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Marian Rejewski: Polnischer Codeknacker

Der Mathematiker Marian Rejewski (1905–1980) sorgte früh für das Ende des „Dritten Reiches“ – dabei halfen ihm auch katholische Kontakte nach Deutschland.
Denkmal an Marian Rejewski in Polen
Foto: Wikipedia | In Polen erinnert ein Denkmal an Marian Rejewski.

Kaum einer kennt ihn. Und doch war er es, der Hitlers Traum vom „Endsieg“ ein vorzeitiges Ende bereitete: Marian Rejewski, 1905 im damals deutschen, heute polnischen Bromberg geboren und von Beruf Mathematiker. Von frühester Jugend an war Rejewski mit deutscher Kultur und Sprache vertraut, und: Er war Mitarbeiter des polnischen Geheimdienstes. Im Jahr vor der Machtergreifung Hitlers drangen er und ein paar Kollegen ins Innenleben der deutschen Verschlüsselungsmaschine „Enigma I“, im Folgenden nur „Enigma“ genannt, ein. Mit der Folge, dass die polnische Regierung schon lange vor dem deutschen Überfall im September 1939 über vieles informiert war, was sich an ihrer Westgrenze zusammenbraute – allerdings ohne etwas dagegen zu unternehmen, worin die Tragik des 20. Jahrhunderts und wohl vieler Geheimdienste besteht.

Im Sommer 1929 hatte Marian Rejewski, mit einem legendierten Stipendium des polnischen Geheimdienstes ausgestattet, einige Monate in Göttingen verbracht, dort unverdächtigerweise „Versicherungsmathematik“ studiert und über die katholische Studentenverbindung „Palatia“ Kontakte in akademische Kreise geknüpft. Bei Kriegsausbruch 1939 waren es dann die katholischen Seilschaften aus Göttingen, die mit dafür sorgten, dass Rejewski und Kollegen unbehelligt vor der einrückenden Wehrmacht nach England gelangten, etwa indem sie in Rumänien und Frankreich Unterschlupf in Klöstern und Pfarrhäusern fanden, wie Rejewskis Tochter später berichtete.

Hauptamtlicher Geheimdienstmitarbeiter

Ab 1930 hatte Rejewski an der Universität Posen Mathematik gelehrt und erfolgreich einen vom polnischen Innenministerium organisierten Dechiffrierkurs absolviert. Anschließend wechselte er als hauptamtlicher Geheimdienstmitarbeiter ins Referat BS4, der für Deutschland zuständigen Abteilung. Posen, das von 1793 bis 1918 unter deutscher Verwaltung gestanden hatte, bot gute Möglichkeiten, deutsch sprechende Agenten anzuwerben, was später kriegsentscheidend wurde. Unweit der Universität erinnert heute eine 2007 feierlich enthüllte Stele an den 1980 verstorbenen Marian Rejewski, dessen Leistungen in Polen erst in jüngerer Zeit gewürdigt werden, auch in seiner Heimatstadt Bromberg, wo er sich als Statue auf einer Bank Notizen macht und neben ihm eine in Bronze gegossene „Enigma“ liegt.

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Die „Enigma“ (was aus dem Griechischen kommt und „Rätsel“ bedeutet) war 1923 von Arthur Scherbius entwickelt und von deutschen Militärs schnell als nützlich erkannt worden, so dass sie bald wieder vom Markt verschwand. Kurz zuvor war der polnische Geheimdienst noch in den Besitz einer solchen gekommen, was ihm zunächst jedoch nur wenig nützte, da sich die militärischen Modelle deutlich von den frei verfügbaren unterschieden. „Bis Rejewski Ende 1932 der Durchbruch gelang und auch die im deutschen Sicherheitsapparat verwendeten Enigmen entschlüsselt wurden“, sagt der Historiker Uwe Puschner von der FU Berlin. Enigmen, mit der Behörden, Botschaften und Armeeeinheiten schon zu Zeiten der Weimarer Republik (1919– 1933) kommunizierten und die heute in den Vitrinen des Heinz-Nixdorf-Museums in Paderborn auf interessierte Besucher warten, bestanden im Wesentlichen aus drei Komponenten, die miteinander verdrahtet waren: einer Tastatur für die Eingabe der Klartextbuchstaben, einer Verschlüsselungseinheit und einem Lampenfeld, das die Geheimbuchstaben anzeigte. Die aus Walzen bestehende Verschlüsselungseinheit war von Drähten durchzogen, wobei die innere Verdrahtung das Entscheidende war, da sie darüber bestimmte, wie die Buchstaben verschlüsselt wurden.

