhandelbare Prinzipien verscherbelt werden: dämliche gelbe Karten.
Noch bei der Pressekonferenz zum Start der WM hatte FIFA-Chef Gianni Infantino vollmundig verkündet: „Heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant“ und damit bei der Weltpresse ernsthafte Sorgen über seinen Geisteszustand ausgelöst, heute wissen wir: Es ist alles in Ordnung, es war nur das Fassadenspiel, denn die FIFA denkt nicht daran, auch nur einen Wimpernschlag ohne Genehmigung der arabisch-islamischen Gastgeber zu tun. Die bezahlen schließlich alle und alles.
Männer mit gestylten Föhnfrisuren versagen kläglich
Es hätte ein großer Moment der westlichen Wertegemeinschaft werden können, wenn hier tatsächlich ein Dutzend Mannschaften den Scheichs und ihrem Geld die Stirn geboten hätten.
Was hätte die FIFA denn tun können: Alle Spitzenmannschaften vom Platz stellen? Wäre dies keine katholische Zeitung, ich würde formulieren, dass jede einzelne Frau im Iran, die seit Wochen mit wehendem Haar ohne Kopftuch auf den Straßen demonstriert und damit ihr Leben für die Freiheit und ihre Rechte riskiert, deutlich mehr Eier hat, als die gesamte übersättigte DFB-Mannschaft mit ihren gestylten Föhnfrisuren.
Aber man könnte natürlich auch sittsam formulieren: Meine Herren, es steht in Sachen Rückgrat, Mut, echte Überzeugung und Durchhaltevermögen eindeutig 1:0 für die Frauen.
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