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Professorin Michelle Clark: „Jede bleibt eine ausgegrenzte Person“

Auch wenn entführte Frauen wieder zu ihrer Familie zurückkehren, können sie meist kein normales Leben mehr führen, meint die Universitätsprofessorin Michelle Clark.
Die Christin Rebecca Bitrus wurde
Foto: ©MASSIMILIANO MIGLIORATO/CPP / (imago stock&people) | Die Christin Rebecca Bitrus wurde von der Terrormiliz Boko Haram gekidnappt und gezwungen, einen der Kämpfer zu heiraten. Ihr gelang die Flucht. Hier spricht sie bei einer Veranstaltung von Kirche in Not in Rom.

Frau Professor Clark, warum hören wir die Schreie der Frauen nicht? Sind wir im Westen durch eigene Probleme zu sehr abgelenkt?

Ich denke, dass westlichen Regierungen und Medien nicht wirklich bewusst ist, was das eigentliche Problem ist. Menschenrechtsermittler wissen seit den 1970er-Jahren, dass junge Frauen inmitten religiöser Kriege entführt werden, aber das Ganze kam erst um das Jahr 2000 mehr und mehr an die Oberfläche. Es ist ähnlich wie beim weltweiten Menschenhandel – zunächst wurde dieser nicht richtig wahrgenommen, bis die Leute endlich begriffen, dass es sich um ein Verbrechen handelt.

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Oder liegt der Grund auch darin, dass generell weniger Interesse für verfolgte Christen besteht?

Sicher ist das Feuer in vielen christlichen Ländern erloschen. Zudem sind wir Christen heute eher ängstlich darin, das Verhalten anderer religiöser Gruppen mit anderen kulturellen Praktiken anzufechten.

Hinzu kommt: Es handelt sich hier um verletzliche junge Frauen, die aus Familien und kleinen Gemeinschaften stammen, die über keinen großen Einfluss verfügen. Die keine politische Macht oder Medienpräsenz haben. Diese Frauen sind ausgegrenzt und in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Daher nimmt kaum jemand Notiz von ihnen – sie kommen in unserer Mainstream-Kultur einfach nicht vor.

"Die Angreifer haben im Laufe der Zeit
eine wachsende Unverfrorenheit entwickelt,
weil sie meist ungeschoren davon kommen"

Können Sie mehr zu den Opfern sagen – welchen gesellschaftlichen Hintergrund haben sie? Gibt es da vielleicht ein Muster?

Ich habe beobachtet, dass die Gewalt gegen christliche Frauen in ländlichen Gegenden beginnt und dann auf die Städte übergeht. Die Angreifer haben im Laufe der Zeit eine wachsende Unverfrorenheit entwickelt, weil sie meist ungeschoren davon kommen. In Ägypten ist es so, dass es auch Mädchen und Frauen aus gebildeten Schichten trifft – also nicht immer arme Menschen.

Gibt es eine Zahl oder auch nur eine Schätzung, wie viele Frauen von den Verbrechen betroffen sind?

An dieser Stelle zögere ich ein wenig mit der Antwort, weil es so viele Familien gibt, die sich aus Angst nicht äußern wollen. Ich persönlich habe mit sehr vielen verschiedenen Menschen gesprochen: Opfern, Familienangehörigen sowie Anwälten – auf diese Weise habe ich Einblick in deren Berichte gewonnen. Es waren hunderte von Fällen. Andere Aktivisten vor Ort nennen ebenfalls eine solch hohe Zahl. Wenn Sie alles zusammenzählen, haben Sie noch eine ganz Menge mehr. Sobald Sie mit ägyptischen Kopten sprechen, kennt jeder den Fall einer entführten oder zwangskonvertierten Frau in der weiteren Familie oder in der Nachbarschaft.

Warum sind Opfer und Angehörige hier so vorsichtig?

Sie fürchten die Behörden und sie befürchten Repressalien. Deswegen sind diese Menschen sehr zurückhaltend. Aber wir haben Informationen von Anwälten für Menschenrechte, die versuchen, jenen Frauen zu helfen, denen es gelungen ist zurückzukehren. Sie wollen nun wieder Christinnen sein. Aber da sie zum Islam übergetreten sind, ist das nicht mehr möglich. Offiziell gehören sie dem christlichen Glauben nicht mehr an. Die Anwälte gehen dagegen vor  mit dem Argument, dass die Frauen zur Konversion gezwungen wurden und das sei gegen die Regeln. Nur: Solche Anwälte einzuspannen kostet Geld. Da es sich bei den Betroffenen zumeist um Menschen handelt, die über wenig finanzielle Mittel verfügen, können sie sich das nicht leisten. Insofern ist es, was die Opfer angeht, für uns wirklich schwierig, an harte Fakten zu kommen.

