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Mit Kunst und Mystik zum Glauben

In seinem Roman "Unterwegs" schildert Joris-Karl Huysmans den Weg seiner Konversion.
Schriftsteller Joris-Karl Huysmans  (1848–1907)
Foto: IN | Wie Chateaubriand hat auch der hier abgebildete Huysmans eine sehr persönlich gehaltene Apologetik des christlichen Glaubens verfasst.

In jeder Buchhandlung nimmt heute die Rubrik Mystik einen breiten Raum ein. Klassische christliche Literatur und die großen Lehrer des geistlichen Lebens sind dort jedoch sehr rar anzutreffen. Beherrscht wird die Sparte Mystik in der Regel von Büchern fernöstlicher Religionen und dem weiten Feld der Esoterik. Aus dem Blick auf diesen Bücherbestand lässt sich schnell die Schlussfolgerung ziehen, Gotteserfahrungen seien prinzipiell nur im außerchristlichen Bereich möglich.

Der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848–1907) ist dem Gottsucher von heute sehr ähnlich, weil auch er zunächst auf gefährlichen Wegen gewandelt ist, sich sogar mit Okkultismus und Satanismus beschäftigt hat, dann aber sich der christlichen Mystik zugewandt hat und eine radikale Wende in seinem Leben vollzogen hat. Wie aktuell Huysmans heute ist, wird auch deutlich durch die Tatsache, dass Michel Houellebecq sich in seinem 2015 erschienenen Roman „Unterwerfung“ ausführlich mit Huysmans beschäftigt.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Huysmans im Benediktinerkloster Ligugé als Laienbruder. Dort schrieb er auch die autobiografisch geprägte Roman-Trilogie „En route“ („Unterwegs“, 1895), „La cathedrale“ („Die Kathedrale“, 1898) und „L?Oblat“ (1903). In deutscher Sprache ist diese Trilogie immer noch unvollständig. Während es von Huysmans letztem Roman bis heute keine deutsche Übersetzung gibt, wurde „La cathedrale“ 1990 komplett übersetzt und im Kirchheim Verlag veröffentlicht. „En route“ ist jetzt zum ersten Mal durch Michael von Killisch-Horn der Roman komplett ins Deutsche übersetzt.

„Die Kathedrale“ ist eine Meditation über die Kathedrale von Chartres, die sogar gelegentlich als Kunstführer empfohlen wird. In „Unterwegs“ steht vor allem die sakrale Musik im Vordergrund. Gleich im ersten Kapitel vergleicht Durtal – der auch in „Tief unten“ (1891) vorkommt und als „alter ego“ des Autors selbst gesehen werden muss – die beiden Trauergesänge „De profundis“ (Psalm 130) und „Dies irae“ (Sequenz der Totenmesse über das göttliche Gericht); ersterem gibt Durtal musikalisch den Vorzug, zweiterem textlich. Durtal lehnt alles Pompöse ab und sucht das Mystische. Daher besucht er nicht mehr den Gottesdienst in der berühmten Kirche Saint Sulpice, sondern in der unscheinbaren Kirche Saint Séverin. Er ist ein großer Liebhaber des Cantus planus, des einstimmigen Choralgesangs. So begeistert er sich auch für Dom Joseph Pothier und Prosper-Louis-Pascal Guéranger, die kurz zuvor in Solesmes diese klassische Form der Sakralmusik wiederbelebt haben.

Durtal argumentiert: „Sie werden mir erwidern, dass die Mystik im Mittelalter interessant gewesen, dass sie jetzt aber überholt sei, dass sie jedenfalls in keiner Weise mit dem Modernismus zu vereinbaren sei. Sie werden glauben, ich sei verrückt, mir im Übrigen versichern, dass Gott gar nicht so viel von mir erwarte und mich lächelnd auffordern, nicht um jeden Preis auffallen zu wollen, sondern mich wie die anderen zu verhalten, wie sie zu denken. Ich erhebe bestimmt nicht den Anspruch, von mir aus den Weg der Mystik zu beschreiten, aber sie sollen mir wenigstens die Sehnsucht danach lassen und mir nicht ihr bourgeoises Ideal eines Gottes aufzudrängen!“

Parallelen zwischen Durtal und Huysmans gibt es bis in kleinste Details. So hatte Durtal ein Verhältnis mit der Prostituierten Florence, Huysmans mit der Prostituierten Fernande. Auch heißt es, Durtal habe gerade ein Werk über den Kinderschänder Gilles de Rais geschrieben und plane nun ein Buch über die heilige Lidwina, eine niederländische Dulderin des 15. Jahrhunderts. Tatsächlich hat Huysmans in „La-bas“ ausführlich über Gilles de Rais geschrieben und 1901 eine Biografie der heiligen Lidwina verfasst.

