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Bleibt RTL für immer ein Trash-Sender?

Der Privatsender des Bertelsmann-Konzerns versucht, seinem Programm mehr Niveau zu verleihen – bislang erfolglos
DSDS - Dieter Bohlen
Foto: Henning Kaiser (dpa) | Das Publikum mag seine Geschmacklosigkeiten: RTL muss Dieter Bohlen wieder an Bord holen, weil die Sendung nach dem Rauswurf des Jurors erhebliche Quotenverluste hinnehmen musste.

ls am 2. Januar 1984 der private Fernsehsender RTL plus erstmals auf Sendung ging, konnte wohl niemand ahnen, dass aus dem buchstäblich in einer Garage gestarteten Kanal im Verlauf der darauffolgenden Jahre einmal der erfolgreichste und profitabelste Sender Europas werden sollte. Mit mutigen Programmentscheidungen und einem tiefen Gespür für die sich verändernde Medienlandschaft gelang es dem aus Wien stammenden Gründungsprogrammdirektor Helmut Thoma, RTL plus (das ab Oktober 1992 nur noch RTL heißen sollte) während der 1990er- und frühen 2000er-Jahre zum TV-Maß aller Dinge zu machen und die betulich und bequem gewordenen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in ihre Schranken zu weisen.

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RTL will eine „bessere ARD“ werden

Doch sowohl die Zeiten Helmut Thomas, der bereits Ende der 1990er-Jahre RTL verließ, sowie die Vorherrschaft des Senders in puncto Einschaltquoten sind schon seit langem vorbei – und der Sender, der sich in den vergangenen Jahren mit Sendungen wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“, „Deutschland sucht den Superstar“ und diversen Doku-Soaps im Nachmittagsprogramm Stück für Stück zu so etwas wie dem Trash-Mekka des deutschen Fernsehens entwickelte, befindet sich beinahe 40 Jahre nach Sendebeginn in einer veritablen Identitätskrise.

Denn die öffentlich-rechtlichen Sender wie ARD und ZDF (letzteres von Thoma in seinen Glanzzeiten noch aufgrund dessen älterer Zuseherschaft als „Kukident-Sender“ verspottet) nahmen in den vergangenen Jahren die Herausforderung durch Sender wie RTL und Sat1 an und konnten dank Programmumstellungen und inhaltlicher Neuausrichtung an den Privatsenderrivalen wieder vorbeiziehen – wodurch RTL anscheinend sich dazu gezwungen sieht, sein Heil darin zu suchen, eine „bessere ARD“ zu werden.

„Mit Bohlen gingen auch die sich eh bereits im Sinkflug befundenen Quoten
des nunmehr von Florian Silbereisen moderierten Show-Dauerbrenners endgültig in den Keller“

Denn unter der Ägide des Mutterkonzerns Bertelsmann fusionierte die Sendergruppe im vergangenen Jahr mit dem Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, woraufhin der in eine Niveau-Abwärtsspirale gelangte Sender sich entschied, seriöser werden zu wollen, seinen Informationsbereich auszubauen und zu einem Sender „für die ganze Familie“ zu avancieren. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe träumte damals von einem „journalistischen Powerhouse“, einem „stark nach vorne gerichteten Projekt“.

So ging man in den vergangene Monaten auf große Einkaufstour und warb etliche prominente und preisgekrönte Journalistinnen und Journalisten bei Tageszeitungen und bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz wie zum Beispiel in Gestalt von „Mr. Tagesschau“ Jan Hofer ab; zuletzt stießen Nico Fried, der Parlamentschefreporter der „Süddeutschen Zeitung“ und das renommierte Rechercheteam um Birte Meier vom ZDF zu RTL – problematisch ist nur, dass dies das RTL-Stammpublikum nicht interessiert.

Dieter Bohlens Rauswurf ging nach hinten los

Zum großen PR-Desaster geriet zudem im März 2021 der Rauswurf von Musikproduzent und „Modern Talking“-Gründer Dieter Bohlen als Moderator der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“: Bohlen, der seit Showstart im Jahr 2003 zur Jury von „DSDS“ gehörte und dort vor allem für seine unter die Gürtellinie zielenden Sprüche berüchtigt gewesen ist, passte auf einmal nicht mehr zum neuen selbst verordneten „Porentief rein“-Image des Schmuddelsenders – beide Seiten hatten sich daraufhin nicht mehr viel zu sagen.

Doch Bohlen-Fans und Trash-Anhänger stimmten zuungunsten von RTL mit der Fernbedienung ab – und mit Bohlen gingen auch die sich eh bereits im Sinkflug befundenen Quoten des nunmehr von Florian Silbereisen moderierten Show-Dauerbrenners endgültig in den Keller. So musste RTL die Reißleine ziehen und den geschassten Bohlen für eine (angeblich) finale Staffel von DSDS im kommenden Jahr zurückholen.

 

 

Retro-Charme mit Uraltformaten

Die Re-Rekrutierung Bohlens ist der wohl drastischste Beleg dafür, dass RTL momentan mit seiner neuen Strategie nicht auf Erfolgskurs kommt – und so setzt man mittlerweile still und heimlich eher auf Nostalgie als auf Erneuerung: So wird eine alte Showidee nach der anderen aus dem Keller gekramt: Zuletzt wurde etwa die einstige ProSieben-Show „Turmspringen“ von RTL neu aufgelegt, ebenso gelangte ein „Wetten, dass…?“-Verschnitt ins Abendprogramm, davor der Quizshow-Dauerbrenner „Der Preis ist heiß“. Demnächst soll gar die „100.000-Mark-Show“ mit Originalmoderatorin Ulla Kock am Brink wieder ins Programm gehievt werden, um mit Retro-Charme statt Innovationen das weiterhin vorhandene Trash-Problem des Senders zu kaschieren.
Dabei wusste schon RTL-Begründer Thoma: „Wer dem Trend hinterherläuft, sieht nur seinen Hintern.“

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