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TikToks negative Auswirkungen auf die westliche Jugend

Ein französischer Neurowissenschaftler hat die Auswirkungen von TikTok auf das Hirn von Jugendlichen untersucht – und warnt vor den Folgen für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Auswirkungen von TikTok auf das Hirn von Jugendlichen untersucht
Foto: IMAGO/Nikolas Kokovlis (www.imago-images.de) | Sämtliche wissenschaftlichen Studien bewiesen den negativen Einfluss sozialer Netzwerke auf jugendliche Hirne, so Neurowissenschaftler Desmurget, und den Menschen werde allmählich bewusst, dass es da ein Problem gebe.

Michel Desmurget ist Forscher am nationalen Forschungszentrum CNRS und Forschungsdirektor am medizinischen Forschungsinstitut Inserm (Institut de la santé et de la recherche médicale), das dem französischen Forschungsministerium unterstellt ist. Er ist Autor von „La fabrique du crétin digital – les dangers des écrans pour nos enfants“ (auf Deutsch etwa: Die Produktion des digitalen Dummkopfs – die Gefahren der Bildschirme für unsere Kinder).

In einem Gespräch mit der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ gibt der Neurowissenschaftler nun Auskunft über die Gefahren, die von sozialen Netzwerken wie dem chinesischen Videoportal TikTok speziell auf das jugendliche Hirn ausgehen, und er verrät, weshalb China den Zugriff junger Leute auf die sozialen Netzwerke stark beschränkt. Man beobachte bereits einen eklatanten Unterschied zwischen den OECD-Ländern und China: Im Jahr 2009, „als China sich dem PISA-Programm anschloss, das die Leistungen der Kinder evaluiert, war dies ein Elektroschock für den Westen“. Der frühere US-Präsident Barack Obama habe damals vom „Sputnik-Effekt“ gesprochen. Mit dem PISA-Anschluss Chinas und der anderen asiatischen Staaten habe der Westen „seinen ganz beträchtlichen Rückstand erkannt“. Die Leistungen asiatischer Kinder lägen weit über denen unserer Kinder, und „das könnte für unsere Gesellschaften entscheidend sein“.

Sieben bis acht Stunden am Bildschirm

Dafür, so betont Desmurget, seien zum großen Teil die sozialen Netzwerke verantwortlich, deren Nutzung China streng kontrolliere: „Die chinesische Regierung hat die tägliche Nutzung von TikTok auf 40 Minuten begrenzt und für Jugendliche die tägliche Zeit von Videospielen drastisch reduziert. Während unsere europäischen Kinder am Tag sieben bis acht Stunden vor den Bildschirmen verbringen“. Die TikTok-Version, die man bei uns im Westen habe, sei hingegen überhaupt nicht eingeschränkt – weder im Hinblick auf die Inhalte, noch zeitlich.

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Die sozialen Netzwerke allgemein hätten, so der Forscher weiter, „indirekte Effekte“. So etwa nähmen sie anderen Tätigkeiten die Zeit weg, wie etwa dem Schlaf oder der Lektüre von Büchern, die jedoch fundamental für die Sprachentwicklung seien. „Man sagt uns zuweilen, dass die Jugendlichen doch auf TikTok und Instagram lesen, doch davon bin ich wenig überzeugt, und das Wenige, das sie da lesen, ist meilenweit von dem entfernt, was selbst ein schlechter Roman mit sich bringt. Die Folgen für die sprachlichen Fähigkeiten sind schlimm“, fährt Desmurget fort.

Die permanente Versuchung für die Sinne

Aber es gebe auch „direkte Folgen“ – wie etwa die auf die Aufmerksamkeit, denn „diese Netzwerke sind permanente Versuchungen für die Sinne“. Darüber hinaus seien sie „gigantische Plattformen, um soziale Normen zu schaffen und einen entsetzlichen Druck auf die Heranwachsenden auszuüben“. Dabei stützten sich die sozialen Netzwerke auf „die primitivsten inneren Schwachstellen unseres Hirns“. Die „Evolution hat beispielsweise die Tragweite dessen berücksichtigt, ein Maximum an Information in unserer Umgebung zu sammeln, sowie soziale Kontakte zuhauf zu haben. Daher bekommt man – jedes Mal, wenn man über TikTok eine neue Information erhält oder auf Instagram einen neuen Kontakt knüpft – eine kleine Ausschüttung an Dopamin. Wie ein Laboräffchen, das seine Erdnuss bekommt, wenn es eine Aufgabe gut gelöst hat“. Diese Plattformen spielten mit diesen Mechanismen, und wir unterjochten uns ihnen, konstatiert Desmurget. 

Ein chinesischer Offizier sei einmal gefragt worden, berichtet der Forscher, warum man in seinem Land die Nutzungsdauer von Videospielen und sozialen Netzwerken reduziert habe - selbst auf die Gefahr hin, den technologischen Sektor zu ruinieren. Er habe ganz einfach und spontan geantwortet: „Diese Kinder sind die Zukunft unserer Nation“. 

Digitalisierte Schulen?

Sämtliche wissenschaftlichen Studien bewiesen den negativen Einfluss auf jugendliche Hirne, unterstreicht Desmurget, und den Menschen werde allmählich bewusst, dass es da ein Problem gebe. Genau das Gleiche gelte für die Digitalisierung der schulischen Bildung: „Man erklärt uns trotz aller Widrigkeiten, man müsse massiv darin investieren, während zahlreiche Studien gezeigt haben, dass je stärker die Investitionen in die Digitaltechnik an der Schule steigen, desto stärker sinken die Prüfergebnisse ab“. Das Absinken des schulischen Niveaus in den Sprachen, in der Mathematik und der mündlichen und schriftlichen Ausdrucksfähigkeit ist, laut Desmurget „absolut haarsträubend“. Der mittelmäßige Schüler von heute habe das gleiche Bildungsniveau wie ein Schüler, „den man vor 25 Jahren in extrem großen Schwierigkeiten wähnte“. Seit Jahren sehe man das, doch man tue nichts dagegen.

Die Chinesen verhielten sich mit ihrer ablehnenden Haltung übrigens, da ist sich Desmurget sicher, ebenso wie die Geschäftsführer im Silicon Valley: „Sie schützen ihre eigenen Kinder, während sie gleichzeitig ihr Produkt an unsere Kinder verkaufen. Wir sind dabei die Dummen. Es hat umfassende Untersuchungen der New York Times gegeben, die zeigten, dass die Menschen in diesem Business ihren Kindern knallhart verbieten, diese Technologien zu nutzen, weil sie besser als jeder andere die verheerenden Auswirkungen kennen.“  DT/kks

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