Innerhalb der Geschichte des katholischen Ordenslebens gibt es bekanntlich eine große Anzahl an geistigen Ausprägungen. Was viele eint, ist die Vorstellung der sogenannten Klausur: einem abgeschlossenen, für weltliche Besucher meist überhaupt nicht zugänglichen Bereich, der nur den Ordensmitgliedern vorbehalten ist. Auch im Mutterhaus der Kongregation der Schwestern der Erlösung, dessen monumentaler, aus dem 16. Jahrhundert stammender Bau mitten in der Würzburger Innenstadt steht, kannte man einst die Klausur. „In den vergangenen 130 Jahren war die Klosteranlage im Grunde überhaupt nicht zugänglich", erklärt Schwester Monika Edinger, welche der Kongregation als Generaloberin vorsteht. „Aber mit Blick auf die personelle Lage haben wir uns vor einigen Jahren entschieden, einen neuen Weg zu gehen.”
Die Schwestern der Erlösung führen sich auf die Ordensgründung der seligen Elisabeth Eppinger zurück, welche in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit karitativer Arbeit auf die im Zusammenhang mit der Industrialisierung um sich greifenden sozialen und ökonomischen Verwerfungen reagierte. Während sich andere Orden in ihrer geistigen Ausrichtung oftmals gut charakterisieren lassen (wer kennt nicht den dominikanischen Wanderprediger oder den schweigenden, streng weltabgewandten Karthäuser?), ist das Charisma der Erlösungsschwestern durchaus nicht auf einen griffigen Nenner zu bringen. Günther Kirchner ist einer von über 60 Laienmitarbeitern, die im Mutterhaus angestellt sind. „Das besondere an den Erlösungsschwestern ist, dass es eigentlich nichts besonderes gibt”, erklärt er lachend, während er den Verfasser dieses Textes durch die Klosteranlage führt.
Erlösung erfahrbar machen
In jedem Fall besonders ist das, was im April 2023 als sogenanntes Mutterhausareal eröffnet wurde und einer Generalüberholung des alten Gemäuers gleichkommt. Schon in dem flachen Foyer, welches als Eingangsbereich fungiert, wird deutlich, dass das Areal wohl nicht mehr viel mit dem klassischen Mutterhaus gemein hat. Wo früher vielleicht eine schweigsame Pförtnerin irrende Passanten gutmütig, aber bestimmt abgewiesen hatte, steht nun ein moderner und offener Bau, der mit zahlreichen und aufwendigen Installationen ausgestattet ist, welche das Konzept des Areals veranschaulichen. Dieses lautet: Erlösung erfahrbar machen.
Bereits in der Eingangshalle wird in vier thematisch gegliederten Stationen diese Idee entwickelt. Hier geht es um Begegnung: mit sich selbst, dem Nächsten, der Schöpfung und mit Gott. „Es ist gut, dass hier gerade einige Besucher anwesend sind”, freut sich Günther Kirchner und deutet auf die Installation, welche die Begegnung mit dem Nächsten thematisiert. Schnell wird eine kleine Menschenkette gebildet, die einmal durch den halben Raum reicht und jeweils an einer großen Leuchtdiode endet. Tatsächlich beginnen diese, nachdem sie durch die menschliche Verbindung miteinander in Kontakt gekommen sind, zu leuchten.
Ein Bruch? Nein, eher eine Fortsetzung
Angesprochen auf die Frage, inwiefern die konzeptionelle Neuausrichtung des Mutterhausareals nicht vielleicht einen Bruch mit der Tradition des Ordens bedeutet, wird die Generaloberin Monika Edinger deutlich. „Es ist kein Bruch – eher eine Fortsetzung”. Die Öffnung des Areals sei eine neue Form, das ursprüngliche Apostolat des Ordens zu verwirklichen. „Früher sind die Schwestern in die ganze Welt hinausgegangen. Heute sind sie nicht mehr mobil – aber der Auftrag bleibt.” Zwar habe es bei manchen Schwestern auch Probleme bei der Anpassung an die neue Lebensweise gegeben, aber grundsätzlich zieht die Generaloberin eine positive Bilanz. Auch zwei weitere, schon vor der Modernisierung des Mutterhauses gestartete Projekte bezeugen das soziale Engagement der Erlöserschwestern. In der „Elisabethstube”, einer geräumigen Tagesstätte in unmittelbarer Nähe zur Klosterkirche, versorgen sie zusammen mit einigen ehrenamtlichen Helfern Obdachlose und sozial schwache Menschen mit kostenlosem Mittagessen; weiterhin befindet sich seit Ende 2017 eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände. In einem eigens bereitgestellten Gebäudeteil finden seither besonders schutzbedürftige Geflohene – vor allem alleine reisende Frauen – eine zumindest temporäre Heimat.
Auf dem Innenhof des Klosters lädt ein großes Café mit dem mediterran anmutenden Namen MARES zum Verweilen ein. Günther Kirchner erklärt das Akronym: Mutterhaus-Areal der Erlösungsschwestern. Tatsächlich ergeben die allgegenwärtigen Schwestern in ihrer schwarzen Ordenstracht neben den an den Tischen des Cafés sitzenden Gästen ein schönes Bild. „Es geht vor allem darum, dass das Mutterhausareal ein durchbeteter Ort bleibt”, erklärt die Generaloberin Monika Edinger abschließend. Wie lange dies wohl noch gelingen wird? Die über 70 Schwestern, welche das Mutterhausareal beherbergt, haben ein durchschnittliches Alter von 86 Jahren. Im Rahmen des Umbaus wurde die gesamte Anlage deshalb auch zu einer barrierefreien gemacht und mit einem eigenen Kolumbarium – also einem Aufbewahrungsort für Urnen – versehen.
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