Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

"Ein Glücksfall": Mach's noch einmal, Woody

Woody Allens 50. und wohl auch finaler Spielfilm knüpft erfolgreich an frühere Werke des Regie-Altmeisters an.
Szene aus Woody Allens neuem Film "Ein Glücksfall"
Foto: Thierry Valletoux | Alain (Niels Schneider) begegnet Fanny (Lou de Laâge) in Paris – und beginnt mit ihr eine Affäre.

"Ich denke, es war ein Glück, dir zufällig zu begegnen.“ Glück und Zufall, auch folgenreiche zufällige Begegnungen spielen in einer Reihe von Woody-Allen- Filmen eine bedeutende Rolle. Dieses Zitat stammt aus „Hannah und ihre Schwestern“ (1986), als der von Woody Allen selbst verkörperte Mickey bei einem Spaziergang durch Manhattan Holly (Dianne Wiest) in einem Schallplattenladen sieht: Er geht einfach hinein, obwohl ihr letztes Treffen ein paar Jahre zuvor wegen des unterschiedlichen Musikgeschmacks zu einer Katastrophe geführt hatte. Mickey und Holly werden ein Paar.

Eine Affäre in Paris

Das Zitat könnte aber genauso gut aus Allens neuestem Werk „Ein Glücksfall“ („Coup de chance“) stammen, den der New Yorker Altmeister auf französisch mit französischen Schauspielern gedreht hat, und der bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2023 Premiere feierte.

In „Ein Glücksfall“ begegnet Fanny (Lou de Laâge), die in einem Auktionshaus arbeitet, dem Romanautor Alain (Niels Schneider) auf der Straße in Paris. Sie hatten gemeinsam eine Schule in New York besucht, und schon damals war er total in sie verknallt. Obwohl Fanny inzwischen in zweiter Ehe mit dem sehr wohlhabenden Steuerberater Jean (Melvil Poupaud) – sein Beruf besteht darin, „reiche Menschen noch reicher zu machen“ – verheiratet ist, beginnen Fanny und Alain eine Affäre. Sie denkt sogar einmal darüber nach, ihren Mann für ihren Liebhaber zu verlassen. Ein Nebenhandlungsstrang betrifft das Gerücht, dass Jean auch deshalb so reich ist, weil er einst seinen Geschäftspartner gewaltsam verschwinden ließ. Fannys Mutter Camille (Valérie Lemercier) schöpft Verdacht, und lässt sich auf eine gefährliche Ermittlung ein.

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Wie so oft in letzter Zeit lassen sich auch bei Woody Allens 50. (oder je nach Zählung 51.) Spielfilm Einflüsse aus seinen früheren Werken feststellen. Camilles Ermittlungseifer erinnert an die von Diane Keaton gespielte Carol in „Manhattan Murder Mystery“ (1993), Jeans Kontakte zur Unterwelt an „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) und einige Aspekte der in der Pariser High Society angesiedelten Handlung selbstverständlich an „Match Point“ (2005) und an „Irrational Man“ (2015), um nur einiges zu nennen.

Woody Allens bester Film seit „Blue Jasmine“

Die genannten Filme haben mit „Ein Glücksfall“ gemeinsam, dass sie von einem Kriminalfall handeln, der allerdings in eine Komödie eingebettet wird, bei der Dialogwitz und Charakterisierung der Figuren eine größere Rolle spielen als etwa die Aufklärung eines Verbrechens. Dennoch nimmt sich die Story, die Woody Allen hier erzählt, als originell aus: „Ein Glücksfall“ erscheint zunächst als eine leichte Gesellschaftskomödie in der Pariser „Haute volée“, die aber immer mehr zu einer Schauergeschichte wird. Allerdings – wie in früheren Woody-Allen-Filmen – verliert sie dennoch ihren Komödiencharakter nicht. Was darüber hinaus „Ein Glücksfall“ zu einem unverwechselbaren Woody-Allen-Film macht, ist der Einsatz von Kamera und Filmmusik. Kameramann Vittorio Storaro, der seit „Café Society“ (2016) bei allen Woody-Allen-Filmen für die Bildgestaltung verantwortlich ist, dreht die Straßenszenen in Paris mit derselben Anmutung, in derselben Art und Weise der Verknüpfung von Dialog und Bewegung wie in New York oder in welcher Stadt auch immer diese Filme angesiedelt sind. Dazu kommt der erneut großartige Soundtrack, der mit seinen Jazztönen bereits den Vorspann begleitet.

Im Gegensatz zu „Midnight in Paris“ (2011) betont „Ein Glücksfall“ trotz französischer Schauspieler und der Originalsprache Französisch nicht das Besondere an der Seine-Metropole: Die Geschichte könnte woanders stattfinden. Dennoch ist Woody Allen der Film handwerklich und ästhetisch so gelungen wie seit dem oscarprämierten „Blue Jasmine“ (2013) nicht mehr.

Darüber hinaus bietet der Film eine ähnlich moralisch-gesellschaftliche Reflexion wie „Match Point“ oder „Verbrechern und andere Kleinigkeiten“, ohne allerdings die Tiefgründigkeit insbesondere des letztgenannten Films zu erreichen: Damals wurde der Protagonist aus religiöser Überzeugung, die er zwar gelernt hatte, aber schon lange vergessen zu haben glaubte, von Gewissensbissen heimgesucht, nachdem er einen Mord in Auftrag gegeben hatte: „Auf Ehebruch und Unzucht folgen Lüge und Mord“. Ähnliche Überlegungen vermisst man im neuen Woody-Allen-Film.

Ein würdiges, mögliches Karriereende

Dennoch: Wenn „Ein Glücksfall“ – wie der Regisseur selbst bei der Premiere in Venedig sagte – möglicherweise seine letzte Regiearbeit sein sollte, wäre es ein würdiger Abschluss für eine mehr als 50-jährige Karriere als Drehbuchautor und Regisseur, in deren Verlauf er 50 Spielfilme gedreht hat, und mit mehr als 140 Filmpreisen – darunter vier Oscars von 24 Nominierungen – ausgezeichnet wurde.

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José García

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