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Geschlechterungerechtigkeit abbauen – ohne aufgesetzte Symbolik

Gutes Deutsch ist auch eine Frage von Klang, Stil und Schriftbild. Ein Gastbeitrag von Professor Werner Patzelt
Professor Werner J. Patzelt
Foto: Wikimedia | Professor Werner J. Patzelt. Foto: privat (Wikimedia). Lizenz: CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/).

Gutes Deutsch nach Klang, Stil und Schriftbild war mir immer schon ein wichtiges Anliegen. Deshalb stört es mich, wenn ich Zeichen wie ein Binnen-I oder einen Gender-Stern sehe. Deren Verwendung scheint mir jene Zerstörungslust am geschriebenen Deutsch fortzusetzen, die sich seit der sogenannten Rechtschreibreform in der praktizierten Groß- und Kleinschreibung, Zusammen- und Auseinanderschreibung sowie Zeichensetzung austobt. Weil mir auch sehr am Klang der deutschen Sprache liegt, mag ich außerdem nicht jene Formulierungszwänge, derentwegen man nach einem ersten Hauptwort inzwischen meist ein zweites mit dem gleichen Wortstamm, doch angeklebter Endung „-in“ erwartet. Ferner will ich mich nicht mit einer Verlautlichung des Gender-Sterns durch einen Knacklaut wie in „Juni-Anfang“ abfinden. Und weil ich mit Worten wirklich Sinn zu verbinden trachte, sperre ich mich sehr dagegen, schlafende Studentinnen oder Studenten „Studierende“ zu heißen – oder Leute, die ihr Fahrrad gerade schieben, dennoch „Radfahrende“ zu nennen.

Nichts gegen Verbesserungsvorschläge – doch Risiken und Nebenwirkungen beachten!

Ich weiß schon, dass unsere Sprache – da, wohl wegen des uralten Patriarchats, vom generischen Maskulinum geprägt – die Frauen untervertreten sein lässt. Ferner ist es ungerecht, dass Deutschlands grammatische Geschlechterdreifalt die reale physische, seelische und soziale Geschlechtervielfalt nicht in wünschbarer Weise abbildet. Deshalb verstehe ich sehr gut, dass viele nun endlich auch im Laut- und Schriftbild gespiegelt sehen wollen, was in der Wirklichkeit nun einmal da ist: mehr Frauen als Männer – und mehr als nur die Geschlechter männlich, weiblich und sächlich. Also habe ich nichts gegen Verbesserungsvorschläge im Weg von Versuch und Irrtum. Nur betone ich, dass „gut gemeint“ auch beim Umgang mit der Sprache nicht dasselbe ist wie „gut getan“. Deswegen halte ich es für durchaus wünschenswert, den einen oder anderen Neuerungsvorschlag nach Würdigung seiner Risiken und Nebenwirkungen durchaus abzulehnen. Jedenfalls bin ich nicht willens, Verschlimmbesserungen unserer Sprache nur zuzusehen.

Ohnehin lässt sich nicht alles, was – aus wie schlechten Gründen auch immer – zu einer unschönen Tatsache geworden ist, ohne beträchtliche Begleitschäden rückgängig machen. Etwa stört es mich schon sehr, dass das Deutsche keine Sprache des internationalen Wissenschaftsbetriebs mehr ist. Als solche hat sich das Englische durchgesetzt – und zwar vor allem deshalb, weil der britische und später der US-amerikanische Imperialismus so erfolgreich war. Wie beim Patriarchat hat sich auch hier die einstige Machtdominanz in eine auf unabsehbare Zeit fortbestehende Sprachdominanz umgesetzt. Bestehe ich aber darauf, auf internationalen Tagungen – gleichsam um der Gerechtigkeit willen – Deutsch oder Französisch zu sprechen? Nein. Vielmehr sehe ich ein, dass manche Tatsachen – selbst wenn unerfreulich – deshalb hinzunehmen sind, weil es sich im aussichtslosen Kampf gegen sie viel schlechter lebt als im Arrangement mit ihnen.

Geschlechterungerechtigkeit abbauen – aber ohne Tand und Tinnef!

Zwar lohnen sich manche Kämpfe durchaus, selbst wenn man sie fürs erste verliert. So verhält es sich etwa, wenn es um soziale Gerechtigkeit oder um politische Freiheit geht. Doch wie bewertet man das Gesamtergebnis, wenn nachrangige Siege zu ziemlich üblen Nebenfolgen führen – etwa zum Binnen-I, zum Gender-Stern, zu Partizipien ohne realen Referenten? Kommt es so, dann hat man bei der willentlichen Sprachentwicklung offenbar zu wenig gekonnt. Und weil es wirklich schwierig ist, die geschriebene Sprache neuen Herausforderungen und neuem Zeitgefühl so anzupassen, dass Bewährtes nicht verlorengeht, wäre es wohl gut, weder als Reformer noch als Bewahrer zu halsstarrig oder mit missionarischer Arroganz aufzutreten.

Gewiss müssen wir darauf ausgehen, sozioökonomische und politisch-kulturelle Geschlechterungerechtigkeit abzubauen, wozu mehr weibliche Geschlechterpräsenz im Klang und Schriftbild unserer Sprache sehr wohl beitragen kann. Doch wir sollten bei entsprechenden Reformen nicht auf aufgesetzte Symbolik oder auf Schrullen bauen. Machen wir am besten gleich unseren ganzen Denk-, Sprech- und Schreibstil geschlechtergerecht – und zwar unter Verzicht auf solchen Tand und Tinnef, der sich weder gut lesen noch schön sprechen lässt.

DT (jobo)

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