Goethe, Hemingway, Stuckrad-Barre – Schriftsteller lieben die Selbstinszenierung. Nicht nur auf dem literarischen Papier, das ihnen die Welt bedeutet, auch beim Drumherum: Autobiographie, Interviews, Fotosessions. Frei nach dem Motto: irgendwann wird man schon die Person, als die man erscheinen möchte, wenn man nur hartnäckig genug das richtige selektive Informationsmaterial liefert und vertreibt.
Eine Geschichte
Von daher ist der Fall der deutsch-schweizerischen Schriftstellerin Sibylle Berg („Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“, „RCE. #RemoteCodeExecution“), der von Seiten eines NZZ-Autors vorgeworfen wird, dass es in ihrem Lebenslauf Widersprüche gebe, eigentlich nur insofern verwunderlich, als dass sich ein Journalist darüber wundern kann, dass Berg sich „eine Geschichte“, die sie für ihr „Leben hält, oder ein ganze Reihe von Geschichten“ (Max Frisch) erfunden hat.
Zumal dieser Streit um Echt oder Falsch für die Beurteilung ihres literarischen und dramatischen Werkes eher unerheblich zu sein scheint – sieht man einmal von den berechtigten Wissensansprüchen der literaturwissenschaftlichen Detektive, genannt Germanisten, ab.
Fiktive Elemente
Berechtigter wirkt jedoch der kritische Verweis auf journalistische Reportagen, die Berg in ihrer Laufbahn als Kolumnistin und „Zeitmagazin“-Autorin geschrieben hat. Sollte sich herausstellen, dass die 61-Jährige quasi in Relotius-Manier auch fiktive Elemente in journalistische Darstellungsformen übernommen hat, wäre ihre Glaubwürdigkeit als Kolumnistin und Journalistin erheblich beschädigt.
Im Unterschied zu dem legendären polnischen Reiseschriftsteller Ryszard Kapuściński (1932-2007), der sich posthum derartigen Vorwürfen ausgesetzt sah, kann Berg die Dinge aber noch geraderücken. Wenn sie und ihre Anwälte das denn wollen. Fiktion macht frei, Wahrheit auch.
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