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Rettet die Rituale!

Auch TV-Bräuche zum Jahreswechsel sind schützenswertes Kulturgut. Doch das Erbe von „Dinner for One“ scheint in Gefahr. Das sollte uns eine Mahnung sein.
Kult-Sketch „Dinner for One"
Foto: IMAGO / United Archives | Wer kennt ihn nicht, den 18-minütigen Theater-Spaß „Dinner for One"? In England selbst nahezu unbekannt, genießt der schwarz-weiße Sketch hierzulande bis heute Kultstatus.

Zum Jahreswechsel gibt es einen bedauerlichen Kulturfrevel zu vermelden. Zwar wurden diesmal keine Beethoven-Statuen mit Farbe besprüht, Rembrandt-Gemälde mit Säure bespritzt oder Barockfassaden mit Antifa-Parolen beschmiert. Zeittypisch trifft es diesmal ein Denkmal des zu Ende gehenden TV-Zeitalters. Es geht um nichts weniger als das Erbe von „Dinner for One“.

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Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom: Wer kennt sie nicht, die Gäste von Ms. Sophie zum Dinner anlässlich ihres 90. Geburtstags? Der 18-minütige Theater-Spaß des englischen Komödianten Freddie Frinton und seiner Partnerin May Warden wurde erst durch die NDR-Fernsehverfilmung aus dem Jahre 1963 wirklich populär. In England selbst nahezu unbekannt, genießt der schwarz-weiße Sketch hierzulande bis heute Kultstatus.

Aus dem Skurrilitäten-Kabinett einer adeligen Heiratsvermittlung

Nun hat sich die Amazon-Tochter Prime Video auf der Jagd nach Kundschaft dazu entschlossen, eine fiktive Vorgeschichte des seltsamen Festmahls für ein breites Publikum erzählen zu lassen. Am Drehort Potsdam vor friderizianischer Kulisse (Produktion UFA Fiction) wird ein englisches Zeitgemälde aus den Jahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg präsentiert – in Einstellungen mit wenig Epochen-Charme und dafür vielen Plattitüden und Klischees. Alicia von Rittberg gibt eine so liebestolle wie verarmte Miss Sophie. Die lässige Noblesse der englischen Upperclass wie der feinsinnige Humor eines weiblichen Geschöpfs aus altem Adel sind ihr fremd.

Ihre Liebhaber treten auf als missglückte Erscheinungen aus dem Skurrilitäten-Kabinett einer adeligen Heiratsvermittlung. Der deutsche Admiral Schneider glänzt matt als preußischer Langweiler mit chronischem Hackenschlag (Christoph Schechinger) und Moritz Bleibtreu verkauft sich unter Wert als champagnerlauniger Mr. Pommeroy. Sir Toby wird von Jakob Matschenz als früher Trumpisten-Milliardär vorgestellt, der wie ein MAGA-Fan „USA, USA“ skandiert, und Frederick Lau verkörpert mit seiner immer gleichen Bitter-Lemon-Mine den Hochhaus-Tycoon Mr. Winterbottom, dem der ganze Brautwerbekram sowieso auf den Zeiger geht. Dazu wurden ein paar Figuren erfunden, die das Personaltableau allerdings nur zum Negativen erweitern, wie etwa Vladimir Korneev als ungarischer Count Szabo, der aus einer schlechten Sissi-Neuverfilmung entlaufen scheint.

Was für das Fernsehen gilt, gilt auch für das Feuerwerk zum Jahreswechsel

Die ständigen Anzüglichkeiten nerven, und zwar nicht wegen ihrer primitiven Obszönität, sondern weil sie ganz und gar nicht zünden wollen. Sie sind nicht viel mehr als das überquellende Blubbern längst überholter Herrenwitze eines phantasielosen Drehbuchteams mit den Autoren Tommy Wosch und Dominik Moser. Ihnen ist denn auch der Story-Flop des TV-Streamingjahres 2025 unterlaufen. Im 6. und letzten Teil der Staffel heiratet Ms. Sophie – und müsste folglich fortan Mrs. Sophie heißen.

Spätestens hier bricht das wüste Konstrukt des vor- und zurückerzählten, sogenannten „Prequels“ zum guten, alten „Dinner for One“ endgültig zusammen. Und gibt uns eine Mahnung mit ins neue Jahr: Rettet die Rituale! Das Beste wird selten noch besser, wenn man mit zweifelhaften Absichten, in diesem Fall sind es rein kommerzielle, Hand an ein Kulturgut anlegt. Das gilt für kleine TV-Silvesterraketen genauso wie für das Feuerwerk zum Jahreswechsel allgemein. Durch Supermarkt-Schwarzpulverexzesse und waffenscheinpflichtige Sprengladungen vom Polenmarkt hat die Silvesterknallerei, eigentlich harmloser Ausdruck ausgelassener Freude, ganz und gar nicht gewonnen. 

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