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Edzard Schaper: Ein Stern in dunkler Nacht

Der Vater des „vierten Königs“ – Morgen vor 30 Jahren starb der katholische Schriftsteller Edzard Schaper. Von Gudrun Trausmuth
Schriftsteller Edzard Schaper
Foto: IN | Der katholische Schriftsteller Edzard Schaper (1908–1984).

„Die Legende vom vierten König“ – diesen Titel hat man in mehr oder weniger lebhafter Erinnerung. Abgelöst von ihrem Schöpfer, Edzard Schaper, dessen 30. Todestag morgen in der literarischen Welt vermutlich nicht sehr aufmerksam begangen wird, hat sich diese Erzählung im kulturellen Gedächtnis der Gegenwart bewahrt. Der „kleine König aus Russland“, der dem Stern folgt, um dem neugeborenen „Herrscher aller Welt“ zu huldigen, hat seinen Zauber nicht verloren. Er berührt unser Herz, dieser Zugängliche, Einfache und Mitleidige.

„Christi um Christi willen verlassen“ (Philipp Neri) – so subsummierte am diesjährigen Fest der Erscheinung des Herrn ein Prediger die Haltung des kleinen russischen Königs in Schapers Erzählung. Der kleine russische König und sein Weg zu Christus sind eine treffliche Allegorie auf unser aller Leben: Wir wollen dem Stern folgen, der uns führt und den wir doch – wie der kleine König – in den Um- und Abwegen unseres Lebens manchmal nicht mehr sehen. Der Weg nach Bethlehem wird beim kleinen König ein Weg nach Golgotha: Gebrochen, sterbend, kommt er dreißig Jahre nach seinem Aufbruch nach Jerusalem, wird auf eine Anhöhe gedrängt und gezogen zugleich, und schaut dort einem Gekreuzigten in die Augen, in dem er „den Herrscher aller Welten“ erkennt, den zu suchen er einst seine Heimat verlassen hatte. Geben kann der kleine König dem großen nun nichts mehr. Doch der Blick und die Herzen der beiden Könige – auch der große König der Welt verkannt und vernichtet – begegnen einander in der Tiefe ihres Seins. Der kleine König hat keine Gaben mehr zu verschenken, aber sterbend schenkt er dem Herrn sein Herz.

Erfreulich, dass „Die Legende vom vierten König“ nach wie vor neu zu bekommen ist, noch dazu in Form eines ansprechenden kleinen Bändchens mit wunderbaren Illustrationen von Celestino Piatti bei Artemis & Winkler. Im gleichen Verlag stößt man auf eine weitere Weihnachtsgeschichte Edzard Schapers, „Das Christkind aus den großen Wäldern“, erstmals erschienen 1952, welche – wie auch „Die Legende vom vierten König“ – die Heilsdimensionen von Weihnachten, Karfreitag und Ostersonntag gleichsam behandelt. Ort der Handlung ist Karelien, ein historisch bedeutsamer Landstrich, auf den im Zweiten Weltkrieg Finnland und Russland Anspruch erhoben. In den Wäldern findet eine Patrouille finnischer Soldaten in einem verlassenen Dorfes ein Kind. Im letzten Moment entdecken sie den Sprengsatz, der unter dem Bett des kleinen Jungen angebracht ist, und beherzt durchtrennt Korporal Jänttinen die Verbindungsschnüre. An seine Brust gebunden, es mit zerkautem Brot nährend, bringt Jänttinen das Kind in einem gefahrvollen Rückmarsch in Sicherheit. Während der gerettete Juhani in einem Waisenhaus untergebracht wird, stürzt die Welt seines Retters zusammen: Frau und Kinder Jänttinens waren bei einem Bombenangriff getötet worden. Der Korporal steht vor den Trümmern seines Hauses und sucht nach seiner Rückkehr an die Front Juhani auf, den er an Kindesstatt annehmen möchte. Hinter Erschütterung und Verstörung leuchtet am Ende Versöhnung auf: mit Juhani ist Jänttinen ein neuer Sohn geschenkt.

