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Frauen wählen links, Männer rechts?

Männer und Frauen scheinen weltweit in ihrem Wahlverhalten auseinanderzudriften. Jedoch entscheidet vor allem die Lebenssituation , wo frau ihr Kreuzchen setzt.
Wieder nur ein Klischee oder ist was dran am geschlechtsspezifischen Wahlverhalten?
Foto: imago stock&people (imago stock&people)

Die jüngste Umfrage des Gallup Instituts zum Wahlverhalten der US-Amerikaner zeigt deutlich, dass Frauen liberaler wählen als Männer. Ein liberaler Trend lässt sich bei beiden Geschlechtern feststellen, doch den größten Zuwachs sieht man unter Frauen. Heutzutage bezeichnen sich in jeder Altersgruppe weniger Männer als liberal als Frauen. Mit 15 Prozentpunkten ist die Kluft bei den 18- bis 29-Jährigen jedoch am größten (40 Prozent der Frauen gegenüber 25 Prozent der Männer). Viele bezeichnen diesen Trend als Gender-Gap, also Geschlechterkluft. Auch die „Financial Times“ wollte im Januar einen solchen weltweiten „Ideological Gender Gap“ feststellen und gab für Deutschland sogar eine Kluft von 30 Prozentpunkten zwischen zunehmend konservativem männlichem und liberalem weiblichem Wahlverhalten an.

Marriage Gap statt Gender Gap

Aber liegt es wirklich am Geschlecht? Eine Wahlbefragung des Meinungsforschungsinstituts National Election Pool im Jahr 2022 ergab für die USA, dass 58 Prozent der verheirateten Wähler den republikanischen Kandidaten unterstützten, während 59 Prozent der unverheirateten Befragten für den Demokraten stimmten. Verheiratete Männer und Frauen unterschieden sich hinsichtlich ihres Wahlverhaltens nicht wesentlich voneinander. Anders sieht es bei den unverheirateten Wählern aus: Eine knappe Mehrheit der unverheirateten Männer, 52 Prozent, stimmte für den republikanischen Kandidaten. Dagegen taten dies nur 31 Prozent der unverheirateten Frauen.

Bereits 2003 schrieb der US-amerikanische Publizist Dennis Prager, der Gründer der Non-Profit-Organisation „Prager U“ über dieses Phänomen, das sich schon damals abzeichnete. Seiner Ansicht nach handelt es sich hier mehr um einen Marriage-Gap, also eine Ehe-Kluft, statt eine Geschlechterkluft: Es seien nicht Frauen im Allgemeinen, die Demokraten wählen, sondern unverheiratete, alleinerziehende Frauen. Verheiratete Frauen, besonders mit Kindern, neigten überwiegend dazu, Republikaner zu wählen. Frauen suchten natürlicherweise den Schutz des Mannes, so Prager. Haben sie keinen Mann, suchten sie woanders Schutz, also beim Staat. Der Wohlfahrtsstaat mache Männer als Versorger der Familie überflüssig, da der Staat mehr zahle, wenn man allein bleibt.

Vor allem schwarze Eltern in den USA sind alleinerziehend. Laut NBC News sind rund 72 Prozent dieser Kinder unehelich und 67 Prozent wachsen ohne Vater zu Hause auf. Das bestätigen die Daten der Bundeszentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten, der eine Fülle von Daten über Geburten in Amerika enthält. Ohne Vater aufzuwachsen, erhöht das Risiko, signifikant in Armut zu leben, anfällig für Drogenmissbrauch zu sein und anderweitig kriminell aktiv zu werden. Das belegen zahlreiche Studien, so zum Beispiel eine Untersuchung der Universität von Kalifornien über die Abwesenheit des Vaters und die Inhaftierung von Jugendlichen, nachzulesen im „Journal of Research on Adolescence“. Verständlich also, dass Frauen in diesen Lebensverhältnissen die Partei wählen, die mithilfe eines großen Staates viele Sozialleistungen verspricht.

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Verheiratete Frauen dagegen beginnen, einen starken Staat tendenziell eher als Eindringling zu betrachten, der sich in die Familie einmischen und ihr Geld wegnehmen will. Sie wollen ihre Familie davor schützen. Viele dieser Frauen entscheiden sich in den USA, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, um sie vor übergriffigen staatlichen Einflüssen zu bewahren. Für eine links-liberale Regierung sei es demnach von Bedeutung, instabile Familien oder Ersatzfamilienmodelle zu schaffen, damit sie ihren abhängigen Wählerpool aufrechterhalten und vergrößern kann, folgert Dennis Prager.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Geschichte des Wahlrechts in den USA genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Suffragetten in den USA des 19. Jahrhunderts taten sich schwer damit, die Mehrheit der Frauen vom Wahlrecht zu überzeugen. Wählen durften zu dieser Zeit in den USA nur Haus- oder Grundbesitzer, ein individuelles Wahlrecht gab es nicht. Im Familienbetrieb arbeiteten Angestellte, Knechte und die gesamte Familie mit, Wahlrecht hatte aber nur der Familienvater, der das Land besaß und Chef der heimischen Produktion war. Die Idee dahinter war, dass es sich überwiegend um ältere, etablierte Männer handeln würde, die Erfahrung in der Verwaltung eines landwirtschaftlichen Betriebes oder Familienbetriebes hätten. Damit brächten sie auch das nötige Fachwissen mit, um bei ihrem Wahlverhalten das Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft im Blick zu haben.

