Fußball-Weltmeisterschaft

Es geht nicht nur um Sport

Immer wieder finden große Sportereignisse in Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtslage statt. Kann die anstehende Fußball-WM in Katar nachhaltig etwas verändern?
Fußball WM 2022 in Katar
Foto: IMAGO/Laci Perenyi (www.imago-images.de) | So ziemlich alles, was man an einem Staat kritisieren kann, trifft auf Katar zu. Die Menschenrechtslage ist eine Katastrophe, wesentliche Freiheitsrechte gelten nur bedingt.

Die Tage werden kürzer, es wird merklich kühler. Ein Blick in den Kalender verrät den Grund: Es ist November. Zwischen Martinsumzug und Volkstrauertag gibt es sonst nicht viel außer Nieselregen. Das ist in diesem Jahr anders. Wir befinden uns in der heißen Phase der WM-Vorbereitung, denn am 20. November findet im Al-Bayt-Stadion von Al-Chaur das Eröffnungsspiel Katar gegen Ecuador statt. Die Hitze im Wüstenstaat macht ein Sportereignis im sonst üblichen Zeitraum (Juni/Juli) unmöglich. Also wich man aus, in die Adventszeit. Das Finale wird am Vierten Adventssonntag um 16 Uhr MEZ stattfinden. Die Tor' macht weit.

Das ist nicht das einzige Zugeständnis an den Gastgeber Katar. Hinzu kam, dass man die Augen verschloss, um nicht sehen zu müssen, mit wem man sich da einlässt. Galt 2006 in Deutschland das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“, könnte das Leitmotiv jetzt lauten: „Die Welt zu Gast bei Schurken“. Denn so ziemlich alles, was man an einem Staat kritisieren kann, trifft auf Katar zu. Die Menschenrechtslage ist eine Katastrophe, wesentliche Freiheitsrechte gelten nur bedingt. Die soziale Schere klafft weit auseinander: Wenige Superreiche profitieren von sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen für zahllose Billigkräfte aus dem Ausland. Tausende Arbeitsmigranten starben laut Recherchen westlicher Medien beim Bau der Stadien (laut WM-Organisationskomitee gab es beim Stadionbau 37 Tote, davon seien drei Todesfälle arbeitsbedingt gewesen). Das Land steht im Verdacht, Terrorgruppen zu unterstützen. Katar hat pro Kopf den höchsten CO2-Ausstoß aller Länder der Erde.

Die Sportverbände und die Schurkenstaaten

Pikanterweise neigen die großen Sportverbände dazu, sich Ausrichter zu suchen, die alle politisch nicht ganz korrekt sind. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar reiht sich ein in eine Liste von zweifelhaften Sportereignissen der letzten Jahre. 2014 fanden die Olympischen Winterspiele in Russland statt, 2018 ebendort die Fußball-Weltmeisterschaft, daneben gab es 2013 die Leichtathletik-WM und 2015 die Schwimm-WM. Auch ganz oben auf der Ausrichterliste: China. Sommer-Olympia 2008, Winterspiele 2022, dazwischen 2011 die Schwimm-WM und die Leichtathletik-WM im Jahr 2015. Es scheint fast, als hätten sich die Verbände auf die beiden Länder festgelegt, um dort im Wechsel ihre Wettbewerbe zu veranstalten.

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Doch ein Land fehlt noch. Richtig: Katar. Gerade das winzige Golf-Emirat wurde in den vergangenen Jahren mit Sportereignissen überschüttet. Der Tischtennis-WM 2004 folgten die Weltmeisterschaften im Gewichtheben 2005 und die Asienspiele 2006. Dann fanden 2015 die Handball-WM sowie die Welttitelkämpfe im Boxen, 2016 die Rad-WM, 2018 die Turn-WM und 2019 die Leichtathletik-WM in Katar statt. Und nun die Titelkämpfe im populärsten Mannschaftssport, dem Fußball. Das alles ohne jede Tradition im Sport, unter schwierigen klimatischen Bedingungen und, nun ja, inmitten all der anderen Probleme. Der Grund liegt auf der Hand: Der Emir hat das nötige Kleingeld. Katar hat so viele Einwohner wie Berlin – und ein doppelt so hohes Pro-Kopf-BIP. An der Finanzierung scheitert die Ausrichtung von Sport-Events also nicht.

Zudem sind Veranstaltungen in Russland, China und Katar für die Sponsoren hochinteressant. Es geht um die Erschließung neuer Märkte in Osteuropa, Asien und in der arabischen Welt. Das sind große, zahlungskräftige Teile der Menschheit, die bisher im Geschäft des Sports noch nicht ganz vorn dabei waren. Das soll sich ändern, da will man jetzt ran, so als Sportartikelhersteller.