Das Krippe und Kreuz zusammenspannende Weihnachtsmotiv verfolgt Schaper zum Beispiel auch in der Erzählung „Stern über der Grenze“ weiter, wo wiederum das Drama des Sterbens mit dem Motiv einer wunderbaren, hier mystisch gestalteten Rettung durch Christus verwoben wird. Aus dem Band gesammelter Erzählungen erwähnt sei auch „Hinter den Linien“. In dieser Erzählung entfaltet Edzard Schaper das Motiv der Psychologie des Spions und die Frage des Identitätsverlusts. Uwe Wolff unterstreicht in seiner 2012 erschienenen, äußerst lesenswerten Biographie über Edzard Schaper „Der vierte König lebt!“, dass gerade diese Erzählung über den Spion Mitterhusen autobiographische Züge trage. Tatsächlich bleibt im Dunkeln, inwieweit Spekulationen berechtigt sind, Schaper habe im Dienst der antisowjetischen Spionage gestanden. Einen starken Hinweis in diese Richtung gibt allerdings eine autobiographische Notiz, wo Schaper in Finnland über sich schreibt: „Das zwielichtige Doppelleben ging weiter: Teils Journalist, teils Nachrichtendienststelle im Dreieck deutsch-finnischer-estnischer Interessen.“

Als elftes Kind seiner Eltern am 30. September 1908 in Ostrowo, der damals preußischen Provinz Posen geboren, verschrieb sich Schaper zunächst der Musik, wandte sich aber nach dem Abbruch des Gymnasiums und einer psychischen Krise dem Theater zu. Parallel zu einer Anstellung als Regieassistent am Stuttgarter Landestheater finden erste Schreibversuche statt, ab 1927 verbringt er zwei Jahre auf der dänischen Insel Christiansö, wo er an einem Roman über Georg Friedrich Händel arbeitet, den er aber vor der Drucklegung zurückzieht.

Am 29. Juli 1931 lernt Schaper in Berlin seine künftige Frau, die in Russland geborene Deutschbaltin Alice Pergelbaum, kennen und macht ihr am gleichen Abend einen Heiratsantrag. Ab 1932 lebt Schaper in Estland, wo er die Heimat seines Herzens gefunden zu haben scheint. In Estland verbringt der – wie er sich selbst charakterisierte – von „vegetativer Melancholie“ geprägte Schaper seine wohl glücklichsten Jahre: Hier werden seine beiden Töchter geboren, hier reift er zum Schriftsteller von europäischem Rang, hier kann er kurze Zeit eine Art Frieden finden. Fast jährlich erscheint nun im Insel-Verlag ein Buch von ihm, unter anderem 1935 der Roman „Die sterbende Kirche“ oder 1940 der Roman „Der Henker“, der eine narrative Geschichte Estlands darbietet.

Am 29. September 1951 werden Alice und Edzard Schaper in die katholische Kirche aufgenommen. Nicht allein die Sehnsucht nach Gemeinschaft und den Sakramenten sind bestimmend für diesen Schritt, sondern auch die für Schaper sehr typische Haltung der letzten Perspektive: „Am Nullpunkt der Freiheit untereinander führt der Weg trotz Menschen und allen Missverständnissen an der Kirche zurück zu jener manchmal nicht mehr sichtbaren Kirche, die Gottes Kirche in allen Konfessionen, sicher aber trotz allem am gegenwärtigsten in der katholischen Kirche ist.“

In den 50er und 60er Jahren führen Schaper viele Lesereisen nach Deutschland, wo er vor übervollen Sälen spricht. Seine Bücher erreichen eine Gesamtauflage von sechs Millionen Bänden, der Erfolg als Schriftsteller ist unbestritten. Schaper aber, leidend und einsam, arbeitet an jenem Romanwerk, dessen Herzstück, die darin erzählte „Die Legende vom vierten König“, ihn als Dichter unsterblich gemacht hat. In einer erzählten Welt aus Eis und Schnee, Dunkelheit und Entsetzen, Militär und Krieg, aber auch östlicher Glaubenstiefe und Liturgie, erblüht im Roman „Der vierte König“ jene wunderbare kleine Legende, welche das Amalgam der Literatur ihres Schöpfers bedeutet und den Kern dessen, was er als Dichter sagen musste. Dunkel getönt auch sie, doch gleichsam königlich golden durchwirkt vom Licht des Sterns von Bethlehem, der bei Edzard Schaper, ganz wie in der Wahrnehmung Edith Steins, „ein Stern in dunkler Nacht“ ist. Der Stern gibt Ziel und Richtung an, führt den, der ihm folgt zur Begegnung mit IHM: Dass der kleine König der Legende Jesus erst am Kreuz trifft, aber eben doch – wider alle Erwartung – trifft, macht die trostvolle Anziehung dieses zeitlosen Textes aus.

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