Der französiche Geheimdienst half den Polen

Bei der Entschlüsselung half den Polen der französische Geheimdienst, der über einen deutschen Überläufer in den Besitz wichtiger Gebrauchsunterlagen zur Enigma gelangt war. Während Franzosen und Briten kaum Nutzen daraus zogen, waren die Dokumente des deutschen Überläufers für die Codeknacker um Marian Rejewski Gold wert. Denn sie halfen, die Verdrahtung der „Enigma“-Schlüsselwalzen zu erschließen. „Die Polen entwickelten dazu ein spezielles Verfahren, einen so genannten ,Zyklometer‘, mit dem sie den Schlüssel maschinell herausfanden“, erklärt Historiker Puschner. Bis dieser ab 1938 durch individuelle Verschlüsselung jeder einzelnen Nachricht ersetzt wurde, was auf Hitlers Kriegsvorbereitungen hindeutete, aller Friedensrhetorik seiner Propaganda zum Trotz. Im Juni 1934 war es dem polnischen Geheimdienst noch gelungen, zeitgleich mit deutschen Dienststellen die Tötungsbefehle gegen SA-Chef Ernst Röhm und dessen Mitstreiter mitzuhören, worin Warschau ein deutliches Warnsignal für alles Kommende sah.

Kurz vor Kriegsausbruch, Ende Juli 1939 übergab der polnische Geheimdienst seine Erkenntnisse zu Enigma bei einem Treffen im Kabaty-Wald von Pyry, südlich von Warschau, an Briten und Franzosen, die aus dem Staunen nicht mehr herauskamen, als Rejewski vortrug und ihnen zudem noch einen Enigma-Nachbau überreichte. Mithilfe der polnischen Vorarbeiten gelang es den westlichen Alliierten ab etwa 1940, immer tiefer in die geheimen Kommunikationsnetze von Wehrmacht, Reichsmarine, Sicherheitsdienst (SD) und SS einzutauchen und vor allem den deutschen Luftkrieg über Großbritannien abzuwehren. Rund 2,5 Millionen deutsche Funksprüche konnten die Alliierten entschlüsseln, darunter viele, die auf Kriegs- und Menschheitsverbrechen hindeuteten. Auch die erfolgreiche Invasion der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie wäre ohne Marian Rejewskis Arbeiten nicht möglich gewesen. „Der Krieg wäre anders und vor allem länger und noch blutiger verlaufen, hätte der polnische Geheimdienst nicht schon in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren klammheimlich an jenem Ast gesägt, von dem aus Hitlers Imperium eineinhalb Jahrzehnte später in den Abgrund stürzte“, ist Sven Felix Kellerhoff überzeugt.

Flucht nach London

Bei Kriegsausbruch flohen Marian Rejewski und seine Kollegen über Rumänien, Frankreich und Algerien nach London, wo sie – wohl aus Sicherheitsgründen – nicht in die Spionageabwehr eingebunden wurden und sich stattdessen weiter wissenschaftlich betätigten. Was in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist: Polen wusste weit mehr von Hitlers Kriegsplänen als manche deutschen Militärs und Politiker, die nur selten in alles eingeweiht waren, darunter auch Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, den US-Ankläger 1946 im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess spöttisch einen „Errant Boy“, als Hitlers Reiseboten bezeichneten. Und von dem auch Herrmann Göring, immerhin Hitlers Stellvertreter, behauptete, dass er „nichts zu sagen gehabt“ habe. Die von den Alliierten entschlüsselten Funksprüche der deutschen Enigmen waren in Nürnberg wichtige Beweismittel für die als geheim geglaubten Vernichtungsbefehle Hitlers und seiner Adlaten. Es half kein Leugnen und Abstreiten mehr, um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, die am Ende in zwölf Fällen vollstreckt wurde.

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