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Emmaus, neu entdeckt?

Wissenschaftler meinen, den biblischen Ort lokalisiert zu haben - Zweifel bleiben.
Die Stützmauer in Kiriat-Jearim
Foto: Foto: | Ein Beweis? Die Stützmauer in Kiriat-Jearim.Thomas Römer

Am 24. Oktober werden der Archäologe Israel Finkelstein und der Bibelwissenschaftler Thomas Römer auf einer Konferenz in Jerusalem eine Interpretation ihrer archäologischen Ausgrabung in Kiriat-Jearim präsentieren: In dem der „Tagespost“ vorliegenden Vortrag argumentieren sie für eine neue Lokalisierung des biblischen Ortes Emmaus. Gemäß dem Evangelium nach Lukas erschien Jesus am Tag seiner Auferstehung zwei Jüngern, die auf dem Weg zu diesem Dorf waren, legte ihnen unerkannt anhand der Heiligen Schrift die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung aus und brach mit ihnen im Haus des Jüngers Kleopas eben dort am Abend das Brot – und sie erkannten, dass es Jesus war, der sie auf dem Weg begleitet hatte (siehe Lukas 24, 13–35).

Der traditionelle Ort, an dem dieser Erzählung gedacht wird, ist das im Hügelland zwischen dem Bergland Judäas und dem Mittelmeer gelegene Emmaus-Nikopolis. Hier finden sich Überreste eines großen Kirchenkomplexes aus byzantinischer Zeit bestehend aus zwei Basiliken und einem Baptisterium. Bereits für das Jahr 325 n. Chr. ist dieser Ort als Bischofssitz schriftlich belegt. Und Eusebius von Caesarea, der auch als „Vater der Kirchengeschichte“ bezeichnet wird, schreibt in seinem Onomastikon, das vermutlich am Anfang des 4. Jahrhunderts n. Chr. entstand: „Emmaus, aus dem Kleopas stammte, der im Lukasevangelium erwähnt wird, ist heute Nicopolis, eine berühmte Stadt in Palästina.“

Sechzig Stadien entfernt von Jerusalem

So identifizierte er wie auch andere antike, christliche Schriftsteller den Ort, an dem bis heute der Erzählung aus dem Evangelium nach Lukas gedacht wird. Diese archäologisch und kirchengeschichtlich gestützte Tradition steht jedoch im Widerspruch zu einem Detail der Erzählung. „Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist“, heißt es im Evangeliumstext. Sechzig Stadien sind circa elf Kilometer. Der Großteil der neutestamentlichen Handschriften enthält diese Angabe und textkritisch gilt es als unumstritten, dass diese Angabe richtig ist – auch wenn die älteste erhaltene vollständige Abschrift des Neuen Testaments, der Codex Sinaiticus, eine Entfernung von 160 Stadien, was zu Emmaus-Nikopolis passend einer Entfernung von circa 30 Kilometern entspricht, angibt. Ausgehend von der Angabe, dass Emmaus 60 Stadien von Jerusalem entfernt liegt, wurden im Mittelalter dann andere Orte als das Emmaus aus dem Evangelium nach Lukas identifiziert.

