An einem frühlingshaften Tag Ende Februar ist der Hörsaal 2U01 der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) mit älteren Menschen besetzt, die akademisch betrachtet im zweiten Frühling sind. Vorne am Pult steht Prof. Elisabeth Weiß, Direktorin des Zentrums Seniorenstudium der LMU, und erklärt das Einmaleins der Ersteinschreibung: etwa, wo man online welche Kurse findet und wohin die Studiengebühren zu überweisen sind. Die bejahrten Neu-Studenten in den halbkreisförmig angeordneten Bänken nicken sich vielsagend zu. Ja, so schwer ist das gar nicht, aber das Prozedere ist durch Digitalisierung eben doch anders als ehemals, als man in der Staatsbibliothek die Fachbuch-Titel noch in Karteikästen suchte. Die meisten Anwesenden kennen die Uni zwar von innen, aber aus prädigitalen Zeiten. Jahrzehntelang sind sie akademischen Berufen nachgegangen, nun wollen sie zurück auf Start und gemäß ihren Interessen studieren. Und beim Herumschauen im Hörsaal fragt sich mancher: Haben wir hier schon einmal vor 30 oder 40 Jahren zusammengesessen?
Denn Tatsache ist: Golfen ist out, dafür boomt lebenslanges Lernen. Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der Studenten 50+ an deutschen Hochschulen auf knapp 60.000 Studierende, die entweder als Gasthörer, eingetragene Seniorenstudenten oder als Promovenden am universitären Lehrbetrieb teilnehmen. Das ist bislang Rekord, so der Akademische Verein der Senioren in Deutschland, kurz AVDS e. V., der seit seiner Gründung 2004 die Zahlen ermittelt. Der Verein versteht sich als Wegweiser durch den bundesweiten Uni-Dschungel, er informiert über Zugangsvoraussetzungen der einzelnen Hochschulen und nennt Ansprechpartner für ältere Studienanwärter vor Ort.
Die Nachfrage ist groß und bislang ist ein Ende des Trends nicht in Sicht. Denn demnächst gehen die „Babyboomer“ aus den geburtenstarken Jahrgängen 1962 bis 1967 in Rente. „Wir rechnen weiterhin mit steigenden Zahlen“, sagt Bernd Schmitt, Pressesprecher des AVDS, „denn die ‚Babyboomer‘ haben ein ganz anderes Selbstbewusstsein als die Rentner früher. Die wollen geistig ausgelastet sein und nicht zu Hause sitzen und in TV-Zeitschriften blättern.“ Doch nicht überall begegnet man dem Lerneifer der Älteren mit Wohlwollen. Der Begriff der „grauen Wand“ ist im Umlauf, wenn in Vorlesungen und Seminaren die ersten Reihen komplett von Senioren belegt sind. Schließlich hört und sieht man vorne besser.
„Ich glaube auch, dass die genervt sind“
Das Miteinander der Generationen im Studium wird unterschiedlich bewertet. Zum Teil nehmen die jüngeren Kommilitonen die Seniorenstudierenden als abgegrenzte Gruppe wahr, die gemeinsam zur Vorlesung gehen und im Hörsaal zusammenglucken. Doch womöglich ist Befangenheit der Grund, ein Seniorenstudent äußert sich bezüglich seiner jüngeren Mitstudenten so: „Manchmal rede ich mit denen ein paar Sätze, aber ich halt mich zurück. Ich glaube auch, dass die genervt sind, wenn wir, also die ganzen Alten, da kommen und sich reinsetzen und dann noch ganz viel erzählen wollen.“ Wieder andere empfinden die Begegnungen und die Zusammenarbeit zwischen Jüngeren und Älteren als interessant und anregend.
Favoriten bei den Senioren sind die geisteswissenschaftlichen Fächer und hier vor allem Geschichte und Kunstgeschichte, daneben begeistern Philosophie und Theologie. Aber auch Studiengänge der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sorgen für reges Interesse. Die Kosten, um uneingeschränkt das Senioren-Studienprogramm an der Münchner Uni nutzen zu können, betragen 300 Euro. Bei fünf bis acht Semesterwochenstunden zahlt man 200 Euro, weniger als fünf Semesterwochenstunden kosten den Studierenden 100 Euro.
Im Wintersemester 2024/25 waren knapp 2000 Senioren an der LMU eingeschrieben. Gehen auch noch mehr oder gibt es eine Obergrenze für die Aufnahme von älteren Studienbewerbern? „Nein, aber wir können auch nicht unbegrenzt wachsen“, räumt Prof. Elisabeth Weiß ein. „Es ist nicht möglich, das spezielle Lehrangebot des Seniorenstudiums endlos zu erhöhen. Wo sollen die alle hingehen?“ Das Zentrum Seniorenstudium der LMU, das sie seit 11 Jahren leitet, wurde im Jahre 2000 gegründet. In anderen Städten, an anderen Hochschulen heißen solche Einrichtungen „Zertifikatsstudium“, „Nachberufliches Studium“ oder auch „Universität des 3. Lebensabschnittes“. Ein homogenes Modell des Seniorenstudiums existiert in Deutschland nicht. Einige Universitäten bieten einzelne Lehrveranstaltungen für Senioren, andere – wie die LMU – offerieren ein strukturiertes Studienprogramm. Dann gibt es Hochschulen, bei denen das Seniorenstudium als Studium Generale angelegt ist. So erhält die ältere Generation einen Einblick in verschiedene Fachbereiche.
Mit den Babyboomern könnte der Ansturm richtig losgehen
Auch die Zulassungsvoraussetzungen variieren von Universität zu Universität. In München braucht man das Abitur, woanders wird auf den Nachweis der schulischen Vorbildung verzichtet. In jedem Fall ist für die Aufnahme eines Seniorenstudiums aber eine Anmeldung erforderlich. Die Zahl von zweitausend Älteren bei insgesamt über 50.000 Studenten an der Ludwig-Maximilians-Universität erscheint erst mal nicht so hoch. Aber es sind auch nicht die eingeschriebenen Hochschüler älteren Jahrgangs, welche die Säle füllen, sondern die nicht registrierten Gasthörer. Die Dunkelziffer ist angeblich hoch. Denn niemand kontrolliert, ob sich die Älteren in den Vorlesungen tatsächlich als Gasthörer immatrikuliert haben. „Bis jetzt geht es gut. Wir erhalten weder von den regulär Studierenden noch von den Dozenten irgendwelche Beschwerden“, äußert Frau Prof. Weiß.
Doch der Ansturm auf akademische Bildung könnte mit den Babyboomern demnächst richtig losgehen. Was München betrifft, hat sich schon eine Lösung aufgetan für jene, die über keine Hochschulzugangsberechtigung verfügen oder denen es in den Bänken der LMU zu eng wird: „Die flüchten nach Augsburg, wohin es eine gute Bahnverbindung gibt. Vom Augsburger Bahnhof ist man schnell an der Uni, die kein Abitur voraussetzt“, sagt Bernd Schmitt.
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