Frauenwahlrecht und Gesellschaftsstruktur

Der Wechsel von Haushaltsstimme zu Einzelstimme veränderte die Sicht auf die Struktur der Gesellschaft enorm. Eine Anti-Frauenwahlrechtgruppe schrieb 1894: „Der Haushalt, nicht das Individuum ist die Einheit des Staates, und die überwiegende Mehrheit der Frauen ist durch das Haushaltswahlrecht vertreten.“ Nicht mehr die Familie, sondern das Individuum wurde durch die Änderung des Wahlrechts Keimzelle der Gesellschaft, folgert Nancy Pearcey, die Autorin des Buches „The toxic war on masculinity“ (Der giftige Krieg gegen die Männlichkeit). Das individuelle Wahlrecht sei der erste Schritt, den Mann überflüssig zu machen: Denn nun sähe er sich nicht mehr in der Verantwortung für das Allgemeinwohl und das Wohl seiner Familie. Stattdessen sei seit diesem Moment in der Geschichte jeder für sich selbst verantwortlich. Eine steile These, der man aber eine gewisse Schlüssigkeit nicht absprechen kann.

Außerdem sei die industrielle Revolution zu einem Wendepunkt in der gesellschaftlichen Definition von Männlichkeit geworden, so die evangelikale Autorin weiter. Durch die Vertreibung von Ehemännern und Vätern aus dem Haus habe die Industrialisierung materielle Bedingungen geschaffen, die es schwieriger machten, ein biblisches Ideal der Männlichkeit zu verwirklichen, schlussfolgert Pearcey. Bis dahin arbeiteten sie Seite an Seite mit ihrer Frau und seien in großem Ausmaß beteiligt gewesen an der Erziehung und Versorgung der Kinder. Nun verbrachten sie die meiste Zeit im öffentlichen Raum, der immer säkularer wurde. Mit der stetigen Säkularisierung der Gesellschaft sei des Weiteren der Alkohol ein großes Problem geworden, führt Pearcey aus. Der Alkoholkonsum in den Jahren vor der Prohibition lag dreimal höher als im heutigen Amerika und führte zu einer Krise, die sich in ihrem Ausmaß mit der aktuellen Fentanylkrise vergleichen lässt.

Die Zahl der obdachlosen, arbeitslosen und zum Teil auch häuslich gewalttätigen Männer nahm zu. In der Zwischenzeit wurde das individuelle Wahlrecht für alle Männer eingeführt. Während zuvor nur Männer wählen durften, die gebildet und im Stande waren, einen Betrieb zu führen, wählten nun auch die Alkoholiker von der Straße – überspitzt formuliert. Die Temperance-Bewegung vor der Prohibition gab den Suffragetten damit den emotionalen Anstoß für das Frauenwahlrecht. Die Forderung nannten sie nun „The Ballot of Home Protection“, was so viel heißt wie „Der Stimmzettel für den Schutz des Zuhauses“. Dem nutzlosen Trinker zu Hause wollten die Frauen nun ihre Stimme entgegensetzen und auch wählen dürfen. Es war also ein Reflex, der dem Schutz ihrer Kinder und ihrer Lebensgrundlage zuzuschreiben ist, der die Frauen vom Wahlrecht überzeugte, nicht aber die feministischen Werte der Suffragettenbewegung wie Autonomie und Emanzipation.

Wer profitiert vom Kampf der Geschlechter?

Vom Kampf der Geschlechter profitieren also nicht erst heute Parteien, die Sicherheit statt Freiheit versprechen. Frauen wählen dann konservativer, kann man umgekehrt folgern, wenn sie Männern vertrauen können, die Verantwortung übernehmen. Eine Ansicht, die nur schlecht zum Diskurs über „toxische Männlichkeit“ passt, der seinerseits den Konflikt der Geschlechter fortschreibt und „männliche“ Tugenden wie Tapferkeit, Stärke und Verantwortung unter Generalverdacht stellt. Wenn bestimmte Gruppen wie etwa alleinerziehende Mütter ihr legitimes Bedürfnis nach Schutz und Versorgung bei einem starken Staat zu erfüllen suchen, ist das nicht verwunderlich. Doch mit jeder staatlichen Leistung geht auch ein Stück individuelle Freiheit verloren.

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Anna-Lena Bioly Frauenwahlrecht

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