Die Franziskaner errichteten in El Qubeibeh einen Pilgerort zum Gedächtnis der Emmaus-Erzählung und die Kreuzfahrer definierten Abu Gosh durch den Bau einer Auferstehungskirche dort als Emmaus. Israel Finkelstein und Thomas Römer haben bei ihrer Ausgrabung in Kiriat-Jearim, ganz in der Nähe von Abu Gosh, nur 13 Kilometer westlich von der Jerusalemer Altstadt einen 150 x 110m großen Unterbau für eine Befestigungsanlage gefunden, der von massiven drei Meter breiten Steinmauern gestützt wird. Durch gefundene Tonscherben und die Methode der Lumineszenzdatierung, anhand derer bestimmt werden kann, wann Materialien vor ihrer Verarbeitung zuletzt direktem Sonnenlicht ausgesetzt waren, konnten die gefundenen Stützmauern datiert werden. Sie wurden in der Eisenzeit gebaut und verstärkt und dann in der hellenistischen und nochmals in römischer Zeit renoviert. Die vorletzte Renovierung im 2. Jahrhundert v. Chr. stellen die beiden Wissenschaftler in direkte Verbindung mit einem Bericht aus dem ersten Buch der Makkabäer, der auch von dem antiken, jüdischen Historiker Flavius Josephus wiedergegeben wird. Gemäß 1 Makkabäer 9, 50–52 hat der seleukidische General Bakchides, der im Auftrag der hellenistischen Könige Antiochos IV. Ephiphanes und Demetrios I. Soter gegen die aufständischen jüdischen Makkabäer kämpfte, verschiedene Städte in Judäa befestigt. In der Liste, die die verschiedenen Städte aufzählt, wird auch ein „Emmaus“ genannt. In ihrem Artikel zeigen Israel Finkelstein und Thomas Römer, dass die anderen genannten Orte sich heute gut lokalisieren lassen – allein in Richtung Westen wäre Jerusalem schutzlos gewesen. Da die einzige für das 2. Jahrhundert v. Chr. bekannte Befestigung von Städten in Judäa die durch Bakchides war, vermuten nun Israel Finkelstein und Thomas Römer: „Der Hügel Kiriat-Jearim mit seinem weitreichenden Blick auf die Küstenebene im Westen und das gesamte Jerusalemer Bergland im Osten und Südosten ist die ultimative dominierende Stätte entlang dem Hauptweg nach Jerusalem.“ Sie weisen zwar darauf hin, dass zwischen den Ortsnamen Kiriat-Jearim und Emmaus keine linguistische Verbindung besteht, aber dass dieser Ort den Angaben für das im Evangelium nach Lukas genannte Emmaus entspricht.

Kritik an der vorgeschlagenen Lokalisierung

Bruder Anton Magrachov von der Gemeinschaft der Seligpreisungen, die seit 1993 die heiligen Stätten in Emmaus-Nikopolis betreut, zeigte sich im Gespräch mit der „Tagespost“ sehr kritisch gegenüber der neu vorgeschlagenen Lokalisierung des neutestamentlichen Emmaus. Für ihn ist die Verbindung des archäologischen Fundes mit den biblischen Texten übereilt. Es reiche schon, im Buch der Makkabäer wenige Seiten zurückzublättern, um die Thesen von Israel Finkelstein und Thomas Römer zu kritisieren. Erstmals wird in 1 Makkabäer 3, 40 ein Ort namens Emmaus erwähnt, „dieser liegt jedoch in der Ebene, also in der Schefela, hier wo auch wir uns befinden“, sagt er und fügt hinzu, „diese Beschreibung passt nicht zu Kiriat-Jearim“. Zudem sei in der gesamten antiken jüdischen Tradition nur ein Ort als Emmaus bekannt und dies sei Emmaus-Nikopolis. „Und was die Bautätigkeiten Bakchides' betrifft: Hier ganz in der Nähe von Emmaus-Nikopolis, östlich von uns, haben israelische Archäologen vor Jahren schon auf einem Hügel eine Festung, die Bakchides erbauen ließ, gefunden.“

Und Pater Franz von Sales, der Prior der Gemeinschaft in Emmaus-Nikopolis erklärte gegenüber der „Tagespost“: „Es ist gut, dass durch die wissenschaftliche Diskussion der Ort Emmaus in die Schlagzeilen kommt. Wir beten hier an einem Ort, der seit der Antike vielen Gläubigen heilig ist. Doch man darf bei aller Diskussion auch nicht vergessen, worum es bei Emmaus geht: Im Mittelpunkt stehen nicht die Steine, sondern das Gedächtnis an Jesus Christus, der am Tag seiner Auferstehung mit zwei Jüngern die Heilige Schrift auslegt und mit ihnen das Brot bricht.“

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