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Franziskus schafft gefährlichen Präzedenzfall

Mit seiner Begründung, weshalb er das Rücktrittsgesuch des Pariser Erzbischofs angenommen habe, stiftet Franziskus Verwirrung. Und seine Lektion gegen Klerikalismus verkehrt sich ins Gegenteil.
Papst Franziskus zum Fall Aupetit
Foto: Alessandro Di Meo (EPA POOL/AP) | Es sei das „Gerede“ der Öffentlichkeit gewesen, nicht die Sünde, durch die Aupetit seine Autorität eingebüßt habe.

Während der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Athen hat Papst Franziskus gestern seine Beweggründe für die Annahme des Rücktritts des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit dargelegt. Grund für seine Entscheidung sei nicht die Sache selbst, nämlich eine Verfehlung gegen das sechste Gebot, sondern der mediale Druck und die Gerüchte, die Aupetits Ruf zerstört und so eine Leitung der Diözese unmöglich gemacht hätten. Die Erklärung des Heiligen Vaters ist in vielerlei Hinsicht nicht dazu angetan, die Kommunikation des Vatikans glaubwürdiger zu machen. 

Franziskus liefert pikante Details

Ein Pressebericht hatte Erzbischof Aupetit vor drei Wochen eine intime Beziehung zu einer Frau während seiner Zeit als Generalvikar vorgeworfen. Eine an die Dame gerichtete Email Aupetits sei versehentlich an seine Sekretärin gegangen und von ihr aufbewahrt worden. Aupetit selbst streitet nach wie vor einen Fehltritt ab, räumt aber ein, dass sein Verhalten ambivalent gewesen sein könne, bevor er die nötige Distanz mit der Betreffenden eingelegt habe. Im Flugzeug erteilt der Papst zunächst den anwesenden Journalisten eine wichtige und richtige Lektion, indem er sie auffordert, sorgfältig zu recherchieren und sich von Vorverurteilungen zu hüten, die dem Ruf eines Menschen nachhaltig schaden können.

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Im gleichen Atemzug stiftet der Pontifex selbst Verwirrung, indem er verlauten lässt, es sei die Sekretärin gewesen, mit der Aupetit eine Beziehung gehabt habe. Vielleicht handelt es sich hier um einen einfachen Patzer, vielleicht aber auch um Unkenntnis der genauen Sachverhalte. Letzteres würde der Bedeutsamkeit einer Bischofs-Absetzung nicht gerecht. Auch liefert der Papst hinsichtlich der Beziehung pikante Details, die der Presse bislang unbekannt waren. Die Lektion Wahrheit versus Gerüchte war damit zwar gut gemeint, lässt aber in ihrer Ausführung zu wünschen übrig.

Kurze Katechese der Sündhaftigkeit

Als zweite Lektion legt der Heilige Vater eine kurze Katechese die Sündhaftigkeit aller Menschen ein. Es handele sich bei den „kleinen Zärtlichkeiten“ Aupetits gegenüber seiner Sekretärin zwar um eine Verfehlung gegen das sechste Gebot. Dennoch seien die Sünden des Fleisches nicht die schlimmsten – im Gegensatz zu den Sünden der Engel, nämlich Stolz und Hass. Aupetit sei ein Sünder, genau wie der Papst selbst und wie der erste Papst, Petrus. Eine demütige Kirche wisse, dass sie aus Sündern bestehe.

„Die Sünden des Fleisches sind nicht die schlimmsten“, titelt inzwischen bereits eine italienische Tageszeitung. Im Kontext der Enthüllungen um sexuellen Missbrauch in der Kirche ist es wohl nicht der beste Augenblick, gerade diese Glaubenswahrheit zu betonen. Man solle sich als Christ dafür hüten, seinen Bischof als Heiligen anzusehen: Was auch als eine neuerliche Warnung vor dem Klerikalismus gemeint ist, geht etwas daneben, wenn sie mit dem Bild eines seine Sekretärin massierenden Klerikers in Verantwortungsposition illustriert wird. Auch wenn die betreffende Frau eben gerade nicht die Sekretärin war, rückt damit doch die Handlung fälschlicherweise in die Nähe eines möglichen Missbrauchs einer Machtposition. Auch die Lektion gegen den Klerikalismus verkehrt sich damit in ihr Gegenteil, abgesehen davon, was sie mit Aupetits Ruf noch zusätzlich anstellt.

Dem öffentlichen Druck gewichen

Der Heilige Vater schließt: „Der Mann, dessen Ruf öffentlich zerstört wurde, kann nicht mehr leiten. Das ist eine Ungerechtigkeit.“ Offen bekennt er, mit der Annahme des Rücktritts von Erzbischof Aupetit dem öffentlichen Druck gewichen zu sein. Im deutschen Raum hat der „Fall Woelki“ gezeigt, dass dem Papst auch andere Mittel offenstehen, wenn ein Erzbischof im Rampenlicht steht. Das ist umso bedenkenswerter, als dass die paar Zeitungsartikel um Aupetit nicht mit dem ungeheuren, monatelangen medialen Druck auf Kardinal Woelki zu vergleichen sind. Vielleicht sind auch manche Bischöfe verzichtbarer als andere? Auf jeden Fall wird hier ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Reicht es in Zukunft, ein Detail aus dem Leben eines Bischofs ans Licht zu zerren, um diesen innerhalb von drei Wochen in den Rücktritt zu zwingen?

Im Vergleich zum „Fall Woelki“ ist es im „Fall Aupetit“ letzten Endes wohl doch die persönliche Verfehlung gegen das sechse Gebot, die ausschlaggebend war. Umso mehr, als dass von den Mängeln im Management der Diözese überhaupt nicht mehr die Rede ist. Ja, alle Menschen sind Sünder, auch die Hirten. Und ja, auch Sünden gegen das sechste Gebot sind verzeihlich. Das mediale Breittreten der persönlichen Sünden eines ansonsten schätzenswerten Bischofs in der Öffentlichkeit ist traurig und unnötig. Und trotzdem: Gerade heute sind genau diese Verfehlungen auch die sensibelsten. Es scheint, als sei die Email-Affäre in Rom seit Langem bekannt. Die Bischofskongregation hat auch eine Verantwortung gegenüber den Personen, die sie ernennt und hätte Michel Aupetit diese schmerzliche und demütigende Episode ersparen können. 

Man kann der Über-Medialisierung von kirchlichen Affären gegenüberstehen wie man will, sie ist eine Tatsache, der sich die Kirche nicht entziehen kann. Nur eine kluge, alle Einzelheiten und jedes Wort genau bedenkende Kommunikation seitens der kirchlichen Instanzen kann helfen, das Feuer zu löschen, anstatt es noch anzuheizen.

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Franziska Harter

Kirche

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25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig