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Pixar-Animationsfilm „Rot“: Emotionen in der Pubertät lassen erröten

Eine fantasievolle Geschichte mit überraschenden Gedanken über das Reifen sowie über Familie und Freundschaft: der Pixar-Animationsfilm „Rot“.
Filmszene aus „Rot“ („Turning Red“)
Foto: Disney/Pixar

Domee Shi gewann 2019 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm mit „Bao“, der im Kino vor „Die Unglaublichen 2“ vorgeführt wurde. In nur acht Minuten und ohne Dialoge erzählte „Bao“ eine Mutter-Sohn-Geschichte mit einer Prise Magie: Eine an Einsamkeit leidende Kanadierin mit chinesischen Wurzeln bekommt endlich die Chance, Mutter zu sein, als ein Baozi (chinesische Teigtasche) plötzlich als kleiner Junge zum Leben erwacht. „Bao“ ist der erste Pixar-Kurzfilm, bei dem eine Frau Regie führt.

Nun führt Domee Shi beim 25. Pixar-Langfilm „Rot“ („Turning Red“) Regie, der auf der Plattform „Disney TV+“ uraufgeführt wird. Es ist der erste abendfüllende Pixar-Animationsfilm, bei dem eine Frau Regie führt. Ja, alle leitenden Funktionen von der Mit-Drehbuchautorin Julia Cho bis zu den Ausführenden Produzentinnen sind mit Frauen besetzt.

„Domee Shi und ihrer Mitautorin Julia Cho gelingt es,
das Erwachsenwerden als ein emotionales Auf und Ab
mit ihren Albernheiten und Vorlieben für Musikbands
und insbesondere mit der Hassliebe auf die Familie darzustellen“

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Erneut erzählt Domee Shi eine Geschichte mit einer guten Portion Magie, die in einem kanadisch-chinesischen Milieu angesiedelt ist: Die 13-jährige Mei lebt 2002 in Toronto. Sie ist gut in der Schule, hat drei beste Freundinnen, und hilft gerne ihrer überfürsorglichen Mutter. Als das verspielte Mädchen, das schnell rot anläuft, wenn sie mit Jungs zu tun hat, in die Pubertät gerät, kommt zu den üblichen Abnabelungsversuchen von der Familie ein wahrhaft ungewöhnliches Familienerbe zum Vorschein.

Wie bereits in „Bao“ schildert Domee Shi ein ihr vertrautes Milieu: Sie selbst lebte in Toronto als 13-Jährige im Jahre 2002 in einer kanadisch-chinesischen Familie. Laut Produzentin Lindsey Collins hatte die Regisseurin „eine sehr enge und irgendwie komische und komplexe Beziehung zu ihrer Mutter. Einige der verrücktesten Momente im Film basieren auf Dingen, die Domee tatsächlich passiert sind“.

Die Mutter-Tochter-Beziehung bekommt Risse

Die Mutter-Tochter-Beziehung steht im Mittelpunkt des Filmes. Als sie für „Bao“ den Oscar gewann, wurde Shi gefragt, warum die Teigtasche ein Junge und kein Mädchen werde. Ihre Antwort: „Um die Mutter-Tochter-Beziehung zu behandeln, brauche ich einen abendfüllenden Film.“ Insofern kann „Rot“ als eine vertiefte Weiterführung von „Bao“ angesehen werden: Zu Beginn lebt Mei wie Bao in einer harmonischen Beziehung zur Mutter. Aber mit der Pubertät bekommt diese Beziehung Risse.

„Rot“ handelt außerdem von der Integration einer orientalischen Familie in die westliche Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Generationen, das in der Adoleszenz eine besondere Akzentuierung erhält.

Überkandidelt wirkende Frauen - ein vernünftiger Mann

Für die Veränderungen der Pubertät wendet „Rot“ eine dreifache Metapher an: Das Rotwerden (im Original heißt der Film ja „Turning Red“). Mei errötet, wenn sie sich schämt, wenn sie auf die Mutter oder einfach auf die Welt wütend wird, beziehungsweise wenn sie eine sexuelle Anziehung spürt, wobei der ausdrückliche Bezug auf die Menstruation auf eine ziemlich lächerliche Art und Weise eingeführt wird, die Meis Mutter als übertrieben-theatralisch dastehen lässt.

Und Meis Mutter ist nicht die einzige erwachsene Frau in „Rot“, die überkandidelt reagiert – da ist noch eine ganze Reihe weiblicher Verwandter, die in ihrer Manieriertheit aus einem Manga-Heft zu stammen scheinen. Wobei – erstaunlich genug in einem Film, den eigentlich Frauen verantworten – sich Mais Vater als Einziger als bodenständig und bei Verstand erweist.

Simpel gestrickte Charaktere

 

 

Selbstverständlich ist die Animation wie bei jedem Pixar-Film auf höchstem Niveau. „Rot“ verknüpft den Realismus von „Soul“ mit den plastischen Figuren von „Luca“. Und kein anderes Animationsstudio ist in der Lage, einem Tier – hier einem roten Panda – solche Emotionen mit der ganzen Bandbreite an Gesichtsausdrücken einzuflößen.

In „Rot“ kommt dazu die hervorragende Filmmusik von Ludwig Göransson hinzu, die zuletzt in „The Mandalorian“ überzeugt hatte, sowie Songs, die sich als eine Hommage an „Boybands“ ausnehmen. In vielerlei Hinsicht erinnert „Rot“ an den Pixar-Film „Alles steht Kopf“, weil auch hier die Emotionen eines pubertierenden Mädchens visualisiert werden. Im Vergleich dazu – aber ebenfalls zu anderen Pixar-Filmen wie „Luca“ oder auch zum letzten Disney-Animationsfilm „Encanto“ – wirken in „Rot“ die Charaktere jedoch eher simpel gestrickt.

Am Ende bleibt eine universelle Geschichte

Dennoch: Domee Shi und ihrer Mitautorin Julia Cho gelingt es, das Erwachsenwerden als ein emotionales Auf und Ab mit ihren Albernheiten und Vorlieben für Musikbands und insbesondere mit der Hassliebe auf die Familie darzustellen. Dazu kommen die in einem flotten Erzählrhythmus eingeführten zahlreichen Wendungen, die den Zuschauer auf unvorhergesehene Wege führen.

Im Grunde handelt „Rot“ von einer universellen Geschichte: Von den Veränderungen eines Mädchens, das zwischen Familie und Freunden hin- und hergerissen ist, und von einer Mutter, die seltsame Veränderungen in ihrer Tochter feststellt und einfach akzeptieren muss, dass sie ihren eigenen Weg geht. „Rot“ bietet insofern interessante Überlegungen über das Reifen, über Familie und Freundschaft.


„Rot“ („Turning Red“), Regie: Domee Shi, USA 2022, 100 Minuten, auf Disney TV+

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José García

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