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Daoud Nassar: Der Friedensvisionär

Arbeiten an einer besseren Zukunft für Palästina: Ein Besuch bei Daoud Nassar.
Daoud Nassar  ist palästinensischer Christ
Foto: JZ | Sucht den Dialog: Daoud Nassar (50) ist palästinensischer Christ.

Der Weg zum palästinensischen Nelson Mandela ist steinig, staubig und vermüllt. Man parkt bei der jüdischen Siedlung Neve Daniel und klettert über zwei Hindernisse aus Felsblöcken, von der israelischen Armee vor Jahren errichtet. Warum legt Israel einem Friedensstifter buchstäblich Steine in den Weg? Wartet man auf einen besseren Nachbarn als Mandela?

Bis 1990 eine biblisch-pastorale Idylle

Daoud Nassars Familie besitzt ein 42 Hektar großes Grundstück fünf Kilometer südwestlich von Bethlehem, 950 Meter hoch gelegen, an klaren Wintertagen sieht man das Mittelmeer. Daouds Großvater Daher – deshalb auch der Name Dahers Weinberg – kaufte das Land 1916 von einem Bauern. Mit der Familie lebte er in einer Höhle. Sie pflanzten Bäume an, Granatapfel, Mandel, Feigen, Oliven sowie Rebstöcke, aus deren Trauben sie Wein kelterten. Alttestamentlich mutet es an. 1990 war es mit der biblisch-pastoralen Idylle jedoch vorbei. Daoud Nassar erfuhr, dass das Gebiet um Dahers Weinberg israelisches Staatsland sei; binnen 45 Tagen könne er Widerspruch einlegen. „Wir sind die einzige Familie, die das getan hat”, behauptet Daoud, dessen arabischer Name David bedeutet. Seitdem sind er und seine Familie auf einem Kreuzweg, dessen Ende nicht absehbar ist. Wird er in die Auferstehung münden?

Die Widerstände sind gewaltig

Die bisherigen Stationen ergeben jetzt schon mehrere Kreuzwege. Nachweise, dass seine Vorfahren in osmanischer, britischer und jordanischer Zeit Steuern für das Land entrichteten, waren der israelischen Militärbehörde vorzulegen. Augenzeugen sollten bestätigen, dass die Kultivierung des Landes vorrangig sei. Daoud überzeugte 50 Nachbarn und Freunde, vor dem Militärrichter auszusagen. Nach vierstündiger Wartezeit in der Hitze, hieß es: „Heute haben wir keine Zeit mehr. Kommt morgen wieder.“ Dank Daouds Überzeugungskünsten begleiteten ihn die Zeugen anderntags erneut zur Militärbehörde. Siedlergewalt sorgte zudem für schlaflose Nächte. Einmal versuchten jüdische Siedler, eine Straße durch den Weinberg zu bauen, ein andermal rissen sie im Beisein internationaler Friedensaktivisten gerade gepflanzte Ölbäume aus. Gegenüber einem Siedler verwies Daoud auf seine Besitzurkunde aus osmanischer Zeit. Der Siedler hielt dagegen: „Wir haben Dokumente von Gott“ und meinte die hebräische Bibel.

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Ewige Grenzstreitigkeiten

Neuer Streit entbrannte, als die Militärbehörde behauptete, auf der Landkarte aus osmanischer Zeit sei eine Grenze anders bezeichnet als auf Karten der britischen Mandatszeit. Laut Nassars Anwälten konnte nur ein Gutachten Klarheit schaffen. Da palästinensische Landvermesser von Israel nicht anerkannt sind, musste ein israelischer nach London und Istanbul reisen, um Originaldokumente einzusehen. Das Honorar dafür: 70 000 US-Dollar, was einem Fünfjahresverdienst eines palästinensischen Schuldirektors entspricht. Seitdem ist die Litanei länger geworden. Einmal walzten israelische Bulldozer Weinstöcke, Apfel- und Aprikosenbäume nieder. Ein andermal händigten Offiziere dem Friedensvisionär neun Abrissverordnungen aus. „Strukturen” seien illegal gebaut worden.

