Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Serie „The Good Mothers“

In den Fängen der „Familie“

Die Disney-Serie „The Good Mothers“ verwendet viele Elemente klassischer Mafia-Filme, allerdings ohne Beschönigung.
"The Good Mothers"
Foto: Disney TV+ | Nachdem ihre Mutter spurlos verschwunden ist, wird Marisa Garofalo (Alessandra Roca, links) bei Verwandten untergebracht, damit sie „beschützt“ wird. Sie fühlt sich aber eher gefangen.

Die britisch-italienische Serie „The Good Mothers“ basiert auf dem gleichnamigen Buch des in Großbritannien lebenden US-amerikanischen Journalisten Alex Perry (1970, Philadelphia). Sie bietet das Porträt mehrerer Frauen, die der kalabrischen ‘Ndrangheta-Familie angehören. Die ‘Ndrangheta gilt als die mächtigste Mafia der Welt, sie kontrolliert 70 Prozent des Drogen- und Waffenhandels in Europa. 

Mitte der 2000er Jahre entwickelt die neue Anti-Mafia-Staatsanwältin Anna Colace (Barbara Chichiarelli) eine neue Strategie, um an die ‘Ndrangheta-Capos heranzukommen, als die Kronzeugin Lea Garofalo (Micaela Ramazzotti) einfach verschwindet, nachdem sie entschieden hatte, an die Seite ihres Mannes Carlo Cosco (Francesco Colella) zurückzukehren Die Staatsanwältin beschließt, sich mit Frauen der Mafiafamilien in Kontakt zu treten.

Figuren im Mittelpunkt, die sonst Nebenrollen spielen

„The Good Mothers“ konzentriert sich auf die Staatsanwältin sowie auf drei Frauen, die sie dazu bewegen möchte, gegen ihre Familien auszusagen und das repressive Umfeld zu beschreiben, in dem sie leben.

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Im Mittelpunkt der Serie stehen demnach Figuren, die in Mafiafilmen eher eine Nebenrolle spielen. Neben der Staatsanwältin wird der Zustand der ständigen Bedrohung, als Frau in die ‘Ndrangheta-Familie hineingeboren zu werden, von Marisa Garofalo (Alessandra Roca) dargestellt, der Tochter der spurlos verschwundenen Lea Garofalo.

Bei ihr kreuzen sich die verschiedenen Handlungsstränge. Dazu kommen zahlreiche Rückblenden, die die Mutter-Tochter-beziehung verdeutlichen.

Giuseppina Pesce (Valentina Bellè) und ihre Freundin Maria Concetta Cacciola (Simona Distefano) träumen von „einem anderen Leben“, davon, von ihrer jeweiligen Familie wegzukommen. Werden die Männer gefasst, so gehen sie ins Gefängnis. Für die Frauen der ‘Ndrangheta-Familien ist jedoch das ganze Leben ein Gefängnis. Ganz gleich, ob sie 30 Jahre alt und bereits Mütter sind, müssen sie über jeden Schritt Rechenschaft abgeben. Die meiste Zeit verbringen sie ohnehin in der engen Wohnung.

Klaustrophobische Anmutung ohne besondere Gewalt

Die Darstellung der Frau im Schoße der ‘Ndrangheta wird von denjenigen Frauen vervollständigt, die sich der Gewalt fügen, und sich damit mitschuldig machen. Sie tragen in besonderer Weise zur Unterdrückung der (jüngeren) Frauen, die sich der bedrückenden Umgebung zu entziehen suchen.

Den Serienentwicklern – dem Drehbuchautor Stephen Butchard sowie den Regisseuren Elisa Amoruso und Julian Jarrold – gelingt es, der Serie eine klaustrophobische Anmutung zu verleihen, ohne dass sie besonders gewalttätige Szenen dazu brauchten. Die Gewalt ist zwar allgegenwärtig, wird aber kaum explizit dargestellt. Das Klima der Angst wird durch Drohgebärden erzeugt, wenn Zweifel an den Entscheidungen der Familie angemeldet werden, deren Befolgung von ihr schlechthin als Zeichen der Treue angesehen wird. 

Besonders deutlich wird dies in der Beziehung zwischen Carlo und seiner Tochter Marisa, die sich in Blicken und Sätzen ausdrückt, die einen bedrohlichen Subtext haben, obwohl sie vordergründig in väterliche Zuneigung gehüllt sind. 

Erzählerisch folgt „The Good Mothers“ einer genretypischen Struktur aus den besten Gangsterfilmen und -serien. Im Unterschied zu ihnen – etwa zu der berühmten Serie „Sopranos“ – zeigt sie aber nicht übliche geschönte Bild einer Mafia-Familie.

Hervorragende schauspielerische Leistung

Ständige Spannung erzeugt nicht nur die eigentliche Handlung, sondern auch eine Inszenierung, in der die Kameraarbeit und die Einstellungsgrößen dazu verwendet werden, immer wieder enge Räume ins Bild zu setzen, in denen ohnehin kalte Farbtöne dominieren. Dazu kommen etwa schäbige Hinterhöfe und ärmliche Wohnungen, die in krassem Widerspruch zu der noblen Mafia-Umgebung in klassischen Mafiafilmen („The Untouchables“, „Der Pate“) stehen.

Dazu kommt die hervorragende schauspielerische Leistung der italienischen Darstellerinnen, die offensichtlich die Nuancen der Umgebung kennen und den Figuren Realismus verleihen. Zur beklemmenden Atmosphäre trägt insbesondere auch das Schlaflied bei, das in jeder Episode erklingt: „Mein kleines Lamm, was hast du getan, als du in der Höhle des Löwen warst?“

„The Good Mothers“ gewann den „Berlinale Series Award“ bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen Berlin. Jury-Begründung bei der Berlinale: „‚The Good Mothers‘ hat uns mit seinen vielschichtigen Charakteren, die sich vorsichtig vor unseren Augen entwickeln dürfen, überzeugt. Wir waren gerührt, angsterfüllt und manchmal atemlos“.


„The Good Mothers“, Italien/Großbritannien 2023. Drehbuch: Stephen Butchard. Regie: Elisa Amoruso, Julian Jarrold. Insgesamt sechs Folgen mit je ca. 45 Minuten. Auf Disney TV+.

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José García Mafia

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