Lügenpresse, Gutmensch, Volksverräter, alternative Fakten, Anti-Abschiebe-Industrie, Klimahysterie, Rückführungspatenschaften, Corona-Diktatur, Pushback, Klimaterroristen, Remigration, und jetzt: biodeutsch. Mangelnde „Haltung“ – bekanntlich der höchste Wert deutscher Publizistik – kann man der „institutionell unabhängigen“ fünfköpfigen Jury (vier „Sprachwissenschaftler:innen“ und eine Journalistin), die Jahr ein, Jahr aus die Deutschen mit der Wahl des „Unworts des Jahres“ erfreut, jedenfalls nicht vorwerfen. Das verdeutlicht die oben wiedergegebene Liste der letzten zehn „Unwörter“ eindrücklich.
Nun lautet das gebrandmarkte Wort, das zu benutzen fortan im Ruch des (mindestens) rechtspopulistischen Ungeists stehen möge, also „biodeutsch“. Die Jury will herausgefunden haben, dass „biodeutsch“ zwar „ursprünglich ironisch als satirischer Ausdruck verwendet“ wurde, mittlerweile aber „seit mehreren Jahren eine sehr gedankenlose und unreflektierte, nicht-satirische, also wörtlich gemeinte Verwendung festzustellen“ sei. Diese aber sei „Alltagsrassismus“, denn damit werde nicht nur eine hierarchische Klassifizierung von Menschen vorgenommen, sondern auch „ein biologischer Zusammenhang von Nationalität und ‚Deutschsein‘ imaginiert, den es nicht gibt.“
Ironie und politische Korrektheit
Was der ziemlich merkwürdige Satz, es gebe keinen Zusammenhang von (deutscher) Nationalität und ‚Deutschsein‘ wohl sagen will: Es gibt überhaupt kein „biologisches“ Deutsch-Sein, daher wohl auch die Anführungszeichen bei „‚Deutschsein‘“. Ein Rassist also, wer die Existenz einer autochtonen Bevölkerung feststellt? Wie auch immer: Es wäre jedenfalls eine eigene Ironie, falls das Narrativ von der kryptofaschistischen Usurpation eines Begriffs, in dem ja auch die aus grünbourgeoiser Sicht positive Vorsilbe „bio“ enthalten ist, zutreffen sollte.
Vielleicht liegt der hypersensiblen Wahl der eines Migrationshintergrunds eher unverdächtigen Jury (darf man das sagen?) allerdings auch ein schlichter Denkfehler zugrunde: Nämlich der, dass Ironie grundsätzlich politisch korrekt sei – und die säuberliche Unterteilung in einen guten „ironisch-satirischen“ und einen bösen „diskriminierenden Wortgebrauch“ zweifelsfrei möglich. Das hingegen wäre für sich genommen schon wieder Realsatire.
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