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Demos statt Dialog: Wenn Drag Queens für Kinder lesen

Bei einer Draglesung für Kinder in Ingolstadt zeigen Queer-Aktivisten und Gegendemonstranten Präsenz.
Drag-Performer Vicky Voyage und Erik BigCl!t
Foto: Kulturamt Ingolstadt

Drag kommt nach Ingolstadt. Das dortige Kulturamt hat anlässlich des Fem*Festivals eine Lesung für Kinder unter dem Titel „Wir lesen die Welt, wie sie euch gefällt“ mit den Drag-Performern Vicky Voyage und Erik BigCl!t veranstaltet. Sie im pinkfarbenen Hosenanzug und durchsichtigen Plateau-Stilettos, er in königsblauen Pluderhosen, einer Sternbrille und zwei Plüschfuchs-Stolen um die Schultern. Unter Applaus wird auch die Ingolstädter Bürgermeisterin begrüßt.

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Draußen wird demonstriert. Etwa fünfzig Menschen haben sich versammelt, um gegen die Lesung zu protestieren, mit Schildern wie „Kinderseelen sind zerbrechlich“, „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ oder „Gott sei mir, dem Sünder, gnädig!“. Aus einem Megaphon erklärt ein Redner, dass es das Ziel der Gender-Ideologie sei, Kindern ihre Kategorien zu nehmen, sie formbar zu machen. Einige Gegendemonstranten schnauben. Von ihnen stehen mindestens doppelt so viel am Eingang des Veranstaltungsortes. Eine Handvoll Polizisten trennt die Gruppen. Es sind Initiativen wie „Omas gegen Rechts“, dem jungen Theater oder „Jazz gegen Rechts“, die schützend vor den Türen der Veranstaltung stehen. „Wir wollen die Leute hier unterstützen“, so eine Schauspielerin des jungen Theaters. „Ich bin selber queer. Ich hätte mir so eine Repräsentation als Kind auch schon gewünscht.“ Anders sieht das ein Gegendemonstrant: „Sie können ihre Shows ja machen, aber warum muss ich Kleinkindern so etwas vorführen?“

Felix will Röcke tragen

Vicky Voyage und Erik BigCl!it treten im Lesesaal vor den Weichbodenmatten und Tischen mit Malzeug und Nagellack als Prinzessin Vicky und Prinz Erik auf. Der Mitschnitt ist streng untersagt. Zur Lektüre sind fünf Bücher vorbereitet, die – mit Ausnahme des „Kleinen Prinzen“ – offen Geschlechter- und Sexualitätskategorien infrage stellen: Eine Prinzessin will keine Frösche, sondern andere Prinzessinnen küssen, Felix Röcke tragen, zwei männliche Kaninchen wollen heiraten. Laut Voyage und BigCl!t kam die Auswahl der Bücher gemeinsam mit dem Regenbogenfamilienzentrum in München zustande und mussten nach Protesten wegen einer geplanten Lesung in München vom Jugendamt überprüft werden.

Während ihrer Show halten sich Voyage und BigCl!t bedeckt und kindgerecht: Beide treten nur unter ihren Vornamen auf, gehen auf die Kinder ein. Das interaktive Programm sieht ein Quak-Konzert mit dem Publikum vor, und ein Pirouettendrehen, für das Voyage auch rote Röcke für die anwesenden Erwachsenen mitgebracht hat. Ein Familienvater nimmt das Angebot an und dreht sich zum Klatschen des Publikums im roten Minirock über der Jeans mit den Kindern im Kreis. BigCl!t betont: „Man darf immer anziehen, was man will.“ Begonnen mit ihrer Zusammenarbeit haben Voyage und BigCl!t beim Christopher-Street-Day 2023. Damals waren die Münchner Stadtbibliotheken auf Draglesungen von Voyage in Zusammenarbeit mit dem Regenbogenzentrum in München aufmerksam geworden. „Um die Veranstaltung noch diverser zu machen, sollte nicht nur eine Drag Queen, sondern auch ein Drag King mit an Bord sein“, so die Performer gegenüber dieser Zeitung. 

„Idole alternativer Lebensweisen“

Für Voyage sind die Lesungen eine Gelegenheit, ein Vorbild für künftige Generationen zu sein. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Kind Idole alternativer Lebensweisen und -realitäten hatte“, so die Drag Queen. „Ich erinnere mich aber daran, dass ich stets das Gefühl hatte, mich in heteronormative Schubladen stecken zu müssen.“ BigCl!ts Darstellerin hat einen Hintergrund in der sozialen Jugendarbeit. „Ich weiß, wie wichtig es ist, jungen Menschen eine Freude zu bereiten und welchen positiven Impact das auf ihre weitere Entwicklung haben kann“, so Big Cl!t. „Vielfalt zu zeigen ist eine Bereicherung für alle Menschen und rettet im besten Fall sogar Leben.“ 

 Zu Vorwürfen der Frühsexualisierung geben sich Voyage und BigCl!t gelassen. „Geschlechter und was immer dort drin steht, wird von der Geburt an vorgegeben und nicht von uns“, so BigCl!t. „Wir existieren einfach nur in diesem Raum.“ Voyage führt die Kritik auf Angst zurück. Diese sei aber dort nicht gerechtfertigt, wo man sich durch eine einfache Online-Recherche informieren könne. „Wir versuchen immer offen und transparent zu sein und können alle Menschen nur einladen, bei Zweifel lieber einmal mehr nachzuhaken und sich selbstverantwortlich zu informieren“, so Voyage.

Eine Online-Recherche ergibt beispielsweise, dass die Darstellerin von BigCl!t vor drei Jahren beim „Porn-Festival Vienna“ zu sehen war und laut dem „Tuntenball“ ihre Anstellung als Sozialarbeiterin wegen ihrer Arbeit in der „Post-Porn-Branche“ verlor. 

Noch während die Veranstaltung langsam zu Ende geht, packen die Demonstranten draußen ein. Ein zweites Mitglied des Jungen Theaters lässt die Demo Revue passieren. Hätte sie sich mehr Dialog gewünscht? „Mein Motto ist: Mit Nazis redet man nicht“, sagt sie. Ihre Freundin hakt ein: Bei dieser Art Veranstaltung werde ein Gruppengefühl angeheizt, das den Dialog erschwere. Insgesamt wünschen sich beide eine bessere Gesprächskultur. Aber, so die Schauspielerin: „Über Menschenrechte diskutiert man nicht.“

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Sally-Jo Durney

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