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O du fröhliches Jahresende

Von Weihnachtsturbulenzen und der Notwendigkeit, die „stille Zeit“ nicht erst im Dezember zu suchen – um Gottes Blick schon jetzt Raum zu geben.
Eine brennende Kerze im Advent.
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Wenn die Stille zu einer vertrauten Begleiterin wird, die uns vor dem Lärm der Welt behütet, dann verliert die Frage "Was denken die anderen?" an Bedeutung.

Es ist November, Weihnachten naht und der damit verbundene Trubel steht in den Startlöchern. In den letzten Jahren war es hauptsächlich mein Problem, dass wir noch keine eigenen Traditionen entwickeln konnten, da wir deutschlandweit das traditionelle Weihnachts-Familien-Hopping machten. Unsere Familien wohnen verstreut in sämtliche Himmelsrichtungen und wir haben es immer als unsere Pflicht empfunden, sie alle an Weihnachten mit unserer Anwesenheit zu beehren. Deshalb hatten wir auch nie einen Christbaum. Das Reisen und das Keinen-Christbaum-Haben fand ich eigentlich immer doof. Doch oft wird man durch Erfahrung klüger, und so kann ich meinen Unmut über diesen Punkt nicht mehr ganz so vertreten. Denn wenn man zu Weihnachten nicht woanders zu Gast ist, ist man selbst Gastgeber, und das hat mich letztes Jahr vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Zum ersten Mal verbrachten wir den Heiligen Abend zu Hause. Meine Schwiegermama kam zu Besuch, eine sehr liebevolle Person, aber auch eine in ihrer Perfektion nicht zu übertreffende Köchin. Ich schwitzte.

Weihnachtsvorbereitungen mit Hindernissen

Ich nahm mir vor, Heiligabend ein Wildgulasch zu machen. Habe ich noch nie gemacht, das Rezept klang aber relativ einfach. Der selbst zubereitete Rotkohl und die Spätzle schienen mir fast schon zu trivial, aber gut. Nachdem das Wildgulasch nach dem (Ver-)Kochen nicht mehr als solches zu erkennen war, setzte ich ganz auf die Spätzle. Schließlich hat man das ja als Schwäbin in die Wiege gelegt bekommen. Dass ich diese zuletzt vor 15 Jahren und noch nie mit dem (neuen, noch eingeschweißten) Spätzlehobel gemacht hatte, ignorierte ich optimistisch. Meine Schwiegermama stellte sich fröhlich neben mich, um mich beim Spätzlereiben zu bewundern. „Dann kann ich noch was lernen“, meinte sie hoffnungsvoll lächelnd. Ich hobelte mich in Rage – und alles zerfloss links und rechts vom Hobel über den Topf, unter den Topf, am Topf vorbei. Nach zwei Stunden Hobeln habe ich genauso lang geputzt. Meine Schwiegermutter denkt noch heute, dass Spätzlehobeln eine höchst komplexe Angelegenheit sei. Von den zwei Kilogramm Mehl bekamen wir dann 500 Gramm Spätzle und das zerfledderte Wild ertränkte ich kurzerhand schmackhaft in Rotwein.

Auch der Christbaum ist nun ein Teil der Weihnachtstradition geworden. Ich darf in Schwaben niemals erzählen, dass wir ihn tatsächlich mehrere Tage vor dem 24. Dezember aufstellen. Denn spätestens am 25. brechen wir ja doch in Richtung eines Teils der Familie auf, und man möchte schließlich ein paar Tage was vom Prachtstück haben.

„Lass uns gemeinsam den Baum kaufen, ich und du, ganz heimlich“, flüsterte ich meinem Sohn geheimnisvoll zu. Wir befanden uns im Auto und der Baumarkt lag gerade auf dem Weg. Zu Hause angekommen, wollte er ihn sofort aufstellen, obwohl der geeignetste Weihnachtsbaumaufsteller unserer Familie (mein Mann) gerade nicht da war. „Wird schon nicht so schwer sein“, proklamierte er siegessicher und packte den noch unbenutzten Christbaumständer aus. Mir war die grundlegende Funktionsweise klar, aber nicht dem störrischen Ding von Baum. Nachdem wir ihn zu zweit ins Loch hievten und stolz bewunderten, verlor er sogleich seine Fassung, krachte zur Seite und begrub das unschuldige Töchterchen unter sich.

