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„Wasp Network“: Exilkubaner im Spionagenetz

Der Spionage-Thriller „Wasp Network“ zeichnet ein komplexes Bild der kubanischen Exil-Organisationen.
Garcias Filmtipp: „Wasp Network“
Foto: Netflix

Der Spionagethriller „Wasp Network“, der im September 2019 bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde und nun auf der Streamingplattform Netflix abrufbar ist, erzählt „nach einer wahren Geschichte“ von einem „Wespennetz“ – daher der Titel – aus kubanischen Spionen, die in den 1990er Jahren Exilkubaner in den Vereinigten Staaten unterwanderten. Der Spielfilm von Drehbuchautor und Regisseur Olivier Assayas, der ein Jahrzehnt nach seiner hervorragenden Filmbiografie über Ilich Ramírez Sánchez alias Carlos „Carlos, der Schakal“ (DT vom 04.11.2010) zum Genre zurückkehrt, basiert allerdings auf dem Roman „Os últimos soldados da guerra fria“ („Die letzten Soldaten des Kalten Krieges“) des brasilianischen Journalisten und Autors Fernando Morais.

Den geschichtlichen Hintergrund für Roman und Spielfilm bilden die Aktivitäten des Spionagenetzwerks „Red Avispa“, („Wespennetz“), das sich aus Exilkubanern in Miami, Florida in den neunziger Jahren zusammensetzte. Der Agentenring umfasste zwar mindestens 16 Personen. Da aber von den 1998 Verhafteten nur fünf sich weigerten, mit den US-Behörden zu kooperieren und deshalb 2001 zu hohen Strafen verurteilt wurden, sind sie unter dem Namen „Miami Five“ oder auch „Cuban Five“ bekannt.

Von Spionagenetzen und Doppelagenten

Olivier Assayas konzentriert sich – wie schon Romanautor Morais – insbesondere auf drei von ihnen, damit der Zuschauer halbwegs den Überblick behalten kann. Allerdings ist es bei der Vielzahl an Organisationen von Exilkubanern dennoch nicht gerade einfach, die Übersicht zu behalten, für welche von ihnen der eine oder andere Agent oder Doppelagent arbeitet.

„Wasp Network“ beginnt mit der Flucht aus Kuba des Piloten René González (Edgar Ramírez) im Jahr 1990, der im Tiefflug nach Miami entkommt, ohne zu seiner Frau Olga (Penélope Cruz) ein Wort gesagt zu haben. René González stellt sich auch dank der ausgezeichneten Schauspielkunst von Edgar Ramírez – der „Carlos“ im erwähnten gleichnamigen Film von Olivier Assayas gespielt hatte – als der eigentliche Hauptcharakter des Films heraus.

Während sich René in Florida eine neue Existenz aufbaut und nach und nach beginnt, für eine exilkubanische Organisation zu arbeiten, muss Olga hart kämpfen, um ihre sechsjährige Tochter durchzubringen, auch unter dem Stigma des „Verräters“, das der ganzen Familie anhaftet.

Soziale Konflikten unter Exilkubanern

Juan Pablo Roque (Wagner Moura) entkommt ebenfalls der Insel: Der Kampfpilot-Offizier schwimmt 1992 zur US-Marinebasis in der Guantánamo-Bucht. Roque genießt bald ein Leben im Luxus. Er heiratet die hübsche Ana (Ana de Armas), die sich allerdings bald fragt, woher das ganze Geld für die Rolex-Uhr und die teuren Anzüge stammen mag.

Die dritte Hauptperson wird erst nach etwa einer Stunde eingeführt, als „Wasp Network“ mit einer schnellgeschnittenen Rückblende und einer Off-Stimme den Ursprung des Agentennetzes mit Gerardo Hernández (Gael García Bernal) als dessen Kopf verdeutlicht. Der Drehbuchautor und Regisseur zeichnet ein komplexes Bild der kubanischen Exilorganisationen, die nicht nur als Wohltätigkeitsorganisationen für Kubas Befreiung kämpfen („Wo endet der Kampf um ein freies Kuba, und wo beginnt der Drogenschmuggel?“) beziehungsweise die Befreiung mit Terroranschlägen erzwingen wollen, denn sie sollen die wichtigste Einnahmequelle Kubas, den Tourismus, treffen.

Castros Repression kommt kaum zur Sprache

Olivier Assayas ist sichtlich bemüht, fast dokumentarisch die Ereignisse darzustellen, ohne Partei zu ergreifen. Nur deshalb ist zu erklären, dass die Lebensverhältnisse samt Castros Unterdrückungsapparat kaum zur Sprache kommen. Allerdings zeigt er wohl den Abschuss von unbewaffneten Rettungsflugzeugen durch die kubanische Luftwaffe, der zu einem Protest seitens des US-Präsidenten Bill Clinton führte. Den dokumentarischen Bildern des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten steht eine ebenfalls Original-Fernsehansprache Fidel Castros gegenüber, in der der „Comandante“ zum Gegenspionagenetz Stellung nimmt, und natürlich die Aktionen mit Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt.

Deshalb nimmt sich „Wasp Network“ als ein ambivalenter Film aus, der offensichtlich in der ethischen Bewertung offen bleiben soll. Das betrifft ebenfalls die Charaktere, bei denen es dem Zuschauer gar nicht so einfach fällt, unter ihnen richtige Identifikationsfiguren zu finden. Denn trotz der ausgezeichneten Schauspieler wirken sie häufig wie am Reißbrett entworfen, als Vertreter ideologischer Positionen. Lediglich Penélope Cruz füllt ihre Olga richtig mit Leben. Assayas vermeidet jede Schwarz-Weiß-Zeichnung, und verdeutlicht, dass hier die Verhältnisse komplexer sind als in gewöhnlichen Spionagethrillern, und dass vieles manchmal moralisch gar nicht so einfach zu bewerten ist. Das hinterlässt den Zuschauer etwas ratlos.

„Wasp Network“, Regie: Olivier Assayas, 128 Minuten. Auf Netflix.

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José García

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