Seine Glaubenszweifel und seine Schwierigkeiten im sechsten Gebot bespricht Durtal mit seinem Seelenführer Abbé Gévresin. Dieser gibt ihm Ratschläge für sein geistliches Leben und führt ihn schließlich ins Trappistenkloster, wo ihn Gastmeister Dom Étienne freundlich aufnimmt. Huysmans zieht sich unmittelbar nach seiner Bekehrung zeitweise ins Trappistenkloster Notre-Dame de?Igny zurück, wo ihn Gastpater Pere Léon umsorgt.

Der Verlag „Edition Belleville“ hat sich große Mühe gemacht und die Neuübersetzung mit einem umfangreichen Anmerkungsteil und antiken Photos versehen. Angefügt sind ebenso Auszüge aus dem unveröffentlichten Tagebuch von Huysmans, unveröffentlichte Briefe sowie sämtliche Vorworte früherer Ausgaben.

Den Roman „Unterwegs“ kann man getrost neben Francois-René de Chateaubriands „Geist des Christentums“ (1802) stellen. Wie dieser Bestseller der französischen Romantik ist auch das Werk von Huysmans eine sehr persönlich gehaltene Apologetik des christlichen Glaubens, die von der Schönheit der Liturgie, der Riten und der Kunst ausgeht. Zudem bietet Huysmans Roman durch den Blick auf den frisch bekehrten Durtal, dessen Schwierigkeiten und Anfechtungen im Glauben sowie die Hilfe, die er durch seinen Seelenführer erhält, auch Hilfen für das persönliche Glaubensleben. Denn nur derjenige begibt sich auf die spirituelle Suche, dem das irdische Leben mit seinen Genüssen nicht ausreicht und der nach einem „Mehr“ dürstet, das ihm diese Welt nicht bieten kann. Huysmans war ein sehr sensibler Mensch, der Sohn einer bedeutenden niederländischen Malerfamilie. Äußerlich führte er ein bürgerliches Leben als Angestellter im Innenministerium. Doch durch sein Schreiben versucht er der Hässlichkeit dieser Welt zu entfliehen, über die er einmal schreibt: „O dieser kotige Brei, barmherziger Gott! – Ist es noch zu glauben, dass dieses neunzehnte Jahrhundert sich noch selbst erhebt und umschmeichelt? Es führt ein einziges Wort im Munde: Fortschritt: Wer schreitet fort? Es hat doch nichts von Belang erfunden.“ Dieses Zitat stammt noch aus dem Roman „La-bas“ („Tief unten“), in dem Huysmans seinen moralischen Absturz und satanistische Praktiken schildert. Hauptperson bereits dieses Romans ist der Schriftsteller Durtal, der dem Leser dann auch in den drei Romanen der christlich geprägten Spätphase des Autors wiederbegegnet.

Alle drei Romane dieser Spätphase sind handlungsarm, weshalb man vielleicht auch versucht hat, zu kürzen. Durtal respektive Huysmans selbst ist beim Glauben der Kirche angelangt. „Letztlich war Durtal durch die Kunst zur Religion zurückgeführt worden. Mehr als sein Lebensekel war die Kunst der Magnet gewesen, der ihn unwiderstehlich zu Gott hingezogen hatte.“ Jetzt in „Unterwegs“ betrachtet er als Ästhet die christliche Kunst und lässt sich von ihr tiefer in den Glauben einführen.

Joris-Karl Huysmans: Unterwegs.
Edition Belleville 2019, 655 Seiten, gebunden, 978-3-943157-92-5, Euro 39,80

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Georg Alois Oblinger Christliche Literatur Joris-Karl Huysmans

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