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"Shogun": Arthouse-Action im feudalen Japan

Die fesselnde Disney+-Neuauflage von „Shogun“ taucht tief in die japanische Geschichte und Kultur ein.
Shogun
Foto: IMAGO/Supplied by LMK (www.imago-images.de) | Gelungene Neuauflage: "Shogun" punktet mit fesselnder Handlung, düsterer Atmosphäre und spannenden Einblicken in die japanische Kultur.

Japan im Jahr 1600: Auf einer Schrifttafel heißt es: „Jahrzehntelang haben portugiesische Katholiken vom Handel in Japan reichlich profitiert. Sie hielten die genaue Lage des Landes geheim vor ihren Erzfeinden, den europäischen Protestanten“.  Die zehnteilige Serie „Shogun“, bereits Anfang der 1980er-Jahre erfolgreich mit Richard Chamberlain verfilmt, basiert auf dem 1980 erschienenen gleichnamigen Roman des Briten James Clavell, der im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft geriet. Daher rührt wohl die Einseitigkeit der Serie: Die portugiesischen Jesuiten werden als gierige Geschäftsleute dargestellt, die zu ihrem Vorteil geheime Stützpunkte bauen.

Zwar sind in der Serie etliche Christen in einem Fischerdorf zu sehen, aber „Shogun“ verschweigt, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zu 300 000 Christen in Japan lebten. Serie wie Roman basieren lose auf dem Leben des englischen protestantischen Schmugglers William Adams, der Ende des 16. Jahrhunderts im Dienste der Niederländischen Ostindien-Kompanie nach Japan segelte. Er half dem Shogun beim Bau der ersten Schiffe im westlichen Stil. Auf seinen Einfluss hin ordnete der Shogun 1614 an, die ausländischen Missionare auszuweisen, und verbot das Christentum in Japan vollständig. Es begann die Zeit der „Kirche der Katakomben“ oder „kakure kirishitans“, die bis zum Jahr 1865 andauerte. Dies spielt in der Serie zwar eine untergeordnete Rolle, erklärt sich aber aus dem Umstand, dass „Shogun“ aus der Sicht des englischen Piraten – wie er teilweise bezeichnet wird – erzählt. In der Serie heißt er John Blackthorne (Cosmo Jarvis).

Hineingezogen in den japanischen Bürgerkrieg

Auf die eigentliche Handlung geht ebenfalls die eingangs erwähnte Schrifttafel ein: „In Osaka ist der regierende Taiko gestorben. Sein Erbe ist zu jung, um zu regieren. Fünf Kriegsherren kämpfen erbittert um einen Titel, die ihnen absolute Macht verleiht: Shogun.“ Die hier erwähnten „Kriegsherren“ heißen eigentlich Daimyo, in der Serie meistens als „Fürst“ bezeichnet. Eigentlich bekämpften sie einander in einem hundert Jahre währenden Bürgerkrieg.

In der Serie spielen zwei Daimyo die Hauptrollen: Ishido Kazunari (Takehiro Hira), der den Rat der Regenten führt, und sein Gegenspieler Yoshii Toranaga (Hiroyuki Sanada), der eigentliche Protagonist von „Shogun“. Die Handlung wird vorangetrieben, als John Blackthorne vor der japanischen Küste Schiffbruch erleidet, und in Gefangenschaft gerät. Der „Barbar“ wird dem Fürsten Toranaga in Osaka vorgeführt. Die Sprachbarriere wird trotz der Übersetzung durch einen portugiesischen Priester allzu deutlich, zumal Blackthorne als Protestant gegenüber einem katholischen Priester voller Vorurteile ist. Dennoch findet Toranaga irgendetwas in diesem Seefahrer (japanisch: Anjin), der ihn dazu bewegt, den „Barbaren“ unter seinen Schutz zu nehmen. Dass er dem Daimyo mit seinen Kanonen gute Dienste leisten wird, wird später deutlich. Der Fürst stellt seine jüngere Verwandte Mariko (Anna Sawai), die als Christin Portugiesisch spricht, dem Anjin als Dolmetscherin ständig zur Seite – es versteht sich, dass sich durch die Serie eine gewisse erotische Spannung zieht, zumal Marikos Ehemann „Buntaro“ (Shinnosuke Abe) nach dem Ausbruch von Toranaga und seiner gesamten Entourage aus Osaka für tot erklärt wird.

Eine hervorragende Neuauflage

Genauso wie Fürst Toranaga unverständlich bleibt, warum Protestanten und Katholiken an denselben Gott glauben und sich trotzdem streiten, hat der Zuschauer zunächst einmal Einiges zu verarbeiten, um in die japanische Kultur einzutauchen. Es beginnt damit, dass die zahlreichen japanischen Dialoge nicht synchronisiert, sondern untertitelt werden – ohnehin empfiehlt es sich, die Serie in den Originalsprachen Japanisch und Englisch – oder Portugiesisch, da sich Blackthorne und Mariko angeblich in dieser Sprache unterhalten – zu sehen. Übrigens: Auch Yoshii Toranaga ist an eine historische Persönlichkeit angelehnt, an Tokugawa Ieyasu (1543-1616), der als einer der „Drei Reichseiniger“ des feudalen Japans gilt. Dass er – wie in der Serie dargestellt – mit 13 Jahren seine erste Schlacht gewann, ist ebenfalls historisch verbürgt.

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„Shogun“ macht visuell eher den Eindruck eines Filmepos für die große Leinwand als einer Fernsehproduktion. Dank des hervorragenden Produktionsdesigns, der exotisch-großartigen Kostüme und einer ebenso ausgezeichneten Kameraführung bietet die Serie einen multiperspektivischen und detailverliebten Einblick in die japanische Gesellschaft der anbrechenden Feudalherrschaft. Den Drehbuchautoren – insbesondere Maegan Houang, Rachel Kondo, Justin Marks und Emily Yoshida – und den sechs verschiedenen Regisseuren (von den zehn Folgen führt Frederick E.O. Toye bei vier Regie) gelingt es, auf höchst spannende Art Action und Drama im Gleichgewicht zu halten.


„Shogun“, Serienschöpfer: Maegan Houang, Rachel Kondo, Justin Marks und Emily Yoshida, Regie: Frederick E.O. Toye u.a., USA 2024, 10 Folgen von je 50 bis 70 Minuten. Auf Disney+.

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