Dabei hatte sich Daoud Nassar um Baugenehmigungen bemüht, doch im C-Gebiet des palästinensischen Westjordanlandes, wo allein Israel Entscheidungsgewalt hat, ist das aussichtslos. „Wir dürfen auf unserem eigenen Land kein Haus bauen, kein Leitungswasser haben und keinen Strom.” Die Abrissverfügungen galten Zelten, Ziegenunterständen, einer Wasserzisterne und zwei Höhlen, die Daoud mit Zivildienstleistenden in einen Versammlungsraum und eine Kapelle verwandelt hatte. Bis heute haben die Nassars über 50 teils Abriss-, teils Kultivierungsstopperlasse erhalten und damit Sorgen und Fragezeichen. Die juristischen Kosten belaufen sich auf 180 000 Euro.

Palästinenser werden unfair behandelt

Chris Gunness, Sprecher von UNRWA, dem UNO-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser, erklärte schon vor Jahren, was wiederholt bestätigt wurde: „62 Prozent des Westjordanlandes sind C-Gebiet. Durch Israels Handhabung von Baugenehmigungen dürfen Palästinenser nur auf einem Prozent des C-Gebietes bauen. Das ist sehr unfair. Die Israelis können somit fast alles tun, was sie wollen.”

Und was tun der Palästinenser Daoud, seine Familie und die Volontäre aus Deutschland, Italien oder Holland? Sie setzen alldem Gewaltlosigkeit und Kreativität entgegen. „Wir graben eine neue Zisterne, wenn wir frustriert sind”, sagte er einmal. Es sind bis dato 23 Zisternen. Und immer wieder versichert Daoud Nassar: „Wir weigern uns, Feinde zu sein!” Das sei „christlich-gewaltloser Widerstand.”

Begegnungsort für Menschen

Mitten im zweiten Palästinenseraufstand hat er die Vision seines 1976 verstorbenen Vaters umgesetzt und einen Begegnungsort für Menschen, vor allem Jugendliche, geschaffen. An den Sommerlagern nehmen Dutzende von muslimischen und christlichen Kindern aus Bethlehem, auch aus Flüchtlingslagern, teil. Mit Freiwilligen aus Europa oder Amerika haben sie dabei großflächige Bilder gemalt, Mauern mit Mosaiken verziert oder Theaterstücke einstudiert. „Wir wollen ihnen das Wissen an die Hand geben, dass sie mitwirken können an einer besseren Zukunft für Palästina.“ Daoud Nassar sagt nicht nur: Wir weigern uns, Feinde zu sein, er sagt auch: „Wir weigern uns, Opfer zu sein.“

In einer österreichischen Besuchergruppe des Projekts waren sieben mit dem Rollstuhl unterwegs, jeweils zwei waren blind oder lernbehindert. Einer nach dem anderen ließ sich über den Steinhaufen tragen. Für Andrea Fröschl ging dieser Besuch „wirklich an die Grenze. Da haben wir am eigenen Leib gespürt, wie mühsam den Palästinensern in ihrem eigenen Land das Leben gemacht wird.”

Brandanschlag auf den Weinberg

Erst Ende Mai ist eine weitere Station auf dem Kreuzweg dazugekommen: Brand. „Es war entsetzlich mit anzusehen, wie sich das Feuer schnell auf weitere Felder ausbreitete”, schrieb der Friedensgläubige an Unterstützer in aller Welt. Mithilfe von Bewohnern des nahen palästinensischen Dorfes Nahalin und der Feuerwehr Bethlehem konnte nach sieben Stunden das Feuer gelöscht werden. Für Daoud Nassar war es „niederschmetternd zu sehen, dass all die neuen Bäume, die wir in den letzten fünf Monaten gepflanzt und bewässert hatten, in Sekundenschnelle verschwunden waren.”

Der evangelische Pfarrer Andreas Götze, der das Projekt seit langem unterstützt, meint dazu: „Wir weigern uns Feinde zu sein ist das Motto der Familie – diese Haltung wird aktuell sehr auf die Probe gestellt. Ein Brandanschlag ist auf den Weinberg verübt worden, der Schaden ist immens, die Familie unter Schock.” Ihm fehlen die Worte.

Wird Daoud Nassars Credo – Zehntausenden von Besuchern über die letzten Jahre mitgegeben – wahr werden können? „Sie wollen unsere Überzeugung kaputtmachen, aber wir sind entschlossen, uns zu widersetzen und das Böse mit dem Guten zu überwinden! Gerechtigkeit wird siegen!“

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