Deutschland dürfte das Jahr 2023 mit einem negativen realen Wirtschaftswachstum von 0,4 % abschließen. 2024 soll sich das Wirtschaftswachstum dann auf plus 0,7 Prozent erholen. Dies geht aus dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, bekannt als Rat der „Wirtschaftsweisen“ hervor. Der Sachverständigenrat, das wichtigste unabhängige Gremium zur wirtschaftspolitischen Beratung, bestätigt damit bereits kursierende Prognosen. Die Inflation befindet sich dem Gremium zufolge „auf dem Weg der Normalisierung“.
Mittel- und langfristig sehen die Wirtschaftsweisen „deutliche Wachstumshemmnisse“. Ein Grund dafür sei die demographische Entwicklung. Durch das Schrumpfen der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter sinke das Arbeitsangebot. Dies sei zwar seit vielen Jahren absehbar, aber bisher „nicht ausreichend adressiert“. In den vergangenen 15 Jahren hätten steigende Erwerbsquoten von Frauen und Älteren, sowie die „demografische Atempause“ die Entwicklung kompensiert; nun aber würde viele Babyboomer endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Zudem sei das Produktivitätswachstum, aber auch Wachstum und Modernität des Kapitalstocks seit Jahrzehnten rückläufig. Deutschland, so das Gutachten, drohe „nicht nur eine Alterung der Bevölkerung, sondern auch seiner industriellen Basis.“ Insgesamt sei daher in den 2020er-Jahren mit etwa 0,4% pro Jahr nur ein Drittel des durchschnittlichen Wachstumspotentials zu erwarten, das es in den 2010er-Jahren gegeben habe.
Weniger „Care-Arbeit“, höhere Karrierechancen
Die Autoren des aus fünfköpfigen Gremiums aus drei Ökonominnen und zwei Ökonomen empfehlen unter anderem, das Sinken des Arbeitsangebots durch „verbesserte Erwerbsanreize“ und „Reformen der Zuwanderungspolitik“ zu bekämpfen. Die Erwerbsquote von Frauen steige zwar seit Jahren, doch die Teilzeitquote sei noch zu hoch; bessere Kinderbetreuungsangebote seien notwendig, damit Frauen die Zeit, die sie für „Care-Arbeit in der Familie“ aufwenden, reduzieren könnten. Ein höheres Einkommen und eine bessere Wahrnehmung von Karrierechancen sei die Folge. Auch eine Reform des Ehegattensplittings sei notwendig, um „die Erwerbsanreize von Zweitverdienenden“ zu stärken, also Alleinverdienerehen unattraktiver zu machen.
Brisante Vorschläge haben die Ökonomen auch für die gesetzliche Rentenversicherung: da auch diese finanziell unter Druck komme, was notwendig zu höheren Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt oder höheren Beitragssätzen führe, schlagen die Ökonomen drei Reformoptionen vor. Einerseits sei ein höheres Renteneintrittsalter möglich, was in der Vergangenheit bereits öfter Teil der öffentlichen Diskussion war. Alternativ könne eine Inflationsindexierung der Renten ins Auge gefasst werden. Darunter würden Renten real nicht mehr steigen, sondern statt an die Lohnentwicklung nur noch an die Preisentwicklung gekoppelt werden. Möglich sei auch eine Umverteilung innerhalb der Rentenempfänger, sodass Rentner, die wegen höherem Einkommen auch höhere Beiträge gezahlt hätten, gleichwohl weniger Rente bekämen als derzeit vorgesehen. (DT/jra)
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost eine umfängliche Analyse des Jahresgutachtens.