The Man in Black is back (again)! Seit Johnny Cash am 12. September 2003 im Alter von 71 Jahren verstarb, sind posthum ganze vier „neue“ Alben von ihm erschienen. Mehr als 20 Jahre nach dem Tod der Musikikone könnte man meinen, dass mittlerweile alle musikalischen Beiträge bereits veröffentlicht wurden. Doch noch immer taucht neues Material von ihm auf.
So entdeckte jüngst sein Sohn John Carter Cash bislang unveröffentlichte Demoaufnahmen seines Vaters aus dem Jahr 1993, aus denen nun das fünfte posthume Johnny-Cash-Album entstand - und damit sein insgesamt sage und schreibe 72. Studio-Album.
Songs aus der Zeit vor Cashs großem Comeback
„Songwriter“ heißt die neue Zusammenstellung mit elf überwiegend bisher unveröffentlichten Songs: „Hello Out There“ ist der Auftaktsong des neuen Albums und klingt mit seinen pulsierenden Glocken und dem gotischen Hintergrundgesang fast so, als würde Cash sich direkt aus dem Jenseits bei seinen Fans zurückmelden. Dazu passt auch der Songtext, in dem er sich am Ende auf die „Offenbarung des Johannes“ bezieht: „When the angels sound their seven trumpets across the land and the sea. And the King will come and reign a thousand years. And restore His earthly realm. And there will be no night for He will be our light. Throughout eternity with Him.“
Der Sound klingt frisch und mit jeder Note unverkennbar nach ihm. Man merkt direkt: Seine charismatische und unverkennbare Bassbariton-Stimme war zu Beginn der 90er Jahre noch voller Kraft, obwohl die Karriere der Country-Legende nach den turbulenten 80er-Jahren eindeutig schwächelte. Seine glanzvolle Zeit schien endgültig vorbei zu sein: Mit 61 Jahren stand er 1993 ganz ohne Plattenvertrag da und hatte mit zahlreichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Dementsprechend hatte er auch keine vertraglichen Verpflichtungen und keinen Zeitdruck, als er seine Eigenkompositionen als Demoversionen in den LSI Studios in Nashville aufnahm. Diese Demos wurden jedoch bis auf zwei Songs nie veröffentlicht. Kurz nach diesen Aufnahmen begann er mit Starproduzent Rick Rubin an den legendären „American Recordings“ zu arbeiten, die seiner Karriere schließlich neuen Aufschub gaben und ihm zu einem späten Comeback verhalfen.
Sein Sohn und Weggefährten vollendeten Cashs Demos
Bereits vor einigen Jahren hatte Cashs Sohn mit vergessenen Aufnahmen aus den 80er-Jahren das Album „Out Among The Stars“ produziert. Ähnlich ging er nun auch bei dem neuen Werk vor: Er sezierte die alten Aufnahmen und reduzierte sie letztlich auf den Gesang und das Gitarrenspiel seines Vaters. Danach lud er einige alte Cash-Weggefährten und andere Musiker in dessen früheres Heimstudio ein, um die Songs mit hochkarätiger Besetzung zu vervollständigen.
Neben dem Gitarristen Marty Stuart, dem vor einem Jahr verstorbenen Bassisten Dave Roe sowie Schlagzeuger Pete Abbott wirkten unter anderem auch Dan Auerbach von den „Black Keys“ und der mit 22 Grammys ausgezeichnete legendäre Country-Star und heutige Eagles-Musiker Vince Gill an der finalen Fertigstellung von „Songwriter“ mit. Zudem holte Carter Cash diesmal auch den renommierten Produzenten David Ferguson dazu. Dieser arbeitete mehr als 30 Jahre lang mit seinem Vater zusammen und war bis zuletzt auch bei den erfolgreichen Sessions mit Rick Rubin als Toningenieur involviert.