Ihnen ist es nun gelungen, mit Opfern zu sprechen – wie wirkten diese Frauen auf Sie? Konnten sie wieder ein einigermaßen normales Leben führen?

Ganz ehrlich: Nein. Diese Frauen wurden zumeist als Teenager entführt und zwangskonvertiert. Sie wurden aus ihrem christlichen Umfeld herausgezogen und ihnen wurde die Fähigkeit genommen, eine christliche Mutter zu werden.

"Einen muslimischen Mann unter Druck
zu heiraten, ist eine schlimme Situation"

Einen muslimischen Mann unter Druck zu heiraten, ist eine schlimme Situation. Selbst wenn der Frau dann gesagt wird: Geh nach Hause zurück. Falls das Mädchen tatsächlich zu ihrer Familie zurückkehren kann, befindet sie sich in einer schlimmen Lage. Denn in diesen kleinen Gemeinschaften sieht man es als Schande an, was ihr passiert ist. Angefangen damit, dass das Mädchen nicht mehr rein ist.

Sie wird nie mehr auf legalem Weg einen christlichen Mann heiraten können. Im Falle, dass sie Kinder hat, sind diese ebenfalls Muslime. Nach dem Gesetz sind diese Frauen nun mal Musliminnen. Jede von ihnen bleibt eine ausgegrenzte Person und muss die entsprechenden Konsequenzen tragen – etwa, ob sie noch einen Job bekommen wird, ob sie überhaupt ein legales Leben führen kann. Was darf sie noch vom Leben erwarten? Der Mann, der sie nach Hause zurückgeschickt hat, hat dagegen bekommen, was er wollte: Die Konversion.

Und in ein anderes Land zu gehen, wäre das eine Option für die Betroffenen?

Wenn Sie die finanziellen Mittel dazu haben, ist das sicher eine Möglichkeit. Inzwischen betrachtet die US-Regierung die Angst vor Entführung als gültigen Grund für einen Asylantrag und gewährt koptischen Frauen und Mädchen, die um ihr Leben fliehen, Asylanträge. Ich arbeite mit Einwanderungsanwälten zusammen und jedem Antrag, an dem ich beteiligt war, wurde stattgegeben. Man ist auf dem Weg anzuerkennen, dass es eine gravierende Menschenrechtsverletzung ist. Die Frauen sind das Ziel von Übergriffen, weil sie christlich sind.

Wie kann den betroffenen Frauen geholfen werden?

Wir müssen die Öffentlichkeit darüber informieren: Was hier passiert, ist wirklich wahr. Das sind nicht einfach irgendwelche Berichte. Ich habe schon erlebt, dass Menschen, die ich versuchte, für die Thematik zu sensibilisieren, mir sagten: Naja, das sind halt junge Mädchen, die zu Hause nicht mehr ganz glücklich waren. Die vielleicht häusliche Gewalt erlebten oder aus sonstigem Grund unzufrieden bei den Eltern waren.

Und dann kam ein junger Mann, der ihnen Geschenke machte und etwas versprach – so etwas nennt man das „Loverboy-Phänomen“. Aber das Mädchen sagte ja zu einer Lüge! Wenn die Zustimmung auf Täuschung beruht, ist die Zustimmung laut Gesetz ungültig.

Interessanterweise finden Verfolgungen gegen Christen vor allem in Asien und Afrika statt. Das sind gleichzeitig die Kontinente, wo das Christentum wächst. Sieht man dort die christliche Religion als Bedrohung?

Jene Länder, wo diese Entführungen und Zwangskonversionen vorkommen, sind islamische Staaten. Und die haben das Ziel, ausschließlich islamische Staaten zu bleiben. Die gezielten Angriffe auf junge Christinnen ist der Versuch, die christliche Bevölkerung zu reduzieren. Indem sie die Christen einschüchtern, sie unterdrücken und damit die christliche Bevölkerung allmählich eliminieren.


Michelle A. Clark ist Professorin an der „Elliot School of International Affairs“ der George Washington Universität in den USA.

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