Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Nach Reise in die Niederlanden

Kohlgraf: „Ich verstehe jetzt, warum Rom in Habachtstellung ist“ 

Neun deutsche Bischöfe sind ins Nachbarland gereist und entdeckten Parallelen zum deutschen Reformprozess. Damals hat Rom den Reformkurs der Niederländer gestoppt. Ist das in Deutschland auch zu erwarten?
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz
Foto: IMAGO/Andrea Enderlein (www.imago-images.de) | Die katholische Kirche in den Niederlanden engagiert sich kaum kirchenpolitisch. Ihr Schwerpunkt liegt darin, die katholische Identität zu stärken, berichtet der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf.

Nach einer Reise der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in die Niederlande versteht der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf „jetzt besser, warum Rom in Habachtstellung ist: Weil es in Deutschland „genau dieselben Themen" gehe und es „eigentlich genau dieselbe Situation ist wie damals“ beim Pastoralkonzil 1970 in den Niederlanden, sagte er in einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) vom Freitag.

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Es sei „um das Verhältnis der Kirche zur modernen Welt, um Demokratie in der Kirche, um Sexualmoral und den Zölibat“ gegangen, zählt Kohlhgraf auf. Die Niederländer hätte einen eigenen Katechismus aus den Lebenserfahrungen der Menschen heraus entwickelt. Damals habe Rom den niederländischen Reformprozess abgebrochen. Kohlgraf, der auch Vorsitzender der Pastoralkommission ist, sieht den Grund in einer desaströsen Kommunikation. Er hofft, dass dies in Deutschland nicht passieren werde, sondern man durch die Gespräche zwischen deutschen Bischöfen und Rom eine „andere Form der Kommunikation und des römischen Einschreitens“ erleben werde.

Liberaler Katholizismus nicht mehr stilbildend

Wie der Bischof weiter ausführte, habe es durch den Abbruch des Reformprozesses damals „Traumata und Verwundungen bei vielen Menschen“ gegeben, so dass „der liberale Katholizismus in den Niederlanden nicht mehr stilbildend ist“.

Außerdem kennzeichne ein ausgeprägter Individualismus das Land, was auch „etwas mit dem Calvinismus zu tun hat, der in den Niederlanden vorherrschend war", erläutert der Bischof. Der gehe davon aus, „dass es ein Zeichen für göttlichen Segen ist, wenn ich aus meinem Leben etwas Erfolgreiches mache“. 

Deutschland: Vielfalt an theologischen Positionen

Dagegen lebten Deutsche mehr aus dem Bewusstsein für die eigene Geschichte, stellte der Bischof fest und nannte beispielhaft die Würzburger Synode, die fast zeitgleich mit dem niederländischen Pastoralkonzil stattgefunden hat. Die habe in Rom zwar „keine große Wirkung entfaltet“, dafür aber starke Polarisierung der Kirche in Deutschland verhindert. 

In den Niederlanden habe damals eine bestimmte Personalpolitik der Bischofernennungen die theologische Richtung bestimmt. Heute gebe es dort „keinen wirklich liberalen Katholizismus mehr“ und somit auch „keine wirklich liberalen Bischofsernennungen“. In Deutschland dagegen kennzeichne eine „größere Vielfalt an Positionen“. Dass auch die jüngsten Bischofsernennungen „keine bestimmte theologische Linie festgezurrt“ hätten, deutet Kohlgraf als Signal, „dass Rom heute anders mit diesen Polarisierungen und Konflikten umgeht“. 

Niederlande will katholische Identität stärken

Rom hat sich mehrfach sehr kritisch zum deutschen Reformprozess geäußert. Die christliche Anthropologie und die Verfassung der Kirche stehen auf dem Prüfstand. Derzeitiges Haupt-Streitthema ist der Synodale Ausschuss. Der Vatikan befürchtet, dass ein gemeinsames Leitungsorgan von Laien und Klerikern die Autorität der Bischöfe zu sehr einschränken würde.

Mit Blick auf das Nachbarland stellt Kohlgraf noch einen Unterschied fest: Gesellschaftspolitische Botschaften der Kirche wie sie in Deutschland derzeit vor allem in Bezug auf Rechtsextremismus vorherrschen, seien in den Niederlanden eher selten. „Sie werden auch nicht mehr wirklich wahrgenommen", so der Bischof. Die Kirche in den Niederlanden sei eine Minderheiten-Kirche.

Laut Statistik sind heute mehr als 60 Prozent der Niederländerinnen und Niederländer religionslos - mit steigender Tendenz. Der Anteil der Katholiken sinkt seit Jahrzehnten und beträgt derzeit 18 Prozent. Insofern, erklärt Kohlgraf, gehe es „der katholischen Kirche in ihrer starken Minderheitsposition …eher darum, ihre katholische Identität zu stärken.“  DT/dsc

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