Sport ist politisch und wirtschaftlich relevant

Das alles könnte einem ja eigentlich egal sein, es geht ja nur um Sport. Doch Sport ist mittlerweile relevant. Wenn etwa die Tagesschau ihre Sendezeit nach der Halbzeitpause eines Pokalachtelfinales ausrichtet, kann von „der schönsten Nebensache“ keine Rede mehr sein. Sport ist ein wichtiger Teil der Kultur geworden und gesellschaftlich von größter Bedeutung. Staatsoberhäupter kommen zu wichtigen Spielen ihrer Mannschaft, Olympische Spiele haben eine politische Bedeutung, auch wenn das IOC das nicht wahrhaben will. Zudem ist Sport ein Wirtschaftsfaktor. In Berlin ist jedes dritte Haus mittlerweile ein Fitnesscenter. Viele Fußballvereine sind gar keine Vereine mehr, sondern Aktiengesellschaften oder GmbHs, sind also auf Gewinn ausgerichtete Betriebe, die auch entsprechend funktionieren.

Doch die großen Sportverbände geben sich offiziell unpolitisch und wirtschaftlich unabhängig. Dabei stehen Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften wie kaum ein anderes Ereignis der Gegenwartskultur im Fokus der Öffentlichkeit. An der Polis vorbei kann man sie jedenfalls nicht durchführen. Ohne milliardenschwere Sponsoringverträge auch nicht. Die Politisierung ist seit den Boykottspielen von Montreal (1976), Moskau (1980) und Los Angeles (1984) nicht mehr zu übersehen, die Kommerzialisierung seit „LA 84“ auch nicht, schließlich waren das die ersten ausschließlich privat finanzierten Olympischen Spiele. Vor allem die Fernsehgelder brachten und bringen die Bilanz in den grünen Bereich. Ähnliches gilt für den Fußball. Damit wir Bewegtbilder der 64 Fußballspiele in Katar frei Haus geliefert bekommen, zahlen ARD und ZDF 214 Millionen Euro an die FIFA. Für die Olympischen Spiele der Jahre 2018 bis 2024 erwarben die Öffentlich-Rechtlichen eine Sublizenz für 221,5 Millionen Euro. Rund eine halbe Milliarde für ein paar Wochen Sport. Selbst bei den über acht Milliarden an GEZ-Gebühren, die alljährlich die Kassen von ARD und ZDF füllen, ist das ein Faktor.

Der Sport als Widerstandsbewegung?

Und dann soll man sich als Fußball-Fan oder sportinteressierter Mensch die große Show angucken, sich durch die bunten Bilder ablenken lassen von den Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in den Gastgeberländern? Nicht ganz: Fairerweise muss man sagen, dass ARD und ZDF sowohl die Winterspiele in Peking als auch die letzte Fußball-WM in Russland und jetzt die WM in Katar mit zahlreichen kritischen Reportagen begleiten. Motto: Wenn schon Russland, China und Katar, dann wenigstens mit dem Versuch einer Veränderung durch Olympia oder WM.

Dabei ist der Einfluss des Sports auf die konkrete politische und soziale Lage, etwa hinsichtlich der Menschenrechte, sehr begrenzt. Das Turnier in Katar dauert vier Wochen, dann zieht der Tross weiter. Doch es sollte etwas hängen bleiben. Also: Offenheit zeigen und einfordern. Phantasievolle und friedliche Fanproteste. Und es braucht Spieler, die den Mund aufmachen. Wie Cristiano Ronaldo, der 2021 auf einer Pressekonferenz die demonstrativ aufgestellte Flasche mit dem Kaltgetränk eines der Top-Sponsoren des Sports angewidert beiseite schob. Eine kleine Geste. Das sollte man sich zutrauen. Auch in Katar.

Oliver Bierhoff, der beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) für die Nationalmannschaften zuständige Geschäftsführer, hat schon einmal eine Steilvorlage gegeben, indem er die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar kritisierte. Er frage sich, zitiert ihn sportschau.de in einem Beitrag vom Juni, wie die FIFA die WM in dieses Land geben konnte. Es sei zu kritisieren, so heißt es weiter, dass „im ersten Punkt nur vielleicht auf Stadien oder andere Punkte geachtet wurde, oder natürlich Kommerz, und nicht auf diese Aspekte wie Menschenrechte oder andere gesellschaftliche Themen“. Damit künftig wieder mehr auf „diese Aspekte“ geachtet wird, will der DFB eine Änderung der Vergabekriterien durchsetzen, damit „die nächste Vergabe auch nur an Länder erfolgt, in denen solche Dinge nicht passieren“. Dinge wie Menschenrechtsverletzungen und Terrorfinanzierung.

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Josef Bordat Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro Menschenrechtsverletzungen

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