Ein richtiges Old-School-Album
„Songwriter“ lässt unverkennbar Cashs Stil der 50er- und 60er-Jahre sowie auch seiner späteren Karrierephasen aufleben. Doch anders als die eher melancholischen und teils schwermütigen „American Recordings“ klingt „Songwriter“ noch locker, versprüht viel Herz und macht gute Laune. Die elf Songs kommen zudem mit einer guten Prise Humor daher. Auf einigen der Aufnahmen hört man sogar, dass Cash sich bei manchen Zeilen das Lachen nicht verkneifen kann und seine Stimme sich überschlägt. Auf „I love you Tonite“ wird er gar prophetisch, wenn er über sich und seine Ehefrau June Carter Cash, mit der er 35 Jahre lang verheiratet blieb, singt „And will we make the Millennium? Well, we might. I love you tonight. And when it's all over, I hope we will go together. I don't want you to be alone, you know.“
Das Millennium haben zwar beide noch gemeinsam erlebt, doch nur drei Jahre später starben sie tatsächlich fast zeitgleich nacheinander, im Abstand von nur knapp drei Monaten. Seine Liebe zu June, aber auch zu Gott und sein festes Vertrauen auf ihn, kommen in dem Song ebenfalls zum Tragen, wenn er zu Beginn singt: „But remember years ago in that church in Ottawa. We told God of our love and asked for His care. And so He made us happen and He blessed us. So if we were in the fold or out, He was always there.“ Mit dem Song "Poor Valley Girl" findet sich zudem ein weiterer musikalischer Liebesbrief an June.
„Songwriter“ ist keine Cash Cow
Posthume musikalische Veröffentlichungen sind zu Recht nicht ganz unumstritten: Während kritische Stimmen argumentieren, dass das, was Musiker nicht zu ihren Lebzeiten selbst zur Veröffentlichung freigegeben haben, nicht von anderen im Nachhinein und ohne deren Einverständnis erscheinen sollte, nur damit der Rubel rollt, freuen sich andere wiederum, dass auch Jahre nach dem Tod eines geliebten Künstlers immer noch neue Musik von ihm erscheint. Im Fall des „Songwriter“-Albums ist die Sachlage wohl eher so, dass die Songs damals nur deshalb nicht veröffentlicht wurden, weil die Plattenfirmen nicht glaubten, dass sich in der damaligen Zeit Geld damit verdienen ließ. Heutzutage sieht die Lage Gott sei Dank anders aus.
Lohnt sich das neue Cash-Album oder ist es nur ein lauwarmer Aufguss, um aus Cash buchstäblich noch mehr Cash herauszuholen? Es lohnt sich, denn Cash erweist sich auch auf „Songwriter“ eindeutig als ein überragender Songwriter und Musiker. Seine starke Bildsprache, seine einprägsamen Formulierungen und seine inhaltlichen Schwerpunkte wie Religiosität, Liebe, Frieden und Freiheit - all das ist mühelos auch auf „Songwriter“ zu finden, ohne dass man danach suchen muss.
Ein Musiker, der trotz allem mit sich und der Welt im Reinen ist
Johnny Cashs Texte sind pure Selbsttherapie und gleichzeitig praktische Lebenshilfe für seine Zuhörer darüber, wie man seine von Gott gegebene Zeit auf Erden und seine Beziehungen am besten meistern kann - immer durchsetzt von viel Humor und Selbstironie. Bei "Songwriter" liegt die Anerkennung im Gewöhnlichen, in der Art und Weise, wie ein 61-jähriger, der sich auf dem Tiefpunkt seiner Karriere befindet, auf sein Leben zurückblickt und sich über dessen Reichtum wundert, von der Familie und dem Zuhause bis hin zu Liebe und dem Überleben. Er hat jede Menge Lektionen von der Achterbahnfahrt seines Lebens mitgenommen und möchte diese mit seinen Zuhörern teilen.
Das Album dauert zwar nur 31 Minuten, ist aber absolut hörenswert und von hoher Qualität. Die für Johnny Cash typische Mixtur aus Folk, Rock und Country sowie aus Balladen und Uptempo-Nummern kommt überraschend frisch daher. Die Songs weiterhin in einem Archiv verstauben zu lassen, wäre eine immense Verschwendung gewesen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.