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An Heiligabend saßen wir dann nach oben genanntem improvisiertem Wild-Hack-Spätzle-Vulkan-Weihnachtsessen gemeinsam musizierend um den Tannenbaum: mein Mann am Flügel, die Omi an der Geige und die Kinder auf dem Fußboden im Geschenkedschungel. Mit dem Flügel hatte sich mein Mann kurz zuvor einen lang ersehnten Traum erfüllt. Er hatte bei einem Gebrauchtwareninserat zugeschlagen und stellte das riesige Ding (das kleinste seiner Art, wie er mir versicherte) neben unseren Esstisch. Ich wusste, wie meine Mama über das neue Familienmitglied denken würde: Der Preis sei schlicht indiskutabel, zudem sieht sie schneller die Kratzer in so ein Ding kommen, als wir Mozart sagen können. Ich hielt die Kinder dazu an, die Videotelefonate mit Oma konsequent aufs Wohnzimmer zu beschränken. Doch dann übermittelten wir freudig in mehreren Videos die Gesangskünste unserer Kinder – deutlich sichtbar begleitet von einem lauten Flügel. Oma fand´s gut, die Mühen der Geheimhaltung davor waren umsonst.

Befreiung von unnützen Gedanken

Aber so ist das manchmal, wahrscheinlich nicht nur bei mir. Man macht sich unendlich viele Gedanken um Spätzle, um Bäume, um Mamas, um Schwiegermamas, um „Was denkt der andere?“. Dass die anderen meist ganz anders denken (oder gar nicht), machte mir neulich unsere kleine Tochter klar. Sie eröffnete mir aus dem Nichts heraus eine äußerst nachdenkenswerte theologische Weisheit: „Mama, Maria ist unter dir!“ Ich fragte, wie sie denn auf die Idee komme. „Na, es heißt doch – Du bist gebenedeit UNTER den Frauen!“

Vor der „stillen Zeit“ im Dezember, die ich persönlich noch nie als stille Zeit empfunden habe, versuche ich es selbst erst mal mit der stillen Zeit im November. Stille Zeiten sind ja eigentlich nicht so mein Ding – im Selbstversuch merke ich, dass ich froh bin, dass wenigstens der Kühlschrank Geräusche macht. Unsere Kinder werden dann still, wenn ein „Stilligkeitswettbewerb“ am Tisch stattfindet: Verloren hat, wer zuerst was sagt. Mein absolutes Lieblingsspiel. Eine kurze Stille am Tisch wurde neulich unterbrochen, als unsere Jüngste fragte, ob man im Himmel pupsen dürfe. Mein Mann antwortete fachgerecht: „Ja, aber dort stinken sie nicht.“ Töchterchen war zufrieden.

Ich wünsche mir und uns allen, dass die „stille Zeit“ nicht auf den Dezember verschoben wird. Dass Stille ein Familienmitglied wird, mit dem man gerne Zeit verbringt, das einen schützt vor dem lauten Prasseln der täglichen Eindrücke. Vor allem als Hilfe zur Befreiung von Gedanken, die einen nicht weiterbringen: „Wie muss/soll/darf ich sein?“ Vor Gott sind alle gleich: gleich wert, gleich geliebt. Und in der Stille hören wir es auch, dass er uns genau das zurufen möchte. Und dann sind Kinderpupse, fallende Tannenbäume und ungehobelte Spätzle auch nicht mehr das Entscheidende.

Simone Müller lebt als Exilbayerin mit ihrem Mann und ihren drei Kindern bei Berlin.

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